So frei wie noch nie – mit grossen Träumen

Sein neues Leben nach dem «Kassensturz» geniesst der Berner sehr. Und er hofft, bald politisch fürs Volk kämpfen zu dürfen.

Lässig lehnt Ueli Schmezer (61) am Geländer der Kirchenfeldbrücke in Bern, im Hintergrund thront das Bundeshaus. Was für die vorbeigehenden Touristinnen und Touristen nicht mehr als ein Selfie-Sujet darstellt, ist für den einstigen «Kassensturz»-Moderator viel mehr: Er träumt davon, im Herbst in den Nationalrat gewählt zu werden.

GlücksPost: Sie kandidieren für die SP-Sektion Bern Ost. Warum? 

Ueli Schmezer: Für mich hat der Weg schon vor ein paar Jahren angefangen, als ich begann, mich intensiver mit politischen Themen zu befassen. Irgendwann wurde es dann konkreter, und für mich war klar: Wenn ich etwas verändern will, muss ich in die Politik. Aber: Ich wollte bei SRF einen sauberen Schlussstrich ziehen und erst dann einer Partei beitreten.

25 Jahre waren Sie beim «Kassensturz» tätig, machten sich für die Rechte der Konsumentinnen und Konsumenten stark. Warum sind Sie nicht früher Politiker geworden?

Der Kassensturz war mein Job. Dennoch habe ich innerlich alle paar Jahre Diskussionen mit mir geführt, vielleicht doch mal in eine andere Richtung zu gehen. Aber ich kam immer wieder zum Schluss, dass ich eine sehr erfüllende Tätigkeit habe. Es gab nie die Dringlichkeit, etwas zu ändern.

Im Januar 2022 haben Sie den Schritt gewagt und SRF den Rücken gekehrt. Wie ging es Ihnen danach?

Es war recht heftig. Ich war so lange in den Produktionsrhythmus der Sendung eingespannt gewesen. Daran, dass ich plötzlich selbst über meine Zeit bestimmen konnte, musste ich mich erst gewöhnen (lacht). Jetzt ist es mega!

Also wollen Sie in Zukunft keine SRF-Sendung mehr moderieren?

Nein, in meinen Gedanken kommt keine Sendung vor. Ich habe einen Schnitt gemacht und meine neuen Tätigkeiten gefunden. Ich freue mich sehr darüber, lerne quasi einen neuen Job. Und ich hoffe -natürlich, dass ich im Oktober einen Sitz für die SP im Kanton Bern zurückholen kann!

Als Mann bei der SP gewählt zu werden, ist aber nicht ganz leicht. Was, wenn es nicht klappt?

Klar, wäre ich enttäuscht, aber so ist die Natur einer Wahl. Und viele andere vor mir haben eine Niederlage ja auch überlebt. (Lacht.) Ich mache mir da keine Gedanken, bis es so weit ist.

Wo sehen Sie für sich die grössten Herausforderungen als Politiker?

Wenn ich Debatten anschaue, gehe ich manchmal in die Luft, weil mich so aufregt, was da gesagt wird. Dann muss ich kurz auf fünf zählen, um mich wieder zu sammeln. Es würde sicher eine Herausforderung, selber cool zu bleiben.

Wie wollen Sie diese meistern?

(Lacht.) Ich denke nicht, dass ich immer cool bleiben würde. Das möchte ich auch gar nicht. Wenn man will, dass die Botschaft rüberkommt, braucht es Intensität. Die wäre bei mir bestimmt gegeben (grinst). Aber klar: Immer gleich ausflippen geht auch nicht. 

Apropos Botschaft: Für welche Themen wollen Sie sich einsetzen?

Ich möchte auch in der Politik Konsumentenschützer sein. Da gehört das ganze Leben dazu: Mieten, die man bezahlen kann, Krankenkassenprämien, die das Familienbudget nicht sprengen, Renten, die endlich dem Verfassungsauftrag gerecht werden, eine Arbeit, die anständig entlöhnt wird. 

Was stört Sie aktuell am meisten an der Schweizer Politik?

Dass im Parlament nicht wirklich viele echte Volksvertreterinnen und vertreter sitzen. Bei mir wäre das – ich glaube, das darf ich sagen – anders: Ich fühle mich seit vielen Jahren der Bevölkerung verpflichtet, den Menschen, die am Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen und Ende Monat einen Lohn erhalten und hoffen, dass er zum Leben reicht. Für sie möchte ich mich einsetzen.

Nebenbei arbeiten Sie u. a. als Medientrainer, Auftrittscoach und als Diskussionsleiter. Muss bei Ihnen denn immer etwas laufen?

Ganz ehrlich? Wenn es zwei Tage lang ruhig ist, werde ich unruhig (lacht). Aber ich entspanne auch gerne mal, indem ich mit dem Velo auf einen Hügel fahre, mich auf ein Bänkli setze und einfach in die Weite schaue.

Was sagt Ihre Frau Claudia dazu, dass Sie nach Ihrem TV-Aus schon wieder in die Öffentlichkeit treten?

Sie findet, dass das genau das Richtige für mich ist. Und ich bin schon so lange Zeit eine öffentliche Person, da ist der Schritt zur Politik nicht mehr gross.

Sie sind seit über 40 Jahren ein Paar, haben drei erwachsene Söhne. Was ist Ihr Liebesgeheimnis?

Ob das ein Geheimnis ist? Ich würde sagen: nie aufhören zu reden. Nie aufhören, sich mitzuteilen. Uns auszutauschen, war für uns immer selbstverständlich. Und irgendwann wird einem bewusst, dass dies ein wichtiger Pfeiler einer Beziehung ist. Ich glaube, diese Erkenntnis teilen wir mit vielen Menschen.

Diskutieren Sie am Familientisch auch politische Themen?

Ja! Wir sind eine totale Debattier-Familie und diskutieren sehr intensiv miteinander. Unsere Söhne haben keine völlig andere Haltung als ich. Aber sie stellen meine Ansichten durchaus in Frage und nehmen häufig einen anderen Blickwinkel ein. Das ist für mich sehr bereichernd.

Geht es um Gerechtigkeit, können Sie streng sein. Und als Vater?

Da bin ich ganz der Knuddelpapa – zumindest war ich das, als meine Buben klein waren. Ich habe bewusst viel Zeit mit meinen Kindern verbracht. Denn wenn man von Anfang an als Eltern präsent ist, hat man eine starke Basis für später. Auch dann, wenn die Kinder bereits ausgezogen sind.

Was bei Ihnen ja schon länger der Fall ist – Ihr jüngster Sohn ist 25. Wie waren diese Momente für Sie?

Sehr heftig und schmerzhaft. Aber das Schöne ist, dass sich die Beziehung zu den Kindern wandelt, in eine neue Phase tritt. Auch heute haben wir einen super Kontakt, sehen uns jede Woche. Das bedeutet mir viel.

So wie die Musik: Seit 2001 singen Sie in der Familienband «Chinderland», seit 2003 auch in der ManiMatter-Coverband «MatterLive». Haben Sie noch nicht genug davon?

Nein, solange man uns hören will, mache ich weiter. Durch die Musik betrete ich eine andere Welt, dann ist der Kopf total frei. Das ist wunderbar.

Sie sind Berner, Jurist und politisch interessiert – wie einst Mani Matter († 1972). Was gefällt Ihnen an ihm?

Stimmt. Ich mag nicht nur seine Lieder, sondern auch die vielen politischen Botschaften dahinter. Besonders jetzt, wo ich mich noch vertiefter mit diesen Themen auseinandersetze. Ich glaube, Matter war ein wirklich unabhängiger Geist. Das ist auch mein Ziel, falls ich es in die Politik schaffe. 

Wie genau meinen Sie das?

Dass ich in Diskussionen immer davon ausgehe, dass die anderen recht haben könnten. Ich möchte wirklich gewählt werden und werde mir Mühe geben, die Leute zu überzeugen. Aber egal, wie es ausgeht: Ich bin total happy, wie es gerade läuft. Ich habe weniger Verpflichtungen als jemals zuvor – und ich fühle mich so frei wie noch nie!