Nella Martinetti – Sie kämpft um ihr Leben

Als die Musikerin vor eineinhalb Jahren mit der Diagnose Krebs konfrontiert wurde, glaubte sie, dass sie 2009 ihr letztes Weihnachtsfest feiern wird. Jetzt kann sie bereits zum zweiten Mal unter dem Christbaum sitzen. Ist ihr Wille stärker als die Krankheit?

Nella Martinetti (64) sitzt an der Premiere des Weihnachtszirkus «Salto Natale» inmitten prominenter Freunde, lacht, flirtet, schäkert links und rechts. Die Kameras von Fernsehen und Medien halten alle Regungen der Tessinerin fest. «Mir geht es gut», sagt Nella jedem, der es hören will. «Ich habe den Krebs im Griff. Die vielen Chemotherapien konnten bis jetzt auch meinen Haaren nicht viel anhaben.» Nella Martinetti strahlt pure Lebensfreude aus.

«Du bist eine Simulantin und Lügnerin», «Du kannst ja gar nicht krank sein», «Aha, man hat Krebs, und man geht feiern» – das sind nur drei von Dutzenden von Beispielen an Briefen und E-Mails, die Nella Martinetti nach solchen privaten Auftritten erhält. «Wer Krebs hat, der soll gefälligst auch so leben, nämlich zurückgezogen», ist in etwa die Ansicht vieler. Nella schüttelt traurig den Kopf. «Solche Meinungen tun mir weh. Das ist nicht gerecht. Darf ich denn in meinem letzten Lebensabschnitt nicht noch ein bisschen Freude zeigen, wenn ich einmal kaum Schmerzen habe und nicht gerade einen Rückfall erlitten habe?»

Wie tödlich ist die Krankheit von Nella Martinetti wirklich? Wir wollten es wissen und fragten – mit Nellas Segen – bei ihrem Arzt nach. Zudem befragten wir einen neutralen Arzt.

Hier die Antworten von Dr. Peter Jaklin (48) vom Kantonsspital Männedorf ZH, der Nella seit ihrem ersten Aufenthalt nach der Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs vor anderthalb Jahren betreut.

GlücksPost: Viele bezeichnen Frau Martinetti als Simulantin und Lügnerin, weil man sie manchmal lachend an Partys sieht und weil sie nicht, wie andere Frauen mit Krebs, ihre Haare verlor.

Dr. Peter Jaklin: Frau Martinetti ist weder Simulantin noch Lügnerin oder gar Betrügerin. Sondern sie ist eine Patientin, die sehr gut auf eine intensive Behandlung anspricht. Ob sie nun einen aggressiven oder weniger aggressiven Krebs hat, ist augenblicklich nicht so relevant. Viel wichtiger ist, dass sie gut auf Chemotherapie und Bestrahlung anspricht. Es sprechen nicht alle Patienten so gut auf intensive Behandlungen an wie Frau Martinetti.

Gibt es in der Medizin Wunder? Und haben Sie als Arzt schon selbst welche erlebt?
Mit Wundern dürfen wir nicht rechnen. Aber es gibt eine grosse Spannbreite des Ansprechens auf eine Behandlung. Es gibt Patienten, die schlecht oder durchschnittlich ansprechen – und es gibt Patienten, die sehr gut auf eine Behandlung ansprechen.

Als Frau Martinetti vor anderthalb Jahren die Diagnose Pankreas-Krebs bekam, dachte sie, dass sie höchstens noch ein Mal Weihnachten erleben wird.
Frau Martinetti wurde von uns interdisziplinär behandelt, um möglichst viele Tumorzellen zu zerstören. In unserem Onkologie-Zentrum in Männedorf erhielt sie eine Chemotherapie mit mehreren Substanzen, zusätzlich wurde sie im Universitätsspital Zürich bestrahlt. Bei einer Bestrahlung wirken starke Strahlen, die mit ihrer Energie eine zerstörende Wirkung auf den Tumor haben.

Kann das auch Nebenwirkungen geben?
Es kann immer zu kleineren und grösseren Problemen kommen. So kann es Entzündungen im Mund als kleineres Problem und – wie kürzlich bei Frau Martinetti – vorübergehendes Nieren- und Gallenblasen- Versagen geben. Das kann tödlich sein. Dann muss sie sofort zu uns in die Klinik kommen. Weil sie dann schwer krank ist. Solche Zwischenfälle sind die Summe mehrerer kleiner, aber bedrohlicher Probleme.

Kann Bauchspeicheldrüsenkrebs prinzipiell geheilt werden?
Prinzipiell kann Bauchspeicheldrüsenkrebs in einem frühen Stadium geheilt werden. Handelt es sich aber um einen fortgeschritteneren Tumor, ist eine Heilung unwahrscheinlich.

Was trägt Frau Martinetti dazu bei, dass es ihr heute noch so gut geht? Sie selbst sagte, dass sie noch oft Weihnachten feiern will.
Wir haben sie letzte Woche nach den Problemen mit Nieren und Gallenblase in gutem Zustand entlassen. Sie hat gut gegessen und sich sehr auf ihre Buch-Vernissage gefreut.

Von vielen Leuten, die an diesem bösartigen Krebs litten, weiss man, dass sie höchstens noch sechs Monate leben konnten.
Kein Arzt kann sagen, wie lange man noch zu leben hat. Ein Arzt muss seine Patienten aber ausführlich über deren Erkrankung aufklären, ja. Aber fixe Zeiträume zu nennen geht nicht.

Was ist mit den Leber-Metastasen, die Nella im letzten August noch hatte?
Da kann man dasselbe sagen wie bei ihrem Bauchspeicheldrüsenkrebs: Sie hat sehr gut auf Chemotherapie und Bestrahlung angesprochen.

Ist der Wille von Frau Martinetti stärker als der Tod?
Bei jedem Krebskranken kommt es auf die physische und psychische Form der Bewältigung seiner Krankheit an. Das ist ganz wichtig.
<strong>INTERVIEW MIT DR. ANDREAS MÜLLER VOM ZÜRCHER GASTROZENTRUM HIRSLANDEN ÜBER DIE DIAGNOSE BAUCHSPEICHELDRÜSENKREBS:
GlücksPost: Bestimmt haben Sie über den tragischen Fall von Nella Martinetti gelesen, die an einer aggressiven Form von Pankreas- Krebs leidet. Ist diese Diagnose ein Todesurteil?
Dr. Andreas Müller: Das kann man so nie sagen. Es gibt immer Ausnahmen, Menschen, die das überleben. Leider hat so ein Tumor meistens einen tödlichen Verlauf. Trotzdem darf man einem Patienten nicht einfach sagen, er sei im statistischen Durchschnitt in drei Monaten nicht mehr da. Dem Einzelnen nützt das auch nichts. Die Chemotherapie greift heute recht gut und ist meist auch lebensverlängernd.

Wie lange lebt man mit dieser Krankheit normalerweise?
Patienten, die viel Lebensmut und Lebensfreude haben, können vielfach erstaunlich lange leben. Weil die positive Einstellung meistens eine Wirkung auf den Körper hat. Das sieht man auch bei Placeboversuchen. Wenn der Patient und der Arzt daran glauben, gibt es eine gute und positive Stimmung, gute Wellen, wie die Esoteriker sagen. Somit ist das gut möglich.

Können Sie sich erklären, weshalb es Frau Martinetti noch heute, eineinhalb Jahre nach der Diagnose, so gut geht?
Jeder Tumor hat eine verschiedene Aggressivität. Das kann sehr individuell sein.

Haben Sie es in Ihrer langjährigen Praxis schon einmal erlebt, dass jemand mit dieser Krankheit geheilt werden konnte?
Mehrere Patienten, ja. Wenn der Tumor kleiner als zwei Zentimeter ist, ist möglicherweise die Chirurgie erfolgreich. Bei nicht operablen Tumoren wie bei Frau Martinetti kommt es seltener zum Stillstand. Trotzdemgibt es immer wieder medizinische Wunder, wo ungeklärterweise eine Besserung eintritt. Bei Frau Martinetti könnte es an der Chemotherapie liegen.

Was raten Sie Patienten, denen Sie eine schlimme Diagnose stellen müssen?
Da wir allen Patienten in gewissem Masse helfen können, insbesondere auch die Beschwerden, welche dieser Tumor auslöst, behandeln oder bekämpfen können, versuche ich den Patienten zu motivieren, dass er die schulmedizinische Hilfe, welche auch aus einem eigentlichen Team von Therapeuten besteht, annimmt. Viele Patienten suchen in der Komplementär-Medizin weitere Unterstützung. Ich finde es wichtig, dass ich als Schulmediziner dies nicht ablehne, solange es den Patienten finanziell nicht zu sehr belastet. Wir Schulmediziner müssen ja auch eingestehen, dass wir in vielen Fällen nur beschränkt helfen können.
Beim Heilungsverlauf von Tumoren kann auch eine grosse Rolle spielen, dass Schauspielerinnen und Sängerinnen wie Nella Martinetti ihre Aufmerksamkeit ausleben. So könnte dieses Ego für den Kampf gegen den Tumor günstig sein. Möglicherweise wird die positive Einstellung die Immunabwehr fördern und kann zu einem verminderten Wachstum des Tumors führen.