«Um mich zu schützen, musste ich stark werden»

Grosser Auftritt für die Französin im Tessin: Die Schauspielerin wird am Filmfestival von Locarno für ihre Karriere geehrt. Diese musste sie sich hart erkämpfen. Aber auch zu ihren ­Top­model-­Zeiten gab es schwierige Momente.

Das jugendliche Aussehen, das gar nicht zu ihren 43 Jahren passen will, täuscht. Ebenso die mädchenhafte Stimme: Laetitia Casta ist eine Frau mit ganz klaren Ansichten und starker Durchsetzungsfähigkeit. Und die Aussagen der französischen Schauspielerin, die in jungen Jahren als Topmodel bekannt war, deuten auch darauf hin, dass sie in ihrer Ehe tonangebend ist.

GlücksPost: In Locarno, wo Sie am 4. August mit dem Ehrenpreis «Excellence Award» ausgezeichnet werden, wird mit «L’homme fidèle» («Ein Mann zum Ver­lieben») ein Film von Ihnen gezeigt, den Ihr Mann Louis Garrel inszeniert hat. War es eigentlich ein Traum, mit ihm zu arbeiten?

Laetitia Casta: Überhaupt nicht! Als er mich fragte, sagte ich erst mal Nein. Ich fürchtete, das wäre nicht gut für unsere Ehe. Ich bin es nicht gewohnt, mit jemandem aus meiner Familie zu drehen, denn ich habe mir diesen Beruf mühsam erarbeitet. Bei ihm war das ganz anders. Seine ganze ­Familie ist in dieser Branche, ­Louis wurde regelrecht ins Kino hineingeboren.

Was hat Sie umgestimmt?

Ich dachte, dass wir diese krea­tive Erfahrung teilen sollten, vielleicht würde mir sonst etwas entgehen. Und ich habe es auch nicht bereut, selbst wenn es nicht immer ­angenehm war.

Was war denn unangenehm?

Weil ich beim Dreh meinen Standpunkt klar vertreten habe. Ich habe ihm gesagt, wie ich meine ­Figur interpretieren möchte, und er hat verstanden: Hier hat er es mit einer Schauspielerin zu tun und nicht mit der Ehefrau, wie er sie von zu Hause kennt. Mittlerweile hat er sich daran gewöhnt. Bei unserer zweiten Zusammenarbeit in «La Croisade», die am Filmfesti­val von Cannes urauf­geführt wurde, war das schon leichter.

Das heisst, Sie haben sich da schon Schlachten geliefert?

Hier geht es nicht um Machtkämpfe. Wir wollen einfach beide zusammen einen tollen Film machen. Es gibt nur noch eine Meinungsverschiedenheit. Ich habe ihn gebeten: «Nenn mich beim Dreh nicht ‹Amour›!» Und am ersten Tag hat er es prompt getan. Das war mir so etwas von peinlich!

Gibt es denn grundlegende Unterschiede zwischen Ihnen beiden?

Louis kann sehr unsicher sein. Kurz bevor wir «La Croisade» in Cannes zeigten, machte er sich riesige Sorgen, dass niemand in die Vorführung kommen würde. Als es dann so weit war, hat er jeden einzelnen Zuschauer ­gezählt, was ich sehr berührend fand. Ich habe mehr Selbstvertrauen, weil ich mir meine Karriere so richtig erkämpfen musste. Denn wenn du als Model Schauspielerin werden willst, wirst du erst mal nicht richtig ernst genommen. Aber es waren so viele Emotionen in mir, die ich unbedingt ausdrücken musste. Und ich war gezwungen, über meine Grenzen hinauszugehen. Ich erinnere mich, als junges Mädchen zu meinem Vater gesagt zu haben: «Ich will das Gleiche machen wie ein Mann!» Als er meinte, dass ich das nicht könne, gab ich zurück: «Ich mache es trotzdem.» Es gab keine andere Wahl.

Sie und Louis Garrel sind im März Eltern eines Sohnes geworden. Sie haben zudem aus zwei anderen Beziehungen drei Kinder im Alter von 19, 14 und 11 Jahren. Sind sie anders drauf als Sie?

Sie machen sich wesentlich mehr Gedanken über die Zukunft unseres Planeten als ich. Ich war seinerzeit viel naiver. Mich interessierten nur Fragen wie «Was ­mache ich mit meinem Leben?». Ihr Leben ist wegen Covid auch um einiges komplizierter.

Wie haben Sie ihnen in dieser Situation geholfen?

Ich habe versucht, Selbstsicherheit auszustrahlen und nicht zu zeigen, dass mich die Situation nervös macht. Wir haben viel ­miteinander gesprochen. Meine 19-Jährige, die immer noch daheim lebt, hat alles sehr bewusst wahrge­nommen, und das hat ihr schon Angst gemacht. Meine Kleine konnte sich da leichter dran gewöhnen. Ihre Haltung ist: «Ich muss eine Maske auf­setzen? Okay, dann mache ich das!»

Als Sie ein junges Mädchen waren, stand es ja um die Rechte von Frauen wesentlich schlechter als heute. Wie haben Sie das ­seinerzeit erlebt?

In meiner Model-Zeit war ich schon mit komplizierten Situationen konfrontiert, in denen ich wie ein Ding behandelt wurde. Man hat völlig respektlos mit mir gesprochen. So blieb mir nichts anderes übrig, als einen starken Charakter zu entwickeln, weil ich mich selbst schützen musste. Ich habe keine Opfermentalität.

Das bedeutet, Sie müssten Bewegungen wie «MeToo» will­kommen heissen.

Ich muss zugeben: Teilweise wird mir das zu radikal. Und damit habe ich ein Problem. Denn ich habe schliesslich auch einen Sohn. Und der meinte zu mir: «Mama, ich glaube, Frauen haben vor Männern Angst. Kann ich denn noch einem Mädchen hinterherschauen?» Die Dinge sind eben nicht schwarz-weiss, man muss auch die Grautöne sehen. Aber andererseits hatten wir keine andere Wahl. So viele Frauen wurden von Männern umgebracht, ohne dass Polizei und Justiz dem grossartig Beachtung geschenkt hätten. Als wir darauf aufmerksam machen wollten, hat das niemanden interessiert. Also blieb uns nichts anderes übrig, als unsere Stimme zu erheben und zu schreien. Und das hatte denn eben auch eine posi­tive Wirkung.

Haben Sie denn Vertrauen in die Generation Ihrer Kinder, dass sie all diese Probleme auch lösen können?

Doch, absolut. Vielleicht bin ich da zu optimistisch. Aber als ­Mutter glaube ich daran, dass ­meine Kinder die Welt verändern können.