«Wir werden uns wiedersehen»

Im Andenken an Mathias Gnädinger (†) kümmert sich die grosse Liebe des Schauspielers um sein künstlerisches Vermächtnis. Auch wenn es ihr nicht leichtfällt, «macht sie vorwärts» – wie er es gewollt hätte.

Wer ein Haus baut an den Strassen, muss die Leute reden lassen.» So steht es geschrieben. Auf einer Tafel am Grundstück von Mathias (†74) und Ursula Gnädinger (74) am Stadtrand von Stein am Rhein SH. Der Spruch steht für zwei Menschen, die ein Leben lang verbunden, in den letzten 15 Jahren in innigster Liebe vereint waren. Immer offen und geradeaus, kein Verbiegen, kein Verstecken. So war Mathias Gnädinger bis zu seinem Tod am 3. April des letzten Jahres. So ist seine Frau Ursula, wenn sie jetzt, kurz vor der Premiere seines letzten Films, mit der GlücksPost spricht – über ihr Leben und ihre Liebe.

Er war es, der um den Garten des gemeinsamen Hauses weder Hecke noch Zaun haben wollte. Trotz der Strasse und dem Spazierweg, der gegenüberliegenden Badeanstalt – all den Leuten, die einen Blick in das Leben der Schweizer Schauspiellegende und seiner Frau werfen wollten. Auch jetzt tun sie es noch. Ursula hört es, wenn die Passanten zu­einander sagen: «Hier hat er gewohnt, der Gnädinger.» Sie hat Mühe, allein in dem offenen Garten zu sitzen, hat sich auf dem Balkon eine versteckte Nische eingerichtet. «Ich kann und will nicht nach aussen zeigen, wie es mir geht. Und wenn Leute weinend auf mich zukommen – das habe ich gar nicht gern.»

Sie wäre diejenige, die weinen müsste. Stattdessen geht sie gefasst den Weg, der vor ihr liegt. Will, dass das Vermächtnis ihres Mannes die Aufmerksamkeit erhält, die ihm gebührt. Auch wenn sie dafür jetzt Interviews geben muss, anstelle von Mathis, wie sie ihn nennt. Manchmal schimpft sie mit ihm: «Was hast du mir da angehängt!» Dann hört sie ihn zurückpoltern: «Mach’ jetzt vorwärts!» Irgendwie sei er noch hier, der Mathis. Sie träumt viel von ihm, zündet immer drei Kerzen an. «Mathis wollte immer drei Kerzen angezündet haben. Nicht vier, drei. Er liebte Primzahlen.»

Sein letzter Film «Der grosse Sommer» (siehe Box) war für beide eine Reise in die gemeinsame Vergangenheit und Zukunft. Die Hauptfigur Anton Sommer wird in seinen jungen Jahren von Gnädingers Sohn Gilles gespielt. «Er sieht genauso aus, wie Mathis damals», so Ursula. Damals, als sie sich als Teenager in Ramsen SH kennenlernten. Als es dann ernster werden sollte, entdeckte Ursula das Bild einer anderen Frau in seinem Zimmer. Das war zu viel. Und das Leben von Mathias zu turbulent. Der Kontakt brach aber nie ganz ab. Nach dem Tod von Ursulas erstem Ehemann 2001 tauchte Mathias bei ihr auf. Seither waren sie zusammen. «Den ganzen Tag, 24 Stunden lang», sagt Ursula. «Wir haben alles gemeinsam gemacht. Ich war bei jedem Dreh dabei. Sogar wenn ich einkaufen ging, wollte er unbedingt mit. ‹Ich lese dann halt Zeitung und warte auf dich›, meinte er.» Ursula lacht bei solchen Erinnerungen.

Beim Dreh von «Der grosse Sommer» wollte Mathis seine Ursula ständig an seiner Seite haben, auch bei den Aufnahmen in Japan. So wurde sie kurzerhand als Visagistin angestellt. Wenn sie während einer Szene kurz weglief, schimpfte er, sie müsse bei ihm bleiben. «Er wollte mich nicht aus den Augen lassen.» Vor dem Abflug nach Japan drängte Mathias Ursula dazu, einen Abschiedsbrief zu schreiben. Er verfasste auch einen. Man wisse ja nie, wie das Leben spielt. Und plötzlich wurde der Brief aktuell, enthielt die Worte, die seiner Familie heute die Kraft geben, nach vorne zu schauen: «Gnüsseds und hebeds guet. Ich gehe jetzt durchs Tor.» Mathias habe an einem Leben nach dem Tod gezweifelt. «Aber er war zu intelligent, um das kategorisch auszuschliessen.» Glaubt sie an ein Wiedersehen? «Wir sehen uns wieder irgendwo. Vielleicht, wenn wir zusammen den Rhein hinunterschwimmen», sagt Ursula leise. Mathias’ letzter Wunsch: Dass ihre und seine Asche gemeinsam in den Rhein gestreut werden soll.

Bei diesem Gedanken schimmern Tränen in den Augen dieser starken Frau, die im nächsten Moment wieder gefasst ist. Auch im Hinblick auf die Zeit, wenn es stiller, der Rummel um ihren Mann nachlassen wird. «Ich bin gut aufgehoben, habe viele liebe Bekannte und Verwandte, die für mich da sind. Ich brauche die Ablenkung, ich könnte nicht einfach herumsitzen.» Sie wird bald einmal Ferien machen. Grosse Pläne für die Zukunft hat sie noch nicht. «Das bringt nichts. Ich habe mit Mathis erlebt, wie das Leben plötzlich einen anderen Weg einschlagen kann.»