Der Tod war eine Erlösung für sie

Mit 86 Jahren starb die Schauspielerin, die die Schweizer als Tante Martha aus «Fascht e Familie» liebten. Sie litt unter ihrer Demenz, habe sich dennoch ans Leben gekrallt, sagt ihr Bruder Alfred.

Der ältere Herr ist topfit. Kein Wunder: Alfred Roth (83) bewohnt in Basel im fünften Stock eines alten Häuserblocks, ohne Lift, eine zweistöckige Traumwohnung voller Erinnerungsstücke. Besonders viele an seine geliebte Schwester Trudi Roth, die am 11. Juni 86-jährig in einem Zürcher Spital starb. «Sie wollte keine Beerdigung. Wir haben sie still und leise in Zürich in einem Urnengrab beigesetzt», erzählt der Basler. «Wir waren nur zu dritt – mit mir zwei enge letzte Wegbegleiterinnen von ihr.» «Alfredli», wie ihn seine ältere Schwester immer gerufen hat, ist froh, dass Trudi ihren letzten Weg gehen konnte. «Das letzte halbe Jahr ihres Lebens war ein Drama», erzählt er. «Die Demenz kam schleichend. Langsam ging ihr Gedächtnis weg.»

Erstmals aufgefallen sei es vor fünf Jahren – bei ihren letzten Bühnenauftritten. «Sie versuchte aber zu vertuschen, dass sie ihre Texte im Stück ‹Huusfründe› von Charles Lewinsky, das sie zusammen mit Elisabeth Schnell spielte, nicht mehr behalten konnte.» Dass sie Bruder Alfred bat, ihr bei Einzahlungen und bei der Buchhaltung zu helfen mit der Ausrede, sie käme da nicht mehr so mit, machte ihn misstrauisch. «Zum Glück haben wir beide beim Notar eine gegenseitige Unterschrift geleistet, als sie noch wusste, was sie unterschreibt.»

Im Zürcher Seefeld konnte man Trudi Roth in den letzten Jahren mit ihrem geliebten Hündli regelmässig antreffen. Aber immer öfter sei sie Bekannten ausge­wichen, um nicht über ihren Zustand reden zu müssen. «Wir haben jeden Tag telefoniert. Zwei bis drei Mal pro Woche fuhr ich nach Zürich, als alles noch normal war. Dann kamen Mahnungen, die sie einfach ablegte. Am Telefon hat sie zuletzt fünfmal täglich gefragt, was heute für ein Tag sei, sie hätte das Zetteli verloren, wo sie es aufgeschrieben habe», erzählt Alfred Roth. Als er ihren langsamen Zerfall bemerkte, reiste er fleissiger nach Zürich. «Ich kochte für sie, aber sie ass und trank kaum noch etwas. Auch Lesen war ihr zu anstrengend geworden. Dann liess sie sich richtig gehen, was überhaupt nicht zu ihrer Eitelkeit passte. Sie liess sogar die Haare wachsen. Es interessierte sie überhaupt nichts mehr.»

Im letzten halben Jahr wusste Alfred, dass es mit seiner Schwester zu Ende ging. «Zuerst wehrte sie sich gegen die Spitex, weil sie niemanden bei sich duldete. Später im Spital hat sie laut ausgerufen und geschimpft.» Das letzte Mal habe er sie wenige Tage vor ihrem Tod gesehen. «Trudi krallte sich ans Leben. Ich sagte ihr: ‹Lass doch los, du kannst gehen und brauchst keine Angst zu haben.› Bei dieser Gelegenheit nahm ich Abschied von ihr. Sie spürte wohl, dass ich da bin, nahm mich aber nicht mehr wahr.»

Alfred C. Roth ist der letzte Überlebende der Roth-Dynastie. «Wir waren drei Kinder. Der ältere Bruder, Buchhändler in Holland, starb 2003. Ich lernte Fotograf. Aber weil man damals auch Tote fotografieren musste und ich immer Musik-Fan war, arbeitete ich bis zur Pension in der Musikbranche, zuletzt als Chef der Unterhaltungs-Abteilung von Musik Hug.» Was passiert mit ihrem und seinem Erbe, wenn auch er nicht mehr da ist? Alfred Roth: «Trudi hatte einen tollen Steuerberater. Ich werde mit ihm besprechen, was wir machen könnten.»