Trotz 100 Knochenbrüchen verliert sie ihr Lächeln nicht

Seit ihrer Kindheit sitzt Vanessa Grand wegen ihrer Glasknochenkrankheit im Rollstuhl. Obwohl ihr Leben von Frakturen und Therapien geprägt ist, bleibt die Musikerin optimistisch. Sie setzt sich sogar in der Politik für Menschen mit Behinderungen ein.

Vanessa Grand (45) ist gerade einmal sieben Monate alt, als sie sich zum ersten Mal etwas bricht. Sie sitzt bei ihrem Papi auf dem Schoss. Er greift ihre Zehen, als es in ihrem Oberschenkel einen Knacks gibt. Es folgen ­etliche Besuche im Spital und beim Hausarzt. Ein halbes Jahr später steht Grands Diagnose eindeutig fest: Sie leidet an Osteogenesis imperfecta, besser bekannt als Glasknochenkrankheit. Dabei handelt es sich um eine seltene Erbkrankheit. Die Erkrankung bringt eine extrem hohe Knochenbrüchigkeit mit sich, die sich je nach Schweregrad unterscheidet. Osteogenesis imperfecta kann auch mit weiteren Symptomen einhergehen, so etwa Schwerhörigkeit, Kleinwuchs, Skelett­deformierungen, Kurzsichtigkeit oder blauen Skleren. 

Ihre Behinderung, wie Vanessa Grand die Erkrankung nennt, bringt täglich ein enormes Risiko mit sich. «Ich kann nicht sagen, ob ich am Abend nichts gebrochen habe», sagt die Schlagersängerin, die seit ihrer Kindheit auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Die Diagnose beeinflusst sie schon in jungen Jahren. Wenn andere Kinder Fussball oder Verstecken spielen, kann die Walliserin nicht mitmachen. Das sei zu gefährlich gewesen. Stattdessen beschäftigt sie sich mit ungefährlichen Aktivitäten wie Lesen. «Man bleibt weniger lange Kind», meint Grand rückblickend. Ihre Kindheit besteht aus vielen Operationen und Therapien, denn immer wieder zieht sie sich Frakturen zu. «Meine Eltern sagen, wenn ich alles zusammenzähle, komme ich bis heute auf etwa 100 Brüche», erzählt Vanessa Grand. Zuletzt hat sie sich 2019 an ­beiden Unterschenkeln eine schwere Fraktur zugezogen.

In ihrem Alltag ist sie auf Unterstützung angewiesen. Deshalb lebt Grand bei ihren Eltern. «Ich habe das grosse Glück, dass ich so sehr viel freier bin», betont sie. Ansonsten bräuchte sie Hilfe von einer Spitex. Das würde noch mehr Planung und Organisation für sie bedeuten. Ihre Mutter und ihr Vater versuchen seit Vanessas Kindheit alles, um ihrer Tochter ein so normales Leben wie möglich zu bereiten. «Meine Eltern waren darin recht hartnäckig.» So schaffen sie es, dass Grand eine ­normale Schule besuchen kann.

Dennoch kämpft sie schon ihr Leben lang mit Einschränkungen und Vorurteilen wegen ihrer Behinderung. «Man wird oft darauf reduziert, und Leute nehmen an, dass man vieles nicht kann.» Auch in der Arbeitswelt habe sie das schon zu spüren bekommen, als sie lange keinen Job gefunden hat. Die Ausgrenzung könne für Menschen mit Behinderung zur grossen Belastung werden. Sie selbst sei ein ziemlich resilienter Mensch. «Von meinen Eltern habe ich gelernt, dass es immer, wenn etwas nicht geht, einen anderen Weg gibt. Ich kann nicht Ski fahren, dafür habe ich die Musik», erklärt sie. Diese Leidenschaft gibt ihr viel. «Musik ist inklusiv», sagt Grand. Es sei egal, ob jemand gross oder klein, arm oder reich sei. Wenn sie auf der Bühne stehe, gehe es um sie und ihre Stimme und nicht um ihre Behinderung.

Mehr Inklusion wünscht sich die Walliserin, die an der Berner Fachhochschule arbeitet, in allen Lebensbereichen. Deshalb setzt sich Vanessa Grand auch politisch für Menschen mit Behinderungen ein. Vergangenes Jahr war sie Teil der ersten Behindertensession im Bundeshaus Bern, wo sie um Mit- und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen gekämpft hat.

Ihre Erfahrungen will Vanessa Grand demnächst zu Papier bringen. «Ich möchte schon länger ein Buch schreiben.» Sie sei sich aber noch nicht sicher, ob es eine Biographie werden soll oder eine Erzählung von lustigen Alltagsgeschichten, die sie mit ihrer Behinderung erlebt. Denn ­etwas ist Vanessa Grand ganz wichtig: Trotz ihrer Rückschläge geht sie mit Humor durchs Leben.