«Tieren zu helfen, rettete mein Leben»

Weil sie als Kind missbraucht wurde, litt Beatrice unter einem Trauma. Seit sie sich um verwahrloste Vierbeiner kümmert, geht es ihr besser.

Wer Beatrice besucht, fühlt sich wie in einem privaten Streichelzoo. Schnell ist man umringt von vielen zutraulichen Vierbeinern, die wiehern, gackern und muhen. Mehr als 70 Tiere leben bei der gelernten Ergotherapeutin in der Nähe von Gera (D). Jeder ihrer Schützlinge hat eine traurige Geschichte. Bei ihr können sie endlich in Sicherheit leben, entspannt in die Sonne blinzeln.

Beatrice hat ihr Leben gerettet, doch es ist auch umgekehrt so. Es gab viele Jahre in ihrem Leben, da konnte sie nicht lachen. Nicht mal mehr weinen. Beatrice ist ein Missbrauchsopfer. Ein älterer Mann aus der Nachbarschaft hat sich regelmässig an ihr vergangen.

Beim ersten Mal war die heute 47-Jährige ein kleines Mädchen, gerade mal sieben Jahre alt. «Ich war nachmittags immer bei meiner Oma. Da ist es passiert», sagt sie, und wenn sie darüber spricht, klingt ihre Stimme ganz scheu. «Erst hat er mich nur befummelt, später war es schlimm, ganz schlimm. Er hat nichts ausgelassen.»

Beatrice spricht damals mit niemandem darüber. Sie reagiert so, wie viele andere Missbrauchsopfer auch: Sie fühlt sich schmutzig, gibt sich eine Mitschuld. Zumal der alte Mann der «nette Onkel» von nebenan ist, im ganzen Ort gemocht und respektiert wird.

Als sie 14 ist, verstirbt der gemeine Triebtäter. Doch Beatrice ist jetzt nicht frei. Jahrelang trauert sie der verlorenen Kindheit hinterher. Seele und Körper rebellieren. Sie leidet an Essstörungen, bekommt Allergien. «Irgendwann habe ich verstanden, dass ich mich selbst zerstöre, wenn ich nicht endlich die Vergangenheit loslasse und mich in der Gegenwart mit Gutem belohne.»

Einige Jahre später lernt sie ihren Mann Holger (47), einen gelernten Koch, kennen, zieht mit ihm aufs Land. Als sie von der Not zweier Ziegen hört, nimmt sie die Tiere bei sich auf. Erst stehen sie im heimischen Garten, später pachtet sie eine Weide dazu, dann Stallungen und eine Scheune. Damit hat sie Platz für viele verzweifelte Vierbeiner, denen sie das Leben retten und eine Zukunft geben kann.

Längst spricht sich ihre Tierliebe herum, immer wieder findet sie morgens verletzte Tiere vor der Tür, denen sie helfen soll. «Es tut mir gut, mich um die zu kümmern, denen es nicht so gut geht.» Und so kommt es, dass sie nach und nach einen eigenen Streichelzoo hat, der ihr Leben mittlerweile komplett ausfüllt.  «Ich brauche täglich vier bis sechs Stunden, um die Tiere zu füttern, zu pflegen, die Ställe und Käfige zu reinigen, Zäune zu reparieren.» Nach frühmorgendlichem Einsatz geht sie zur Arbeit in ein Altenheim, kümmert sich auch hier um die, die ihre Zuwendung brauchen. Nach Feierabend ist sie wieder auf ihrem Hof fleissig. Selten kommt sie vor Mitternacht ins Bett.

Und dann sagt Beatrice: «Aber ich wüsste auch nicht, womit ich meine Zeit sinnvoller verbringen könnte als mit meinen Tieren. Mein kleiner Zoo hat mich zurück ins Leben geholt.»