Wenn Pferde heilen helfen

Im Umgang mit Tieren lernen Patienten, sich zu entspannen und ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Mit der Pferdegestützten Therapie werden daher Erkrankungen wie Burnout, Angststörungen und Traumatisierungen behandelt.

Du bist mein Schatz», sagt Fabienne Schmid und schmiegt ihren Kopf liebevoll an Cuji. Das Urfreibergerpferd ist nicht nur ihr bester Freund, sondern auch ihr Therapeut. Denn die zehnjährige Schülerin aus Heimisbach im Emmental macht zurzeit eine tiergestützte Therapie auf dem Hof von Pia Buob (www.piabuob.ch).

Fabienne ist schwer traumatisiert. Auf der Hinreise in die Sommerferien in Frankreich rammte ein Automobilist mit 140 Kilometern pro Stunde den Camper ihres Vaters. Der Vater hat dabei fünf Rippen gebrochen, die Tochter «nur» ein paar Kratzer davongetragen. Ihre Wunden gehen tiefer. «Ich kann seit dem Unfall nicht mehr oder nur ganz schlecht schlafen, höre immer die Sirenen von Ambulanz und Feuerwehr und sehe die schrecklichen Bilder vor mir.» In der Schule kann sie sich nicht mehr konzentrieren,
ist müde und teilnahmslos. Ihre Mutter Natascha geht mit ihr zu einer Psychologin, die das Problem mit ihrer Tochter aufarbeiten soll. «Die Schlafschwierigkeiten von Fabienne wurden für die ganze Familie zu einer grossen Belastung, und wir entschieden uns, zusätzlich eine Pferdegestützte Therapie zu beginnen», sagt sie. Mit Erfolg. Bereits nach wenigen Aufenthalten auf dem Hof von Pia Buob geht es Fabienne etwas besser. «Das Zusammensein mit Cuji tut mir gut. Es gibt mir Ruhe und Vertrauen», so Fabienne. Auch der Schlaf ist wieder besser geworden.

Eigene Bedürfnisse spüren

«Durch den Körperkontakt mit dem Tier soll Fabienne lernen, sich selbst und ihre Bedürfnisse zu spüren und zur Ruhe kommen», sagt Pia Buob, Pflegefachfrau HF Psychiatrie, Mentalsomatikerin und Bäuerin. Die Therapie mit Reitpferden wird bei verschiedenen Krankheiten und Störungen bereits seit Jahren erfolgreich eingesetzt. Dazu gehören Angststörungen, Traumatisierungen, Burnout, geistige Behinderungen, Autismus, Trauerverarbeitung etc. «Pferde sind besonders ruhig und lassen sich nicht so schnell irritieren», sagt Pia Buob. In der Therapie geht es darum, die Patienten langsam an das Pferd heranzuführen: man lernt sich kennen, das Pferd wird gestriegelt, am Zügel geführt und später eventuell auch geritten. «Dabei kommt es nicht darauf an, möglichst gut reiten zu lernen, es geht vor allem darum, dem Tier und damit auch sich selbst möglichst nahe zu kommen.»

Gefühle werden zugelassen

In diesem Kontakt kommen Erinnerungen hoch, zum Beispiel aus der Kindheit. Nach den Erfahrungen der Psychologen sind es oft positive Wahrnehmungen, an die sich die Patienten plötzlich wieder erinnern und an die sie anknüpfen können. Auf diese Weise lösen sich Spannungen – durch die Nähe zum Tier können Gefühle, die bisher unterdrückt waren, zugelassen werden. «Das liegt daran, dass dem Patienten körperliche Nähe gegeben wird, ein Therapeut darf das nicht.»

Das Loslassen lernen

«Auf das Pferd gekommen» ist Pia Buob in ihrem Leben erst Mitte vierzig. Die Kinder, die sie allein erzogen hat, waren erwachsen, und sie suchte eine Neuorientierung in ihrem Leben. Eher zufällig lernte sie in der Nachbarschaft ein Pferd kennen und lieben und entwickelte eine enge «seelenverwandte» Beziehung zu ihm. Dies brachte sie darauf – auch aufgrund ihrer Ausbildung im psychologischen Bereich – sich mit tiergestützter Therapie intensiver zu befassen und zu erlernen, wie diese funktioniert. Auf ihrem Hof in Heimisbach bietet sie seit Oktober 2017 vier Pferden, die sie zum Teil vor dem Schlachthof gerettet hat, ein Daheim. Die Menschen, die zur tiergestützten Therapie zu ihr kommen, dürfen auch gerne einmal bei ihr übernachten, verbringen aber fast immer mehrere Stunden bis einen Tag mit ihr und den Tieren und werden in die Alltagsarbeit mit den Pferden integriert. «Das Wichtigste bei der Arbeit ist die Leidenschaft und Sinnhaftigkeit», sagt Pia Buob, die mit Herzblut bei der Sache ist, wenn es darum geht, Mensch und Tier zu helfen. Meist müsse das Loslassen im Leben gelernt werden, denn «Loslassen ist Liebe». Der 50-jährigen Bäuerin, die in der Sendung «Bauer, ledig, sucht» mitgemacht hat, ist es wichtig, dass die Therapie einfach und authentisch bleibt.

 

Das meint der Experte

«Es gibt verschiedene Studien, welche die Wirksamkeit Pferdegestützter Therapien belegen», sagt Luz Sozzi, Präsident der Vereinigung PT-CH (Pferdegestützte Therapie Schweiz). Seine Organisation engagiert sich für die Verbreitung und Anerkennung dieser Therapieform. Zudem bietet sie in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule für Gesundheit in Fribourg eine berufsbegleitende dreijährige Zusatzausbildung zur Fachperson Pferdegestützte Therapie PT-CH an.

«Der therapeutische Einsatz von Pferden oder generell von Therapie-Tieren bedingt nebst einer fundierten Grundausbildung auch ein sorgfältiges Training und stete Weiterbildung», erklärt Sozzi: «Ganz wichtig ist eine artgerechte Haltung, da nur instinktgefestigte Tiere gute und sichere Therapiearbeit erlauben.»

Verschiedene Krankenkassen bezahlen die Behandlungen über die Zusatzversicherung, sofern die Fachperson von EMR oder ASCA (erfahrungsmedizinische Register) anerkannt ist. Eine Ausnahme bilden einzelne Krankheitsbilder, die im Rahmen der Hippotherapie behandelt werden. Diese können über die Grundversicherung abgerechnet werden.

Wer in seiner Region einen Betrieb sucht, der Pferdegestützte Therapien anbietet, findet hier eine Übersicht:

www.pt-ch.ch