So bewahren sie ihr grosses Liebesglück

37 Jahre: Die Liebe des Ski-Stars und seiner Frau ist keine Bilderbuchgeschichte. Aber eine mit Vorbildcharakter. Das Paar hörte nie auf, sein Glück zu pflegen und daran zu arbeiten.

Unser Besuch bei Bernhard und Mari Russi beginnt mit Pleiten, Pech und Pannen: Den letzten Halt vor dem Gotthard verpasst, Umkehren in Bellinzona, aufwendiges Suchen einer Zufahrt zu Bernhard Russis Haus in Andermatt – das kostet Zeit. Er kommt uns schliesslich entgegen. In grauen Jeans, schwarzem T-Shirt und barfuss sieht er blendend aus mit seinen 72! Mari serviert uns einen langersehnten Kaffee. Mit Jeans-Shorts, T-Shirt, Pferdeschwanz und keiner Spur Make-up sieht die 60-Jährige unglaublich jung aus.

Die Veränderungen der letzten Jahre scheinen dem Ehepaar gutgetan zu haben: Bernhard quittierte 2017 seinen Dienst bei SRF. Als Ski-Kommentator war er über 30 Jahre lang jeweils das Winterhalbjahr abwesend. 2019 haben Russis das Pistenrestaurant «Wachthuus» in Andermatt übernommen, das von einem Pächter geführt wird. Und weil Russi und sein SRF-­Kollege Matthias Hüppi (63) im Scherz von einer Hochlandrinder-­Zucht gesprochen haben, sind sie nun Eigentümer dreier Rindviecher. «Wir haben aber nicht viel damit zu tun», betont Russi. Sein Amt als Pistenbauer wird er nach der Winterolympiade 2022 an den Nagel hängen. Nach wie vor ist er aber Verwaltungsrat und Verwaltungsratspräsident diverser Firmen: «Das ist anspruchsvoll und eine Herausforderung, die ich gerne annehme.»

Zu Bernhards Erleichterung hat Mari seit jeher ihre eigenen Pläne und ist unabhängig von An- und Abwesenheit ihres Mannes. «Als Partner eines Prominenten stehst du stets etwas im Schatten. Da musst du schon eine starke Persönlichkeit sein, um das zu ertragen», weiss er. Maris aktuelles Projekt ist die Kunstgalerie «Art 87», die sie 2017 mit zwei PartnerInnen eröffnete. «Andermatt ist ein lebendiges Dorf, man ist schnell in allen grossen Schweizer Städten, und es ist viel los. Das reisst mit.» Obwohl man hier in der schönen Natur so viel machen könne, brauche sie eine Aufgabe. «Es ist wunderbar, wie die Galerie mich näher zu den Einwohnern brachte.»

«Das ist Andermatt», fügt Bernhard an mit einer ausschweifenden Geste über Tal und Berge. «Du kannst so viel unternehmen – ob auf Wasser, Schnee oder Fels.» Und das nutzen er und Mari fleissig: Golf, Klettern, Tourenski, Langlauf … Er habe eben eine viertägige Skitour hinter sich, erzählt er und sagt mit einem liebevollen Seitenblick auf seine schwedische Frau: «Zum Glück fühlt sich Mari in Schnee und Bergen wohl, obwohl sie am Meer aufgewachsen ist. Und sie mag Sport, das ist etwas vom Wichtigsten, das uns verbindet.»

Seit sechs Jahren leben Russis vollständig in Andermatt. Als sie unter der Woche noch in Zufikon AG wohnten, verbrachten sie die Wochenenden und Ferien hier. «Es war immer klar, dass wir einst ganz in Andermatt landen», erläutert Mari. Nun ist ihr Mann auch im Winter zu Hause. Dass das Zusammensein sehr gut klappt, haben sie 2020 «getestet»: Als im März im Kanton Uri Hausarrest für Personen über 65 verordnet wurde, zog sich das Paar in seine Berghütte zurück. Kein TV, Handy-Empfang nur mit Glück. «Wir haben alles für drei Wochen mitgenommen, lebten auf engstem Raum. Es war wunderbar», schwärmt er. Mari ergänzt: «Nichts hat uns abgelenkt, es ging nur um Basisbedürfnisse wie Essen, Schlafen, Pulverschneefahrten und uns zwei.»

Die beiden haben immer wieder den Mut, ihre Beziehung zu testen, zu verbessern. Etwa 2009, als Bernhard einer erschütterten Schweiz ankündigte, er und Mari hätten sich nach 25 gemeinsamen Jahren getrennt. Es war jedoch eine Trennung mit Rückfahrtschein. «Unsere Liebe steckte in einer Krise», sagt er. «Wenn wir zusammengeblieben wären, hätte es keine Veränderung gegeben. Alles wäre geblieben, wie es ist. Es konnte nur besser werden.» Beide schauen lieber nach vorn als zurück und waren mutig genug, den Schritt zu wagen. «Es war eine gute Erfahrung. In der Trennung merkten wir, wie sehr wir den anderen vermissen und was wir falsch gemacht haben: zu wenig miteinander reden.» Das haben sie geändert, und seither fühle sich ihre Liebe ganz anders an. Eine tiefe Verbundenheit ist spürbar zwischen den beiden, die weder Worte noch Liebesgesten vor Fremden braucht.

Wir schauen uns Maris Galerie an. Bernhard setzt sich an den Flügel, der in einer Ecke steht. Hundert Jahre alt sei er – ein Geschenk von Mari zu Bernhards 65. Geburtstag. Völlig versunken spielt er «Imagine» von John Lennon. Er ist so vertieft, dass er die Aufforderung zu einem Foto nicht mitbekommt. Als er sich vom Piano loslöst, erzählt er, dass das immer ein Traum gewesen sei: «Als Barpianist, mit einem Glas Whisky auf dem Klavier, vor sich hinspielen. Irgendwann stellt dir ein Gast, der zuvor in einer Ecke Zeitung gelesen hat, ein neues Glas auf das Klavier und sagt: ‹Das ist für Sie!›»

Nach der Galerie zeigt uns Bernhard seine Lieblingskletterwand. Sie ist gleich unterhalb ihres Hauses. Über Leitern und einen leicht verfallenen Damm ist sie zu erreichen, beim Überqueren hilft ein dickes Stahlseil. Bernhard nimmt gleich eine der schwierigsten Routen, Mari sichert ihn. Als er wieder unten ist, haben wir mehr als genug Fotos. Doch Bernhard liess die Karabiner in der Wand – und klettert nochmals in die Höhe. Wir schauen etwas verdutzt. Mari erklärt: «Auf das hat er den ganzen Nachmittag gewartet. Wenn er schon am Klettern ist, will er das natürlich ausnutzen.»

Zurück bei Russis holt Mari ein paar Tafeln Schokolade hervor. Sie schüttelt die eine Packung und mutmasst: «Hat er die jetzt wieder leer zurückgelegt?» Zwei Täfelchen sind dann aber doch noch drin. Dazu legt Bernhard seine Lieblingsplatte auf: Crosby, Stills,  Nash and Young, er summt mit. Wir setzen uns auf die Terrasse. Bernhard holt seinen Feldstecher. «Ich mache es mir im Winter oft hier gemütlich und beobachte, wie die Skifahrer auf der Piste gleich gegenüber hinunterfahren.»

«Etwas chaotischer» sei sein Leben geworden, findet Bernhard. «Vorher, beim SRF-Job, musste ich besser strukturiert sein.» Nun hat er Zeit, neue Herausforderungen anzupacken – etwas, das wohl nie aus der DNA eines Spitzensportlers verschwindet. Im März absolvierte er den Wasalauf, ein schwedischer Langlauf-Marathon. Trotz heftiger Schmerzen, die sich schon im Vorfeld abzeichneten, biss er die Zähne zusammen, brachte den Lauf zu Ende. «Nach meiner Abfahrtskarriere war das definitiv das Verrückteste, was ich je gemacht habe.» Und sicher nicht das letzte hochgesteckte Ziel.