Sie beschreibt ihr unfassbares Leiden im Verlies

Ihre Qualen waren unermesslich. Mit zehn Jahren entführt, eingesperrt, gequält, acht Jahre lebendig begraben. Dass sie ihr Martyrium überlebte, grenzt an ein Wunder.
 
Die junge Natascha Kampusch war auf dem Weg zur Schule. Nach einem Streit mit ihrer Mutter, von der sie sich deshalb nicht verabschiedet hatte, hing sie ihren Gedanken nach. Innert Sekundenbruchteilen veränderte sich ihr junges Leben dramatisch: Sie wurde vom Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil entführt und achteinhalb Jahre in einem Kellerverlies festgehalten. Über ihr grausames Schicksal hat die mittlerweile 22-Jährige ein Buch geschrieben, «weil ich mich nun stark genug dafür fühle und ein neues Leben beginnen will.»
 
Ihre Entführung
Im Buch beschreibt sie den 2.März 1998 so: «Dass ich entführt worden war und vermutlich sterben würde, war mir in dem Augenblick bewusst, in dem sich die Wagentür hinter mir schloss. Ich fragte mich, wie das wohl ist: sterben, und das danach? Ob man Schmerzen hat, kurz vorher? Und ob man wirklich ein Licht sieht.» Als sie ihren Entführer erstmals richtig sah, schauderte es sie. «Er sah mich an, wie ein Besitzer seine neue Katze betrachtet. Oder noch schlimmer: ein Kind sein neues Spielzeug. Als ich ihn fragte, ob ich missbraucht werde, antwortete er: «Dazu bist du viel zu jung. Das würde ich nie tun.»
 
Ihr erster Eindruck vom Täter
«Er kam mir jünger vor als am Tag der Entführung. Ein schmächtiger Mann mit weichen, jugendlichen Zügen, die braunen Haare ordentlich gescheitelt wie ein Musterschüler. Sein Gesicht war sanft und verhiess auf den ersten Blick nichts Böses. Erst wenn man ihn länger beobachtete, bemerkte man den Anflug von Wahnsinn, der hinter der spiessigen Fassade lauerte.» Sie täuschte sich nicht.
 
Ihre Einsamkeit im Verlies
«Ich fühlte mich in diesem unterirdischen Tresor wie lebendig konserviert. Das Gefühl der Ausweglosigkeit schnürte mich immer mehr ein. Gleichzeitig wusste ich, dass ich mich nicht erdrücken lassen durfte von meiner Angst.Weinen löste die Verzweiflung zumindest für kurze Zeit und beruhigte mich. Ich war schutzlos ohne meine Mutter, ohne meinen Vater. Das Wissen, dass sie ohne Nachricht von mir waren, machte mich todtraurig. Wenn mir der Entführer Essen brachte, kämpfte ich um seine Aufmerksamkeit, flehte, bettelte darum, dass er sich mit mir beschäftigt, mit mir spielte. Die Zeit allein im Verlies machte mich wahnsinnig. Er war der Einzige, der mich aus der beklemmenden Einsamkeit retten konnte. Er, der mir diese Einsamkeit angetan hatte.»
 
So quälte er sie
Der Täter erzählte Natascha, er hätte von ihren Eltern Lösegeld verlangt. Aber sie hätten kein Interesse an ihrer Freilassung. «‹Deine Eltern haben dich nicht lieb›, sagte er. ‹Sie wollen dich nicht zurück. Sie sind froh, dass sie dich endlich los sind.› Obwohl ich ihm nicht glaubte, kamen Zweifel auf.» Er bedrohte sie auch: «Wenn du nicht tust, was ich sage, muss ich dir das Licht abdrehen.» Und: «Wenn du nicht brav bist, muss ich dich fesseln.» Gegen Ende der Gefangenschaft war er am ehrlichsten: «Ich wollte immer schon eine Sklavin.» Bis er diesen Satz sagte, sollten für Natascha acht einsame Jahre vergehen.
 
Terror zwischen Hell und Dunkel
Zuerst liess ihr Peiniger nächtelang die Glühbirne an. Dann wieder überliess er die 10-Jährige der totalen Dunkelheit. «Dann fühlte ich mich von allem abgeschnitten: blind, taub vom andauernden Surren des Ventilators, unfähig, mich im Raum zu orientieren. Ich wusste, dass ich Gefahr lief, in dieser einsamen Dunkelheit den Verstand zu verlieren.» Später zeigte er seine Macht über Hell und Dunkel mit einer Zeitschaltuhr. «Von sieben Uhr in der Früh bis 20 Uhr hatte ich Strom. Später terrorisierte er mich mit einer Gegensprechanlage, um mich total überwachen zu können.»
 
Er hielt sie wie eine Sklavin
«Er schnitt mir eine Glatze. Nicht das kleinste Härchen durfte übrig bleiben. Nirgends. Ich musste im Haus halbnackt arbeiten, nur mit Kappe und Unterhose. Nie war ich vollständig bekleidet. Neben der Demütigung sollte mich das von einer Flucht abhalten. Ich musste kochen, putzen, umbauen, war Hilfsarbeiterin und Leibeigene in einer Person. Und immer wieder schlagen, treten, würgen, anschreien, im Laufe der Jahre immer brutaler und heftiger. Er wollte mich brechen, mich meiner Identität berauben. Ich musste sogar einen neuen Namen annehmen, er nannte mich Bibiana.» Ihr Resümee: «Es mag geholfen haben, dass ich noch ein Kind war. Als Erwachsene hätte ich diese extreme Form der Fremdbestimmung und psychischen Folter wohl kaum heil überstanden.»