«Mit Gefühlen bin ich nie knausrig»

Seit 55 Jahren begeistert die Schauspielerin das ­Publikum. Mit grosser Dankbarkeit blickt sie im Interview anlässlich ihres 80. Geburtstags auf ihr ­Leben und verrät mit einem Lachen: «Ich warte noch auf die Weisheit.»

Von Aurelia Robles

Schwungvoll kommt Heidi Maria Glössner auf dem E-Bike im Restaurant Giardino des Hotels Kursaal in Bern an. «In der Stadt bewege ich mich nur damit», sagt die Schauspielerin, die oft ­darauf angesprochen wird, wie sie so fit bleibt. Am 20. Oktober wird Glössner 80 Jahre alt. «Ich befolge keine Maxime, mein Leben hat keine Regeln. Ich bewege mich einfach viel im Beruf und steige gerne Treppen.» Glössner setzt sich in die Lounge ihres Stammrestaurants, wo im Schatten ein angenehmes Lüftchen weht. «Heute nehme ich einen Hugo», sagt sie und bestellt das alkohol­haltige ­Getränk.

GlücksPost: Frau Glössner, stehen Sie auf der Sonnen­seite des Lebens?

Heidi Maria Glössner: Auf jeden Fall – und zwar schon immer. Ich hatte zwar auch Tiefschläge, aber mein Leben war von Anfang an spannend und vielseitig. Wenn es heute Abend zu Ende wäre, wäre das in Ordnung. Aber ich sage noch nicht Tschüss, dafür geht es mir zu gut!

Womit hat das Leben Sie ­beschenkt?

Das fängt in meiner Kindheit an, die sehr glücklich war, obwohl ich nicht bei meiner leiblichen Mutter aufgewachsen bin. Dafür hatte ich zwei Mamas: mein Muetti in Deutschland und meine Herzensmama in Niederuzwil SG. Bei der halb italienischen Familie erhielt ich eine so umhüllte Kindheit, dass ich damals oft sagte: «Ich habe schon so viel Liebe erhalten, das reicht für ein ganzes Leben.» Auch die Schule fiel mir leicht und später, als Schauspielerin, war ich stets engagiert, nie freischaffend. Es wurde mir vieles leicht gemacht. 

Wie meinen Sie das?

Ich weiss beim besten Willen nicht, weshalb ich zum Beispiel fünf Intendantenwechsel am Stadttheater Bern überlebt habe. Ich empfand mich selber nie als bsundrig. Keine Ahnung, was für Schutzengel ich hatte.

Oder wie wäre es mit der Begründung, dass es wegen Ihres Talents war?

Vermutlich hatten sie mich gerne auf der Bühne. Ja, das darf ich wohl bei aller Bescheidenheit sagen nach 55 Theaterjahren. Aber ich war nie ehrgeizig, wollte nie von einer persönlichen Beziehung profitieren, um weiterzukommen. Ich wollte, dass ich ein Engagement nur wegen mir selbst erhalte.    

Was bedeutet für Sie Glück?

Oft ganz kleine Sachen. Es ist der Blick von meiner Wohnung auf die Altstadt. Jetzt hatten wir im August zweimal grosse Monde. Der erleuchtete Münsterturm und der riesige Mond daneben – da hätte ich platzen können! Oder wenn ich über die Kornhausbrücke ins Stadttheater gehe, schaue ich nach links und sehe einen wunderschönen Abendhimmel – kostenlos. Ich brauche kein Geld, um glücklich zu sein.  

Mussten Sie diese Art von Glück ­erlernen?

Ich glaube, dass ich so konditioniert wurde. Aber ich habe es noch einmal wiedererlernt, als mein Sohn klein war. Sein Blick für das Blümchen, das Steinchen oder für die Schnecke auf der Strasse, die er auf die Seite hob, damit sie nicht vertrocknet. Diese Aufmerksamkeit für das Kleine, Unscheinbare, hatte ich etwas verlernt und wollte sie dann nie mehr vergessen.