Von der Hölle ins ganz grosse Glück

In seiner Jugend hat er Schlimmes durchgemacht – in einer Sekte. Dennoch ist der Glarner, der derzeit bei «Deutschland sucht den Superstar» begeistert, heute lebensfroh, fest im Glauben und voller Dankbarkeit.

Dunkle Wolken hängen am Himmel, lassen die Berge fast bedrohlich erscheinen. Und kalt ist es auch. Doch dann passiert es: Brasilianischer Sonnenschein erhellt das Glarnerland. «Hallooo!», ruft’s aus dem Fenster eines älteren Reihenhauses, ein Winken, und schon ist da viel Farbe und Wärme. Genau damit – und mit seiner unverwechselbaren Stimme – begeistert Marcio Pereira Conrado (26) aus Netstal derzeit auch in «Deutschland sucht den Superstar».

«Marshmallow», wie er sich augenzwinkernd selbst nennt, steht in den begehrten Live-Shows. Fassen kann er das selbst nicht richtig, zumal er anfangs gar nicht zum Casting wollte. «Ab einem bestimmten Alter kommt man in eine gewisse Realität – da geht es darum, zu arbeiten und Geld zu verdienen. Alles, was mit Musik zu tun hat, war für mich Hobby.»

Umso mehr überwältigt es ihn, wenn die Jury um Dieter Bohlen (66) ihn Runde um Runde weiterlässt. Speziell nach der letzten Entscheidung beim Recall in Südafrika gab es viele Tränen. «Aus Dankbarkeit. Zudem hatte ich ein Lied gesungen, das mich in einer Phase begleitete, in der ich depressiv war, völlig hoffnungslos – damals, als ich die Sekte verlassen, aber noch nicht zurück ins Leben gefunden hatte.»

Über seine schlimme Vergangenheit spricht Marcio ganz offen. Statt ein normaler Teenager zu sein, bestimmte im Alter von 15 bis 20 Jahren eine Freikirche sein Leben und das seiner Familie. Eine gewisse Zeit wohnte er bei einer Pfarrerin, später in den Räumlichkeiten der Gemeinschaft, schlief auf dem Boden. «Sie versuchten, mir den ‹Dämon der Homosexualität› auszutreiben», erzählt er. Wochenlanges Fasten, nächtliche Rituale und Gebete auf einem Berg, Gehirnwäsche total. «Mir wurde eingeredet, dass ich und meine Familie in der Hölle landen würden, ich schuld an all unseren Problemen sei. Dabei ging es am Ende nur ums Geld, Opfergaben, die sie verlangten.»

Hier schaltet sich Marcios Mutter Katia ein, die sich zum Interview dazugesellt hat. «Ich bin schuld daran», sagt die 49-Jährige. «Als er mir anvertraute, dass er schwul ist, bekam ich regelrecht Panik.» Sie erinnerte sich an ihre Heimat Brasilien, wo Männer wegen ihrer Homosexualität früher teilweise getötet wurden. «Ich  hatte Angst um ihn und dachte, die Sekte könnte ihm helfen.» Als Marcio mit 20 begann, deren Machenschaften zu hinterfragen und schliesslich austrat, folgte ihm seine ganze Familie. Gläubig sind sie bis heute, doch Marcio weiss: «Solange Liebe in einer Beziehung ist, ist Gott in ihr. Gott ist Liebe.» Seine Mama ergänzt: «Er hat uns erschaffen, er kennt und liebt uns, wie wir sind.»

Mittlerweile ist Katia stolz auf Marcio – und er auf sie: Sie kam einst ganz alleine mit ihrem damals vierjährigen Sohn und seinen Schwestern Jennyffer (heute 33) und Kamylla (29) in die Schweiz, weil Marcios Vater sich nicht kümmerte und sie sich für ihre Kinder ein besseres Leben wünschte. «Wenn ich über ihre Geschichte nachdenke, weiss ich, woher meine psychische Stärke kommt», sagt Marcio. «Ohne sie hätte ich viel weniger Möglichkeiten gehabt.»

Von der Chance, bei «DSDS» dabei zu sein, ganz zu schweigen. Er will in der Show sein Bestes geben, vor allem aber die Leute inspirieren, zu sich selbst zu stehen und an sich zu glauben: «Wenn ein ‹Marshmallow› wie ich, ein Typ mit Migrationshintergrund und solch einer Geschichte etwas aus sich machen kann, dann schafft es jeder. Wichtig ist, dankbar zu sein, für das, was man hat. Und immer optimistisch zu bleiben: Das hat mir meine Mutter beigebracht.»