Schreibtisch statt Sägemehl

Sein Leben ist ganz anders in diesem Jahr ohne Schwingfest. Nicht nur privat gab es Veränderungen: Der angehende Ingenieur aus Maienfeld hilft mit, eine neue Trainingshalle zu realisieren. Ein Herzensprojekt – von Schwingern für Schwinger gebaut.

Er hat sich verändert, seit die GlücksPost ihn das letzte Mal im Mai 2019 zum Interview getroffen hat. Nicht nur äusserlich mit seinen langen Locken, die ihn aussehen lassen, als wäre er der griechischen Mythologie entsprungen. Auch im Auftreten ist Armon Orlik ein anderer geworden. Der einst so wortkarge Schwinger ist zum Plaudern aufgelegt. Statt der für ihn bisher typischen, leicht verbissenen Entschlossenheit strahlt er Ruhe aus, wirkt locker. Was ist passiert?

Eben nichts. 2020 verlief ohne Schwingfeste. Und deshalb konnte der 25-Jährige sich einmal anderen Dingen widmen. Die steten, hohen Erwartungen, die er selbst, aber auch sein Umfeld an ihn als Athleten stellen – sie waren ein Jahr lang kein Thema. Und der ehrgeizige Bündner hat eingesehen: «Ich muss mehr mit mir zufrieden sein, auch wenn ich mal ein Fest nicht gewinne und die Ansprüche nicht erfülle.» Es sei zwar schön, dass die Leute auf ihn als Sieger setzten, doch das könne auch störend sein. Gerade wenn die Messlatte im engsten Kreis hoch gelegt wird: In Armons Familie haben praktisch alle mit Schwingen zu tun. Bruder Curdin (27) kämpft ebenfalls im Sägemehl, Mutter Helena (53) macht die Organisation für ihre Söhne, Vater Paul (57) ist Kampfrichter. «Für meine Familie ist meine Karriere schon sehr wichtig.» Bis vor einem Jahr wohnte Armon noch daheim und habe sich immer etwas beobachtet gefühlt. «Darüber muss man miteinander reden und einen Weg finden, damit umzugehen. Meiner war, auszuziehen.» Der jüngste der vier Orlik-Brüder wohnt nun in einer eigenen Wohnung, immer noch in Maienfeld, nicht weit von den Eltern entfernt.

Er ist ja auch noch mitten im Studium zum Bauingenieur, das er im 50-Prozent-Pensum absolviert. Das Gelernte kann er jetzt unter Beweis stellen: Armon gehört zum Projektteam für eine neue Schwinghalle, die in Untervaz GR gebaut wird. «Als man mich angefragt hat, mitzumachen, habe ich zuerst abgesagt. Ich dachte, ich könne das noch nicht.» Doch dann hat er seine Meinung geändert: «Es gibt genug Dozenten und Studienkollegen, die ich um Rat fragen kann.» Zudem sei er ein wichtiges Aushängeschild für das Projekt, das zu einem Teil aus einem Crowdfunding finanziert wird. Wem der Traditionssport am Herzen liegt, kann noch bis 23.11. einen Beitrag leisten (www.lokalhelden.ch/schwinghalle-ruefeli).

Die Halle, die vom Schwingklub Unterlandquart realisiert wird, soll auch für andere Sportarten wie Ringen und Nationalturnen genutzt werden und Athletinnen und Athleten in der ganzen Ostschweiz und Graubünden zur Verfügung stehen. Der aktuelle Schwingkeller ist zu klein geworden für den ganzen Nachwuchs. «Es wäre schade, wenn die Jungen nicht trainieren können, weil zu wenig Platz da ist», sagt Armon.

Der angehende Ingenieur ist zuständig für den Massivbau. Also das Untergeschoss aus Beton. In einer Woche sollen die Arbeiten beginnen. Ziel ist, im Winter so weit fertig zu sein, dass der Überbau aus Holz gemacht werden kann. «Dann haben alle zwei Wochen Ferien und können helfen», erklärt Armon. Die grösste Arbeit wird nämlich von Schwingern geleistet: «Darunter hat es so viele Leute vom Fach. Aber es müssen nicht alle Profis sein, wir brauchen auch Handlanger.» Abgesehen von den Schwingern werden ein bis zwei Mitarbeiter des Bauunternehmers auf der Baustelle sein, um die Arbeiten anzuleiten.

Sobald Armon seinen Teil der Arbeiten beendet hat, wird er sich wieder voll ins Training stürzen. «Zurzeit könnte ich kein Eidgenössisches gewinnen», scherzt er. Er habe bewusst nicht jeden Tag trainiert, um seinem Körper eine Pause zu gönnen. «Ich weiss inzwischen, was es braucht, um meine alte Form zu erlangen.»

An welchen Festen er teilnimmt, hat er noch nicht entschieden. Da ist immer noch der Bandscheiben-Vorfall von der Schwägalp-Schwinget 2019. Es ist zwar alles wieder gut, aber auf den Rücken aufpassen muss Armon schon. Damals hatte er es niemandem gesagt, um am zwei Wochen später stattfindenden Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest in Zug den Gegnern keine Schwachstellen zu offenbaren. Und trotz des Handicaps erreichte Armon am Schluss Platz 3.

Im Herbst 2021 stehen zwei wichtige Anlässe im Schwingkalender: Das Fest zum 125-jährigen Bestehen des Eidgenössischen Schwingverbands und der nur alle sechs Jahre stattfindende Kilchberg-Schwinget. Auf beide will sich Armon konzentrieren. Bei den anderen Anlässen werde er sich kurzfristig entscheiden. «Auf meinem Niveau, unter den Top 10 der Schwinger, kann man sich nicht zu spät anmelden.»

Einen solchen Satz hätte der bescheidene Maienfelder vor einem Jahr nie gesagt.