Vreni Schneider: «Meine Trauer ist immer noch gross»

Es war ein Schicksalsjahr für die Ski-Königin: Sie musste von ihrem geliebten Vater Abschied nehmen. Noch immer kämpft sie gegen die innere Leere und den Seelenschmerz. Trost und Kraft findet sie vor allem bei ihren beiden Buben.

 

Die beiden Buben schaufeln wie wild. Sie wollen unbedingt einen kleinen Kanal bauen, um den Sernf-Bach umzuleiten. Ski-Legende Vreni Schneider (46) schaut ihren zwei kleinen Arbeitern amüsiert zu. Florian (7½) und Flavio (5½) sind ihr Sonnenschein, ihr Trost in den Stunden, in denen sie um ihren am 2. November letzten Jahres verstorbenen geliebten Vater trauert. Und diese Trauer ist noch immer sehr gross.

 

«Es war das traurigste Jahr meines Lebens», seufzt Vreni. «Vaters Tod wird mich ebenso prägen wie der Verlust meiner Mutter. Sie starb, als ich 16 war. Auch mein Vater litt sehr, wäre an ihrem Sterben fast zerbrochen. Aber er machte das Menschenmögliche, uns die Mutter zu ersetzen.» Vrenis Augen füllen sich mit Tränen, als sie weiterredet. «Durch den Verlust der Mutter waren wir extrem zusammengewachsen. Er war ein so herzensguter Vater, wollte es allen immer recht machen. Mir fehlen noch immer die richtigen Worte, um über den Abschied vom Vater zu sprechen. Ich wollte noch so viel mit ihm bereden, ihn fragen. Und plötzlich ist er nicht mehr da, und die Leere wird immer noch grösser. Ich bin in ein tiefes Loch gefallen. Die Geschwister hatten sogar Angst um mich. Die Verarbeitung seines Todes wird auch jetzt noch Zeit brauchen.»

 

«Die Geburtstage, Weihnachten, all diese Ereignisse ohne ihn sind immer wieder so schmerzhaft. Und zu allem Unglück sind dieses Jahr auch noch Vaters Bruder This und Mitte September aus der Verwandtschaft Bäsi Marilie verstorben.» Vreni Schneider weiss, dass sie nicht die Einzige ist, die geliebte Menschen verloren hat. «Es gibt sicher noch brutalere Schicksale. Junge Mütter, die Krebs haben und sterben. Junge Leute, die bei Unfällen ums Leben kommen. Zum Glück halten mich meine wunderbaren Buben auf Trab und lenken mich ab.»

 

Für Vreni Schneider war der Tod ihrer Mutter damals Auslöser und Ansporn für ihre sagenhafte Karriere. «Sie sagte mir noch kurz vor dem Sterben, ich solle, wenn ich das wirklich möchte, voll auf das Skifahren setzen. Dadurch habe ich wahrscheinlich noch mehr gekämpft und wurde das, was ich wurde. Auch deshalb, weil ich – neben Talent und Willen – von Vater und Geschwistern so total unterstützt wurde. Sie waren alle auch überrascht und stolz, was ich alles gewinnen konnte.» Neben drei Olympiasiegen waren das 55 (!) Weltcupsiege, 11 kleine und drei grosse Kristallkugeln. Als junges Mädchen hätte sich Vreni nie zu denken getraut, mal Olympiasiegerin zu werden. «In meinem Zimmer hingen Poster meiner Idole Lise-Marie Morerod, Maite Nadig und vor allem Erika Hess. Als sich bei mir die ersten Erfolge einstellten, wollte ich keine Eintagsfliege sein. Deshalb wollte ich meine Siege immer wieder bestätigen.»

 

1995 trat Vreni auf dem Höhepunkt der Karriere zurück und heiratete Marcel Fässler (41). «Gold, Silber und Bronze, Gesamtweltcup- Siege, das alles wird mich das Lebenlang prägen. Aber die Buben, eigene Kinder, eigenes Fleisch und Blut, das ist mit nichts zu übertreffen. Wenn sie gesund sind, dann ist es das Allergrösste. Florian und Flavio sind mein grösster Sieg, das kann man mit nichts vergleichen. Skifahren war für mich eine eindrückliche Lebensschule. Aber eine Geburt, ein kleines Menschli in den Armen zu halten, alle Zeheli sind dran, jedes Kind hat seinen Charakter, ein Köpfli – einmalig.»

 

Und jetzt gehen die beiden so lebendigen Buben bereits in die Schule und in den Kindergarten. «Florian muss um halb acht zum Bus, Flavio um acht Uhr. Da ist er manchmal, wenn er aufstehen sollte, noch im Tiefschlaf. Jetzt dunkelt es schon früh. Im Sommer wollen sie mit Marcel lange tschutten oder Bauarbeiter spielen, da bringt man sie fast nicht ins Bett, weil Marcel erst um 18 Uhr heimkommt. Es sind halt so richtige Papibuben.»