«Ich musste erst sterben, um das Leben zu verstehen»

Tina war klinisch tot und spürte ein wohlig warmes Licht. Doch die Ärzte holten sie zurück – zu ihrer grossen Enttäuschung. Doch sie hat aus der Tragödie gelernt.

Sie lacht viel, wirkt beschwingt und heiter. Wer Tina (52) auf ihrem therapeutischen Reiterhof im Norden der Ferieninsel Teneriffa besucht, ist auf Anhieb fasziniert. Hier strahlt die Chefin so warmherzig, dass man sich sofort angekommen fühlt. «Ich möchte den Menschen guttun, das scheint man zu spüren», meint Tina.

Mit acht Pferden und drei Mitarbeitern hilft sie hier behinderten Menschen, Fortschritte zu machen. Sie vermietet dazu ein Appartement und gibt 40 geretteten Tieren ein Zuhause. Das liebevolle Miteinander zwischen Kunden und Betreuern, das lockere Zusammenspiel von Mensch und Tier, die entspannte Ruhe, all das macht die Anlage zu einem ganz besonderen Kraftort.

Vor einem Jahr war in Tinas Augen Ruhe nur für andere wichtig. Die Kölner Hotelkauffrau und ausgebildete Reittherapeutin galt bei ihren Kunden und Freunden als unermüdlicher Wirbelwind. Eine Powerfrau, die alles schafft: Ihren Reiterhof führt sie perfekt, nach der Scheidung 2013 auch allein. Sie hält die Rest-Familie mit den drei erwachsenen Kindern Luissa (27), Alessa (24) und Lucas (20) zusammen, engagiert sich vorbildlich sozial.

Doch am 21. Juni 2017 kommt sie morgens nicht mehr aus dem Bett. Zwölf Stunden später liegt sie auf der Intensivstation, und die Überwachungsgeräte schlagen Alarm: Tina ist klinisch tot. Ursache ist ein multiples Organversagen.

«Ich habe gespürt, dass meine Seele meinen Körper verlässt. Etwas hat mich gezogen, alles war hell, wohlig warm und schön. Ich fühlte mich wunderbar leicht.» Doch die eilig herbeigeeilten Ärzte holen sie zurück ins Leben. Sie sieht das Klinikbett, ihren an Schläuchen hängenden mageren Körper und will auf keinen Fall dorthin zurück.

«Doch der liebe Gott hatte noch etwas anderes mit mir vor», glaubt Tina. «Ich musste bleiben. Und dann waren sie wieder da: die Schmerzen, die Angst. Ich hörte meinen Namen, Hände zerrten an mir. Ich war wieder auf der Welt.»

Hände und Füsse sind durch die zeitweise Mangeldurchblutung teilweise abgestorben, Zehen müssen amputiert werden. Es dauert Wochen, bis die Ursache dieses unerwarteten Zusammenbruchs feststeht: Es waren eigentlich harmlose Bakterien, die sich allerdings innerhalb kürzester Zeit durch ihren Körper gefressen haben. Ihr Immunsystem hatte dem nichts entgegenzusetzen. Es war durch jahrelangen Stress und Überarbeitung am Boden.

Plötzlich brutal ausgebremst, stellte sie sich die Frage: Wie will ich weitermachen? Tina weiss die Antworten schnell. Sie möchte für ihre Kinder da sein, die vielen Tiere nicht im Stich lassen. «Man braucht mich, das war mein Motor, um wieder auf die Beine zu kommen. Aber ich wollte nicht mehr nur leisten, ich wollte vielmehr lieben, schützen, da sein.»

Sie hört auf die Signale ihres Körpers, macht Pausen. Auf ihrem Reiterhof fällt es ihr nicht mehr schwer zu delegieren, der dramatische Zusammenbruch ist zur grossen Erweckung geworden. «Eine tiefe Dankbarkeit begleitet mich seitdem durch jeden Tag. Ich musste erst sterben, um das Leben zu verstehen. Dabei ist doch alles so leicht.»