Warum es nur auf der Bühne funkt

In seinem neusten Programm spricht das Comedy-Duo darüber, aufzuhören. Doch in Tat und Wahrheit denken sie auch nach all den Jahren nicht daran, beruflich miteinander Schluss zu machen.

Von Andrea Butorin

Im Atelier von Urs Wehrli (56) in Zürich stehen mehrere Roll-Kisten voll mit ­Material – all das brauchen ­Ursus und Nadeschkin in ihrem aktuellen Programm «Prspktvnwchsl». Nach den ersten 16 Vorführungen stehen nun Sommerferien an. Nadja Sieger (57) plant eine Velotour und eine Wanderung, Urs Wehrli will zwei Wochen in die Berge. Ab August tourt das Duo wieder durch die Schweiz und Deutschland.

«Uns geht es sehr gut», sagen beide heute. Noch vor wenigen Monaten sah das jedoch ganz anders aus. Im Winter war ­Nadja Sieger wegen einer Mittel­ohrentzündung auf dem linken Ohr zwei Monate lang praktisch taub und musste die Proben pausieren.

Urs Wehrli: Wir kamen in Zeitnot. Im März hatten wir dann eine Riesenkrise. Wir dachten, das bekommen wir nicht mehr hin.

Nadja Sieger: Als unser Regisseur Tom Ryser fand, unser Programm sei fertig, irritierte mich das extrem. Wir hatten noch überhaupt kein Stück!

Wehrli: Nun sind die ersten ­Aufführungen sehr stimmig ­geworden. Obwohl das Programm super absurd ist, «Chrut u Rüebli».

Die neue Show ist gemäss ­Nadja Sieger so aktuell wie noch keine zuvor: Thematisiert werden etwa die Angst, den Job zu verlieren, künstliche Intelligenz oder die Vereinsamung der ­Gesellschaft – alles voller Witz, Akrobatik und Musik. Der rote Faden: Im Stück «Prspktvnwchsl» versucht Nadeschkin mit Aufhören anzufangen, kommt aber als «Nadeschkin – privat» doch nicht raus aus der Vorstellung. «Sie hilft dann ­Ursus dabei, ­alleine im Duo weiterzu­machen», sagt Sieger lachend.

Aufhören. Mit diesem Thema kokettieren sowohl Nadja ­Sieger und Urs Wehrli als auch Ursus und Nadeschkin ständig. «Aufhören wäre einfach», heisst ein SRF-Dokfilm von 2020 über die beiden. Am längsten «aufgehört» hatten sie 2017/18, als Urs Wehrli mit seiner Familie zehn Monate lang die Welt bereiste.

Sieger: Der Urs hat ja schon 1987, wenige Monate, nachdem wir uns zusammengetan hatten, aufhören wollen. Das Problem ist, dass die Leute immer ­meinen, das gelte dann auch. Für uns ­bedeutet Aufhören, einen Schritt zurück zu machen. Danach kann man immer wieder neu entscheiden, weiterzumachen. Das ist extrem gesund.

Wehrli: Die Freiheit, alles abzublasen, müssen wir uns immer lassen. Sonst würden wir am Druck zerbrechen.

Wehrli und Sieger lernten einander 1987 in einem Zirkuskurs ­kennen. Unterdessen haben sie bereits elf abendfüllende Bühnenproduktionen im Duo produziert, darunter «Hailights» (1997) oder «Der Tanz der Zuckerpflaumenfähre» (2018); sie tourten dreimal mit dem Circus Knie und erhielten zahlreiche Auszeichnungen.

Wer den beiden zuhört, egal ob Ursus und Nadeschkin auf der Bühne oder Nadja Sieger und Urs Wehrli bei einem Interview, staunt über die perfekte Sym­biose, welche die beiden ver­mitteln. Sei es verbal oder artistisch – oft führt der eine fort, was die andere begonnen hat. Wenig erstaunlich, dass sie schon unzählige Male gefragt wurden, ob sie ein Paar sind. «Nein», schreiben sie dazu auf ihrer Website.

Wehrli: Wären wir privat ein Paar, wäre die Zusammenarbeit sicher viel schwieriger.

Sieger: Wenn ich im Alltag auf etwas Lustiges stosse, will ich das sofort mit Urs teilen, weil ich weiss, dass er das auch lustig ­findet. Diesen Drang habe ich nur bei ganz wenigen Menschen.

Wehrli: Ich schicke Nadja manchmal ein Foto und frage: «Wo bin ich?» Wir haben unterdessen einen grossen gemein­samen Fundus an Erinnerungen mit Orten, an denen wir waren, oder mit Menschen, die wir ­trafen.

Sieger: Oder man schreibt einander: «Geh diesen Film schauen!» Ob wir beste Freunde sind? Unser ­Regisseur Tom sagt immer, wir seien eher wie eine Familie.

Wehrli: Als wir beide eine ­Familie grün­deten, hat sich ­unsere Beziehung logischerweise stark verändert. Jeder hatte ­seine eigene Welt. Für uns war das ein wichtiger Schritt.

Urs Wehrli und seine Frau, ­Tänzerin und Choreographin Brigitta Schrepfer (56) sind ­Eltern des 19 Jahre alten Jodok, der gerade seine Lehre als Zeichner Architektur abgeschlossen hat. ­Nadja Sieger ist Mutter des 14-jährigen Sid und lebt in einer Partner­schaft. «Mein Sohn steht gerade vor ­einem Wechsel des Gymnasiums, und ich geniesse es, dass er in einem Alter ist, in dem er mich noch braucht», sagt sie.

Wehrli: Eifersucht seitens unserer Partner hat es nie gegeben. Meine Frau wusste von Anfang an, dass es da in meinem Leben auch noch die Bühnenpartnerin Nadja gibt. Manchmal werden wir von Paartherapeuten gefragt, ob sich eine Beziehung wie unsere auf eine Liebesbeziehung übertragen lässt. Der grosse Unter­schied ist: In einer privaten Beziehung suchst du Harmonie. Wir aber suchten bei der Arbeit nie nach Harmonie, sondern nach den Unterschieden. Das ist für unsere Arbeit viel interessanter.

Sieger: In der kreativen Arbeit haben wir kaum Probleme miteinander. Zoff gibt’s eher mal bei der Tourneeplanung auf drei Jahre hinaus, gerade auch, weil wir auf unsere Familienpläne genauso viel Rücksicht nehmen möchten. Immer wechselnde Arbeits­zeiten, lange Reisen, Auftreten, auch wenn man krank ist, das sind Herausforderungen. Toll an unserer langjährigen Arbeits­beziehung ist: Wir lassen uns viel eher in Ruhe als früher. Wir wissen, wo beim anderen die Alarmknöpfe sind, und brauchen da nicht draufzu­drücken.

Wehrli: Wir setzen unsere Beziehung immer wieder aufs Spiel. Vielleicht geschieht es, dass wir einmal dermassen nicht der ­gleichen Meinung sind, dass wir aufhören müssen. Aber bis jetzt war das nie der Fall. Ich finde es schon erstaunlich, dass wir jetzt schon 38 Jahre gemeinsam auf der Bühne stehen. Keine Ahnung, welches Bühnenpaar das vor uns geschafft hat. Vielleicht Cés Keiser und Margrit Läubli? Darum ist alles, was wir jetzt noch machen, Supplement.