Ziel erreicht – jetzt geniesst er das Leben

Als Kind träumte er davon, Sportmoderator zu werden, jetzt besetzt er einen der wichtigsten Jobs des Schweizer Fernsehens. Sein damaliges Idol ist heute seine Mentorin. Privat verbringt der «Tagesschau»-Moderator viel Zeit mit seiner Familie – und auf der Piste.

Von Irene Lustenberger

Als Fünftklässler schaut Michael Rauchenstein mit seinen Eltern «Sport aktuell», Regula Späni führt durch die Sendung. «Ich sagte: Mami, Papi, das will ich auch mal machen.» Tags darauf geht er zu seiner Primarlehrerin und sagt ihr, dass er Sportmoderator werden will. Diese ermuntert ihn, den Leuten vom Fernsehen zu schreiben – was der kleine Michael tut. Regula Späni schreibt ihm zurück und lädt ihn ein, sie einen Tag ins «Sportpanorama» zu begleiten. «Als ich zum ersten Mal mit ihr telefonierte, dachte ich: Wow, das ist jetzt die Frau vom Fernsehen», blickt er zurück.

Rund 20 Jahre später ist Michael Rauchenstein selbst «der Mann vom Fernsehen». Seit August moderiert der 33-Jährige die Hauptausgabe der «Tagesschau», davor war er EU-Korrespondent in Brüssel. Sein damaliges Idol – sogar seine Matura-Arbeit handelte von Frauen im Sportjournalimus – ist heute seine Mentorin. «Michi hat mich in all den Jahren stets um Rat gefragt, wenn ein entscheidender Schritt bevorstand, und es entstand eine lockere Freundschaft», erzählt Regula Späni (58). «Was mich beeindruckt, ist seine sympathische Zielstrebigkeit», lobt sie. Er verfolge seinen Weg konsequent und mit Herzblut, aber ohne «ellbögle». «Ich habe mich sehr gefreut, als er so jung Brüssel-Korrespondent und jetzt ‹Tagesschau›-Moderator geworden ist.» Und wie meistert er seine neue Aufgabe? Späni: «Er macht das super. Er ist glaubwürdig, kompetent, hat eine unaufdringliche Art und nimmt sich selbst nicht wichtiger als seine Arbeit.» 

Seine Sporen abverdient hat Rauchenstein bei der «Videogang», bei Radio Top und bei Tele 1. «Er hat das Handwerk von Grund auf gelernt», resümiert Späni. Da sowohl sie als auch er vielbeschäftigt sind, treffen sie sich nur noch sporadisch. «Wenn es sich aber ergibt und wir beide Zeit haben, sehen wir uns.» Die zwei haben sich dann jeweils viel zu erzählen, so wie heute beim Treffen mit der GlücksPost in Flims GR, wo Späni eine Ferienwohnung hat. «Mir ist es jeweils wichtig, Regula zu informieren, was bei mir passiert. Auch ihr Feedback bedeutet mir nach wie vor viel», sagt er. 

Aber warum wurde aus Rauchenstein kein Sportmoderator? «Ich interessiere mich zwar für Sport, stellte dann aber fest, dass meine Kollegen ein tieferes Wissen hatten als ich. Sie konnten aufzählen, wann welches Team die Champions League gewonnen hat oder wer Weltmeister geworden ist.» Ihn hätten mehr die politischen News interessiert. «Im Sport kannte ich mich zu wenig aus, für die Unterhaltung bin ich zu wenig lustig, also blieb mir nur die Politik», bilanziert er und lacht verschmitzt. Hinzu kommt, dass er Politikwissenschaften studiert hat. «Vorbelastet» ist er durch seinen Vater, der Revisor im Finanzdepartement des Kantons Schwyz war.

Welches Fazit zieht der Moderator nach den ersten Monaten? «Es macht mir grossen Spass und ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe.» Auch wenn der Druck gross sei. «Das Adrenalin baut sich bereits am Nachmittag auf. Das brauche ich aber», sagt er. Und welches sind die Schattenseiten des Jobs? Er überlegt lange und antwortet dann: «Am ehesten die Arbeitszeiten.» Weil die -«Tagesschau» um 19.30 Uhr ausgestrahlt wird, sei er erst um 20.30 Uhr zu Hause. «Es gibt ja Leute, die meinen, ich beginne erst um 17 Uhr, setze mich in die Maske, moderiere und gehe wieder nach Hause», sagt er lachend. Dem ist nicht so. Sein Arbeitstag geht um 11 Uhr los. Als Erstes bespricht Rauchenstein mit dem zuständigen Produzenten die Sendung. Um 14.30 Uhr findet die grosse Sitzung mit allen Beteiligten statt. «Danach schreibe ich die Moderationen und telefoniere mit den Korrespondenten, die zugeschaltet werden.» Nach dem Umziehen und der Maske gibt es einen Probedurchgang, bevor es dann live auf Sendung geht.

Rund 50 Prozent der TV-Zuschauerinnen und TV-Zuschauer schalten die «Tagesschau» ein. Wird der Schwyzer, der in Zürich wohnt, auf der Strasse erkannt? «Ja, ich werde oft angesprochen, was mich sehr freut», sagt er. Unangenehm sei es dann, wenn er nur angestarrt werde. Oft erhält er auch Feedback des Publikums, vor allem wegen des neuen Studios. «Seit November verging kein Tag, an dem ich nicht irgendjemandem eine Frage dazu beantworten musste», erinnert er sich. 

Mit negativer Kritik oder Schlagzeilen wurde der 33-Jährige bisher noch nicht konfrontiert – «Holz alange». Vor kurzem sei zwar geschrieben worden, dass er sich geoutet habe. «Das stimmt nicht, denn ich lebe seit Jahren offen homosexuell», präzisiert er. Einen Partner hat er nicht. Umso mehr Zeit verbringt er mit seiner Familie, die in Lachen SZ wohnt, wo er aufgewachsen ist. «Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu meinen Eltern und meinen beiden Schwestern. Wir sehen uns oft.» Gerade erst war er mit ihnen in den Skiferien. Auch sonst ist der «Tagesschau»-Moderator oft auf dem Snowboard anzutreffen – meistens in Laax, wie heute mit der GlücksPost auf dem Crap Sogn Gion. «Laax ist für mich das beste Skigebiet der Schweiz. Es bietet alles und ist von Zürich aus schnell erreichbar.» Zu einem gelungenen Skitag gehören für ihn gutes Wetter sowie harte Pisten. «Und ein Kafi Schümli Pflümli muss immer sein. Ich liebe Après-Ski.» Im Sommer geht er oft in der Limmat schwimmen. «Am liebsten morgens, vor der Arbeit. Das weckt alle Lebensgeister.» Auch Wandern gehört zu seinen Hobbys. 

Rauchenstein ist mehrfacher Onkel und Götti. Kann er sich eine eigene Familie vorstellen? «Das ist eine Frage, die ich mir noch gar nicht gestellt habe», gibt er zu. Mit 19 sei er zum ersten Mal Onkel geworden. «Ich habe die Mädchen meiner Schwester von Anfang an gehütet, gewickelt und viel Zeit mit ihnen verbracht.» Auch einige seiner Freunde hätten mittlerweile Kinder. Aber: «Ich finde es toll, dass ich mein Leben so gestalten kann, wie ich will und mich nach niemandem richten muss. Mit Kindern ist das halt schwieriger.» 

Privat ist der 33-Jährige also rundum glücklich. Und beruflich besetzt er einen der wichtigsten Moderationsjobs des Schweizer Fernsehens. «Ich weiss, welche Frage jetzt kommt: Wie geht es weiter?», sagt er lachend und gibt auch gleich die Antwort: «Ich habe das erreicht, was ich wollte. In erster Linie möchte ich meinen Job gut machen.» Er habe in den vergangenen Jahren oft zurückgesteckt und viel investiert, um dahin zu kommen, wo er jetzt sei. «Nun gehe ich es etwas ruhiger an, nehme mir Zeit für meine Freunde und geniesse mein Leben», resümiert er und brettert davon.