Bedrohter Jäger

Der Europäische Nerz kämpft ums Überleben. Einst weit verbreitet, ­dezimierte die ­Pelzjagd und der Verlust von Lebensraum die Popula­tion drastisch.

Von Nathalie Chiavacci

Aufgeregt bewegt der schoggi­braune Kerl seine weisse Schnauze auf und ab, dann nach rechts und links. Die Tast­haare vibrieren. Er richtet sich ­immer mehr auf, sein Radar ist voll auf Empfang geschaltet. Doch was der Europäische Nerz damit erfasst, bleibt verborgen. Vielleicht eine Maus? Eine Grille? Oder ein Frosch?

Was auch immer, es wird sich wohl um etwas Fressbares handeln, denn das Raubtier befindet sich fast pausenlos auf der Jagd. Und die ist ziemlich gnadenlos – Nerze sind eine Art kurzbeinige Katze auf Speed-Droge.

Doch Marderartige, zu deren ­Familie der Nerz gehört, lauern ­ihrer Beute nicht auf, nein, sie ­hetzen ihre Beute wie Wölfe oder Tüpfelhyänen. Dabei wagen sich unsere Nerze auch ins Wasser. Dank den kurzen Schwimmhäuten zwischen den Zehen können sie die flinken Fische verfolgen und den glitschigen Fang mit den borstig ­behaarten Fingerkuppen festhalten. Komplettiert wird die Jagdaus­rüstung durch dicke Fussballen, die auch auf rutschigem Untergrund Halt bieten, sowie durch ein dichtes Fell, das vor der Auskühlung im Wasser schützt. Das seidige Fell ist einer der Hauptgründe, wieso die Europäischen Nerze in vier Fünfteln des früheren Verbreitungsgebiets nicht mehr anzutreffen sind. Dafür tauchten sie in den Städten auf – als Mäntel oder Umhängsel.

Ins Visier der Pelzjäger geriet der Europäische Nerz bereits im Mittelalter. Und noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden in Osteuropa bis zu 75 000 Tiere pro Jahr erlegt. Noch schlimmer als die Jagd traf den Nerz in der Schweiz die Trockenlegung von Feucht­gebieten und die Begradigung von Flüssen. Seit 1850 sind 90 Prozent unserer Moore und Auengebiete verschwunden und damit auch die ursprünglichen Reviere der Nerze und ein Grossteil ihrer Beutetiere: 78 Prozent der Fische sind in der Schweiz ausgestorben oder selten. Ähnlich verhält es sich bei den ­Amphibien (95 Prozent) und den Reptilien (80 Prozent).

Heutzutage steht der Euro­päische Nerz zwar unter Schutz, doch seit den 1950er-Jahren gibt es ein weiteres Problem: aus Pelztier­farmen geflohene oder freigelas­sene ­Amerikanische Nerze. Diese sind mit ihren europäischen Namens­vettern zwar nicht sehr nahe verwandt, besetzen aber trotzdem dieselbe ökologische Nische. Dort setzt sich der anspruchslosere und robustere Amerikaner meist durch. Die seit den 1990er-Jahren in Deutschland laufenden Wiederansiedlungsprojekte macht der Einwanderer aus Übersee also auch nicht gerade einfacher.