Sommerferienzeit – Leidenszeit

Während sich der Mensch auf seine Auszeit freut, ist der Urlaub für Tiere ein Horror: fremde Ferienplätze, die Familie weg. Das ist noch ein gutes Szenario – doch nicht der Normalfall.

Wer etwas älter ist, kann sich an die dramatischen Bilder erinnern: Zur Zeit der Sommerferien sah man Hunde an Leitplanken von Autobahnen oder an Raststätten angebunden – ausgesetzt, weil in der Feriendestination keine Hunde erlaubt waren oder die Besitzer realisierten, dass Reisen mit einem Tier nicht ganz so einfach ist. Oder ganz grundsätzlich: Den Vierbeiner mit seinen lästigen Bedürfnissen loswerden wollten. Schön praktisch. 

Solche Impressionen gibt es heute in der Schweiz kaum mehr: «Die Hunde müssen nach der Geburt gechippt werden», erklärt Tierschützerin Susy Utzinger: «Sollte also jemand auf die Idee kommen, seinen Hund irgendwo zurückzulassen, wird man ihn schnell identifizieren. Zudem ist ein solches Verhalten strafrechtlich relevant.» 

Angesprochen auf die Sommerferienzeit entfährt der passionierten Tierfreundin ein Seufzer: «Es ist immer noch ein Riesenthema. Heute sind es in der Schweiz eher Meerschweinchen, Kaninchen oder Katzen, die im Wald ausgesetzt werden. Denn die sind nicht gechippt.»

Bei Hunden müssen sich die Besitzer die Mühe machen, einen Ferienplatz zu finden. Schwierig: «Wer jetzt noch einen Platz sucht, ist eigentlich schon zu spät dran. Alle Tierheime sind überbelegt.» Ferienplätze bieten sie fast alle an – damit finanzieren sich die Anlaufstationen für Tiere, die kein Zuhause mehr haben.

Eine weitere Möglichkeit sind Leute, die privat Petsitting anbieten. Wer «Ferienplatz» und «Hund» googelt, erhält unzählige Treffer in der Suchmaschine. Einige werben sogar jetzt noch mit freien Plätzen. «Es gibt viele tierliebe Menschen, die das freiwillig machen», weiss Utzinger. Dennoch ist Vorsicht geboten: «Wenn der oder die Anbieterin eine Ausbildung mit Tieren gemacht hat, ist das schon mal ein gutes Zeichen. Trotzdem sollte man sich die Ferienplätze gut anschauen. Es geht dabei nicht nur um Kontrolle, sondern auch darum, dass der Hund den Ort kennt, wenn er dereinst da abgegeben wird. Das wird sein Stresslevel drastisch reduzieren, zumal ja seine Familie weg ist.» Falls irgendwie möglich, empfiehlt Utzinger, den Hund schon mal ein paar Tage probehalber an den ausgesuchten Ort in die Ferien zu geben.

Verhältnisse wie bei uns vor der Einführung der Chips gibt es in vielen europäischen Ländern nach wie vor: «Etwa spielende Welpen am Autobahnrand in Rumänien, die Strassenhunde in diesem Land sind legendär.» Die Susy Utzinger Stiftung für Tierschutz betreibt allein in Rumänien vier Hospitäler für heimatlose Tiere und unterstützt viele Tierheime. «Strassentiere verunfallen, werden von anderen Tieren und Menschen in schrecklichem Ausmasse misshandelt. In den letzten Jahren konnten in unseren Hospitälern über 50  000 Tiere in Not behandelt werden.» Sie alle wären sonst aufgrund der Tierarztkosten, die niemand für herrenlose Tiere übernehmen will, kläglich auf der Strasse verendet.

«Im August haben wir unseren jährlichen Einsatz», erzählt Utzinger. Eine Woche lang wird sie mit einem Team in Rumänien unter anderem Hunde und Katzen kastrieren. «Das ist eine reine Fleissarbeit: einfangen, narkotisieren, kastrieren, wieder freilassen. Wir sind das ganze Jahr über vor Ort und bilden Leute dafür aus.» Auch in der Schweiz ist die unkontrollierte Vermehrung von Katzen ein grosses Problem und so werden auch hierzulande Katzen konstant kastriert. Tierleid im Urlaub zeigt in Zeiten von Social Media eine ganz neue, hässliche Fratze: «Dein Like – sein Leid», nennt es Utzinger, die Seminare zum Phänomen durchführt und auf Anfrage Informationsflyer verschickt (siehe Box). «Es ist absurd, was Touristen mit Tieren, die sie am Ferienort vorfinden, tun, um Likes zu bekommen – ein grauenhafter Trend.» Sie erinnert sich an eine Szene, in der ein Mädchen einem Hund einen Glasbehälter über den Kopf stülpte und ein Selfie mit dem panischen Tier machte. «Die Leute finden das lustig. Und wenn sie sehen, wie viele Likes es gibt, machen sie es nach.»

Wer nach der Lektüre dieses Artikels denkt, dass es wenigstens die Hunde in der Schweiz gut hätten, irrt sich: Ein nicht neues, aber stetig grösseres Problem sind Hundeimporte. «Das ist sicher ein Herzensbedürfnis, aber man kann Tiere nicht einfach bestellen», mahnt Utzinger: «Man sollte das Tier ein paar Mal gesehen haben, bevor man es definitiv zu sich nimmt.» Wer an Tiermärkten wie in Paris ein Hündchen shoppt, kann das natürlich nicht. Diese Praxis führt die ganze Sicherheit, die mit dem Chippen aufgebaut wurde, ad absurdum. Abgesehen davon sind die meisten derart erworbenen Tiere krank, überzüchtet und schlecht gehalten. Die Vorgeschichte des Tiers und seine Traumata liegen im Dunkeln.

Zynischer geht es kaum: Den lästigen Hund vor den Ferien loswerden und im Ferienland einen neuen zutun. Der bald genau so lästig wird wie sein Vorgänger.