Anatole Taubman
«Mit dem Alter kommt die Weisheit»
Gerne philosophiert der Filmstar, aktuell in «Die schwarze Spinne» zu sehen, über Lebensthemen wie Glaube und Erfüllung. Offen erzählt er, wie er zu innerem Frieden und der Reife fand, ein echter Ehemann, Vater und Liebhaber zu sein.
Dass Anatole Taubman eingetroffen ist, merkt man sogar in einem grösseren Gebäude wie dem Kinokomplex Houdini in Zürich: Seine sonore Stimme erfüllt das Entrée, hallt durch die verwinkelten Treppenaufgänge zu den Sälen. Anlass ist seine Rolle in der Neuadaption von Jeremias Gotthelfs Novelle «Die schwarze Spinne» – ein Schweizer Film, der schon lange mit Spannung erwartet wird. Der 51-Jährige übernimmt darin einmal mehr den finsteren Part.
GlücksPost: Sie spielen das Urböse, den Teufel. Dafür braucht es keine Effekte, Ihre Mimik reicht völlig.
Anatole Taubman: Das ist die Entscheidung des Regisseurs und liegt ausserhalb meines Einflussbereichs – zum Glück. Ich bin ein grosser Fan von «Die schwarze Spinne». Schon als Schüler war es einer meiner Lieblingsromane. Die Themen sind zeitlos. Und es ist beachtlich, dass Jeremias Gotthelf so mutig war, eine Frau als Hauptfigur zu wählen.
Der Teufel ist eine christliche Gestalt. Sie sind in Einsiedeln ins Internat gegangen. Wie stark hat die Religion auf sie abgefärbt?
Die Religion war in der Klosterschule lediglich der Rahmen. Unsere Patres waren sehr weltoffen. Ich finde es wichtig, dass man einen Glauben hat – in wen oder was auch immer. Ich bin fest davon überzeugt, dass es etwas wie eine höhere Macht gibt. Essenziell ist, dass man Gott in sich hat. Bei all den Ablenkungen, die es in unseren Breitengraden gibt, sind innere Kraft, Ruhe, Gelassenheit und innerer Frieden elementar.
Sie sind zurück in die Schweiz gezogen – nach 29 Jahren in Berlin, London und den USA.
Und ich liebe es! Wie toll es ist, merkte ich so richtig bei den Dreharbeiten zum Film «Wanda, mein Wunder» 2019: Am Morgen zur Arbeit zu fahren und am Abend zurückzukommen, war so angenehm! Ich komme nach Hause, und da sind meine Frau Sara und mein Sohn Henri. Erleben zu dürfen, wie er aufwächst, ist ein Spektakel. Ich geniesse das so sehr und bin dankbar!
Was, wenn sie eine Rolle in Übersee angeboten bekommen?
Ich will nicht mehr zu lange zu weit weg von meiner Familie sein. Deshalb bevorzuge ich es, in der Schweiz oder in der EU zu arbeiten. Ich mag es mittlerweile, dass meine Familie ab und an bei mir ist, wenn ich längere Zeit im Ausland drehe. Vor zehn Jahren war das noch undenkbar. Doch das hat mit mir zu tun.
Sie scheinen sehr in sich zu ruhen – dank der Familie?
Wer sagt, er sei ruhiger dank der Familie, beschwindelt sich selbst. Man muss in sich selber ruhig werden. Jeder muss seine eigene Reise antreten – ohne Partner oder Familie. Wenn man die nicht angeht, gibt es irgendwann Krach. Wenn man so wurzellos ist, wie ich, muss man die Wurzeln selber für sich und in sich finden, ja. Das muss unabhängig von der Partnerschaft passieren und idealerweise bevor man Kinder hat.
Trotzdem hatten sie schon drei Töchter, bevor Sie, wie Sie es beschreiben, dafür bereit waren.
Die Weisheit kommt mit dem Alter – zumindest bei mir. Die Rolle als Ehemann, Vater und Liebhaber in einem kann man sicherlich besser füllen, wenn man bei sich ist. Als 20-, 30-Jähriger ist man – gerade als Künstler – in der Regel noch auf der Suche. Mit 50, oder in meinem Fall 51, merkt man, was wichtig ist und was nicht. Wo oder in wen ich meine Energie und Zeit stecken will. Was mir guttut, was nicht. Man lernt, Prioritäten zu setzen. Am Ende des Lebens bringt einem selbst die erfolgreichste Karriere keine Erfüllung und Glück. Da geht es nur um Begegnungen. Menschen. Wahre Freunde. Familie.
Genau eine solche Laufbahn können Sie vorweisen. Gab es je eine Zeit des Darbens?
Meine Karriere war keine Liftfahrt, sondern ein Treppengang: Stufe für Stufe für Stufe. So vergisst man nicht, wo man herkommt – das sollte man nie vergessen! Ich habe mir alles selbst erarbeitet. Das zu wissen, bringt ein gesundes Verhältnis zum normalen Leben mit sich. Zudem glaube ich, dass es ein Riesenvorteil war, dass ich meine Karriere aufgebaut habe, bevor es das Internet und Social Media gab. Es war einfacher, sich auf etwas zu konzentrieren, der Druck geringer. Die jungen Schauspieler müssen sich ständig auf allen Kanälen präsentieren. Das wäre nichts für mich. Ich halte Social Media für Zeitverschwendung. Meine Tochter Tara sagt, ich sei digital ein Australopithecus – zwei Entwicklungsstufen vor dem Homo sapiens.
Wie bringen Sie das Henri bei?
An einem Dreijährigen geht das heute nicht spurlos vorbei. Ihn davon wegzuhalten, ist unrealistisch. Man muss einfach mit noch mehr Disziplin dahinter sein. Meine Frau und ich sind grosse Fans von Geschichten lesen und erzählen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das essenziell dazu beiträgt, wie ein Kind mit der eigenen Gefühlswelt oder mit Konflikten umgeht. Wie sich sein soziales und emotionales Gefüge entwickelt.
Ihre Frau lancierte 2019 sogar eine Kinderbuch-App. Ende März kommt ein Podcast über Psychologie dazu. Sie selbst setzen sich bei UNICEF für Kinder ein.
Ich unterstütze Kinder in allem sehr gerne. Mir war es wichtig, dass es eine Organisation ist, die nicht nur international, sondern auch in der Schweiz tätig ist. Hierzulande gibt es viel zu tun. Unter der schönen Oberfläche blutet und brennt es. Es gibt viele Menschen, die in verschiedensten, schweren Missständen leben. Die Kinder sind in der Regel die Leidtragenden. Für mich war immer sonnenklar, dass ich etwas zurückgeben möchte, weil ich es selber als Heimkind nicht so einfach hatte.