Vom Eisfeld auf den Golfplatz

Der ehemalige Schweizer Hockey-Nationaltorhüter und Publikumsliebling des SC Bern ­verfolgt die Spiele der Eisgenossen an der WM entspannt im Bündnerland. 24 Jahre nach seinem Rücktritt fliegen Golfbälle statt Pucks auf ihn zu.

Von Thomas Wälti

Es kribbelt bei Renato «Toto» Tosio (60): Am 22. Mai beginnt die K.-o.-Phase der Eishockey-WM. Der 183-fache Internationale und Kult-Tor­hüter des SC Bern sagt nach den ersten Spielen ganz euphorisch: «Ich traue der Schweiz den WM-Titel zu!» 

Der Bündner empfängt die GlücksPost vor den Toren der Alpenstadt Chur, im ­Golfclub Domat/Ems, wo er als Manager fungiert. «Das Schweizer Team befindet sich auf dem ­Zenit seines Könnens», so der ehema­lige Goalie. «Es spielt seit Jahren konstant auf höchstem Niveau und verlor im vergangenen Jahr erst im Final gegen Tschechien 0:2», begründet Tosio seine ­hohen Erwartungen. Er werde vor dem Fernseher zwar mitfiebern, aber entspannt, ergänzt der WM-Vierte von 1992 und viermalige Schweizer Meister mit dem SC Bern.

Nach überragenden Leistungen skandierten die SCB-Fans jeweils lautstark ­Tosios Namen, sodass der Publikumsliebling aufs Eis zurückkehrte und zu seinem legendären Spagatsprung ansetzte. Sein Markenzeichen zeigt er noch heute – auf dem Golfplatz. «Wenn mir ein perfekter Putt gelingt, mache ich den Spagatsprung», sagt Tosio mit einem Lächeln im Gesicht. Sein Handicap beträgt 15,6. «Ich habe keine Ambitionen, ein einstelliges Handicap zu erreichen. Beim SC Bern war ich ehrgeiziger.» An seinen allerersten Abschlag könne er sich noch gut erinnern, ­erzählt Tosio. Im Trainingslager mit dem SCB in Turku (Finnland) stand eine Golfrunde auf dem Programm. «Ich schlug den Ball beim Abschlag mit dem Driver direkt in die etwas rechts gelegene Starterhütte. Von dort spickte der Ball zu mir zurück und blieb schliesslich hinter der Abschlagslinie liegen. Das schallende Gelächter der Mitspieler habe ich heute noch in den Ohren.»

Hütedienst am Mittwoch

Die Leidenschaft zum Sport ist Renato Tosio geblieben. Er geht jeden Tag zweimal mit Hündin Feya, einem ­Hovawart, spazieren. Im Sommer fährt er Mountainbike, Rennvelo, spielt Golf, wandert, klettert in den Bergen, geht fischen und auf die Jagd. Im Winter macht er Skitouren, ist auf Skipisten und Langlaufloipen anzutreffen. Mit Sohn Maurin (25) spielt «Toto» in der Eishockey-Plauschequipe Calanda Wolves in Haldenstein GR. «Die Familie ist das Wichtigste in meinem Leben», sagt Tosio. Seit 33 Jahren ist er mit Nicole (57) ver­heiratet. Gemeinsam haben sie drei Kinder grossgezogen – Maurin und die beiden Töchter Andrina (32) und Larina (28). Grosskind Liuna Ayla bereichert seit 16 Monaten das Familienleben und freut sich jeden Mittwoch auf den «Hütetag» mit Neni Renato. Das Einfamilienhaus mit Umschwung in Haldenstein, wo Nicole und ­Renato Tosios Kinder aufgewachsen sind, soll bald zu einem Mehrgenerationenhaus mit zwei Wohnungen und einem Stöckli umgebaut werden, sodass die Familie wieder vereint ist.

Grenzerfahrung am Biancograt

«Die Natur ist mein Kraftort», sagt Renato Tosio. «In den mächtigen Bergen werde ich demütig und merke, wie klein ich bin.» 2015 stieg er gemeinsam mit dem bekannten Bergführer Norbert «Noppa» Joos über den schmalen und exponierten Bianco-grat auf den Piz Bernina, mit 4049 Metern einziger Viertausender der Ostalpen. «Es war das Grösste, was ich je gemacht habe. Aber ich stiess an meine ­Grenzen. Nicht ganz schwindelfrei, konzentrierte ich mich nur noch auf den nächsten Schritt und Griff.» Zurück auf dem Morteratschgletscher war ­Tosio nudelfertig. Er zückte sein Handy. «Ich sagte meiner Frau Nicole, dass sie mich zurück­halten soll, falls ich ­jemals wieder zu einer solchen Bergtour aufbrechen will.» Ein Jahr später stürzte Joos am Piz Bernina auf der gleichen Route in den Tod. 

Kraftort Kirche

Kraft tankt «Toto» auch in der Erlöserkirche in Chur. Jeden zweiten Sonntagabend besucht der gläubige Katholik den Gottesdienst. «In der Kirche kann ich meinen ­eigenen Gedanken nachhängen und in ­Erinnerungen schwelgen», sagt er. 

«Ich will Spass und Freude haben. Und ermöglichen, nicht verhindern! So vertreibe ich Verdruss. Das war schon ­immer mein Lebensmotto.» Deshalb ­bezeichnet sich Tosio nicht als Chef seiner 25 Mit­arbeitenden im Golfclub Domat/Ems, sondern als Teil eines gut funktionierenden Teams. «Beim SCB hatte ich nur deshalb Erfolg, weil ich vor mir eine starke Mannschaft hatte.» 

Wenn die Eishockey-Legende im Golfcart über die gepflegten Fairways fährt, mit Gästen einen Schwatz hält und in der einzigartigen Tomalandschaft bei Domat/Ems fasziniert die Natur betrachtet, spürt man: Renato Tosio blüht auf. So wie eine Blume in ­einer Vase. Eine SCB-Anhängerin hatte ihn einst angefragt, ob sie eine Dahlien-Sorte nach ihm taufen dürfe. ­«Natürlich habe ich eingewilligt. Wenn ich den Alltag verschönern kann, mache ich das doch ­gerne», sagt Renato Tosio herzhaft ­lachend.