Sie taucht in Gotthelfs Sprache ein

Unter freiem Himmel, umgeben von der hügeligen Natur: Für die Schauspielerin ist es ein besonderes Gefühl, beim Landschaftstheater Ballenberg mitzuwirken. Die Bernerin ist aber in verschiedenen Welten daheim – wie sie es sich als Kind einst erträumt hat.

Von Aurelia Robles 

Wenn Anne Hodler (52) das Gelände des Ballenbergs betritt, überkommt sie ein spezielles Gefühl. Die Schauspielerin befindet sich auf dem weitläufigen Gebiet in den Endproben zum Stück «Der Geltstag» des Landschaftstheaters Ballenberg (2. Juli bis 16. August). «Es ist wunderschön hier, auch wenn das Wetter manchmal etwas rau ist», sagt die Schauspielerin.

Die Bernerin macht bereits zum vierten Mal beim Landschaftstheater mit. Ihre erste BallenbergProduktion liegt 25 Jahre zurück und prägte sie nachhaltig. «Ich erinnere mich, wie ich damals Abend für Abend die Geschichte erlebt habe. Es war nicht mehr gespielt. Ich wurde Teil dieser Welt», sagt sie. «Heute fühlt es sich wieder ähnlich an. Ich bin im Rustikalen dieser Szenerie und tauche in diese Atmosphäre ein.»

In Gotthelfs Welt

«Der Geltstag» ist ein Spätwerk von Jeremias Gotthelf (1797–1854). In Bern aufgewachsen, kennt Anne Hodler den im Emmental verstorbenen Schriftsteller seit ihrer Jugend. «Die GotthelfVerfilmungen habe ich alle geschaut.» An «Ueli der Knecht» und «Ueli der Pächter» und auch an den Roman «Die schwarze Spinne» erinnere sie sich noch bildhaft. «Ich war schon ziemlich jung wahnsinnig faszi-niert von dieser Sprache», sagt sie. «Auch heute könnte ich ertrinken darin. Und auf den Ballenberg passt Gotthelf geradezu perfekt.»

Das Stück war denn auch für das Jahr 2020 angedacht gewesen – doch die Pandemie verhinderte die Aufführung. «Damals sollten auch meine beiden Kinder mitspielen», erzählt Hodler. Sie probten bereits an zwei Wochenenden, bevor alles abgesagt wurde. Heute sind ihre Kinder 17 und 14 und haben wegen der Lehre und der Schule leider keine Zeit. «Aber sie erinnern sich noch gut an die Proben und die Theaterleute. Einige spielen auch jetzt wieder mit. Mit Pferden und Kindern auf der Bühne zu stehen, wird ein besonderes Erlebnis.»

Das Landschaftstheater nutzt historische Gebäude als Kulisse. Das Bauernhaus von Therwil wird in der Inszenierung von Regisseur Ueli Blum zum Gasthaus der Handlung, der «Gnepfi». Anne Hodler spielt die Figur Eisi, eine Lebefrau, die mit ihrem Mann Steffen das Wirtshaus führt. Zunächst läuft es gut, doch Schulden und seine Trunksucht ruinieren das Geschäft. Nach Steffens Tod will Eisi alleine weitermachen – doch als Frau wird ihr das verwehrt. Es kommt zum Konkurs, zum «Geltstag». Das Stück basiert auf einer Theateradaption von Autor Paul Steinmann. 

Vom Kinderzimmer auf die Bühne

«Chum us em Ei gschlüpft u scho buebig» – so würde es Gotthelf wohl ausdrücken. In Anne Hodlers Fall hiesse es: Kaum geboren und schon theaterbegeistert. Ihre erste Theatererinnerung geht zurück in den Kindergarten mit «Das tapfere Schneiderlein». Eine noch prägendere Erinnerung hinterliess bei der jungen Anne die Aufführung in der dritten Klasse. Im plattdeutschen Märchen «Von dem Fischer und syner Fru» verkörperte sie die Hauptrolle. «Ich habe die Frau gespielt, und meine Mitschüler haben mit Seidentüchern das Meer dargestellt – erst blau, dann weiss, dann blau-violett.» 

Daheim schuf sie in ihrem Kinderzimmer eigene Welten, indem sie Filme nachgespielt, aber auch Konzerte gegeben hat – besonders von Barbra Streisand (83). «Ich habe das voll gelebt», erzählt Anne Hodler. «Ich war so dabei, dass ich immer glücklich aus dem Zimmer kam.» Und so, sagt sie, sei Schauspiel früh zu ihrem Hobby geworden.

Im Gymnasium spielte sie in der dortigen Theatergruppe mit und bestand noch vor der Matur die Prüfung für die Hochschule für Theater in Bern. «Ich begann die Ausbildung, wollte mir aber die Option für ein Universitätsstudium offenhalten», erinnert sie sich. Dazu kam es nie. Als Einzige in der Familie ging sie in Richtung Bühnenkunst. 

In verschiedenen Welten daheim Anne Hodler ist freie Schauspielerin und braucht deshalb mehrere Standbeine. So moderierte sie einige Jahre die News von TeleBielingue, machte Radio und arbeitet heute auch als Kommunikationstrainerin. «Ich habe verschiedene Phasen erlebt, mal lief es gut, mal wusste ich nicht, wie es weitergeht. Das gehört zu diesem Beruf, ich bin es deshalb gewohnt, immer wieder kreative Lösungen zu finden.»

Von 2005 bis 2010 war sie Teil der SRF-Sketch- Show «Edelmais & Co.» mit René Rindlisbacher (62) und Sven Furrer (53). 2013 gewann Anne Hodler ein Off-Stage-Stipendium, investierte das Geld vor allem in ihre zweite Leidenschaft und nahm Gesangsstunden. 2015 gründete sie zusammen mit Myria Poffet die Band Die Lombardis. 2013 hat sie zudem mit Juri Steinhart und Matto Kämpf «Experiment Schneuwly» kreiert, mit dem sie bis heute Erfolge feiern kann. «Ich konnte mir das verwirklichen, wovon ich im Kinderzimmer geträumt habe. Mit eigenen Projekten unterwegs zu sein, ist besonders schön. Aber es braucht auch Sitzleder und Durchhaltewillen.» 

Bei sich und authentisch zu bleiben, ob privat oder beruflich, ist für Anne Hodler wichtiger als öffentlicher Erfolg. Sie ist glückliche Mutter zweier Kinder. «Ich wachse und lerne am Elternsein.» Daneben ist sie gerne kreativ: «Ich bastle gern und bin viel in der Natur.» Täglich geht sie am Fuss des Gurtens spazieren. «Das ist meditativ für mich. Beim Gehen sortieren sich oft die Gedanken.» Im Sommer zieht sie dann von ihrem Daheim in die Gegend des Ballenbergs. Ihre Vorfreude auf das Stück ist gross – oder um es in Gotthelfs Sprache auszudrücken: «Es triebt mir d Freud uverschämt uf mis Zifferblatt.»