Seine Kinder finden ihr eigenes Glück

Tochter und Sohn der Formel-1-Legende verlassen ihr behütetes Heim immer häufiger auf ihrem Weg in ein Leben als Profisportler. Trotz ihrer Erfolge interessiert die meisten nach wie vor nur der geheim gehaltene Gesundheitszustand des Vaters.

Michael Schumacher (47) ist wieder in den Schlagzeilen. Da war das Wohltätigkeits-Fussballturnier «Champions for Charity», das zu seinen Ehren ausgetragen wurde – Schumis Sohn Mick (17) kickte mit. Die Erfolge von Schumacher Junior als Rennfahrer in der Formel 4 sorgen diesen Sommer für Aufsehen. Ebenso wie der Europameistertitel, den Tochter Gina Maria (19) eben in der Pferdesportart Reining holte. Alles Anlässe, um erneut die eine, grosse Frage zu stellen: Wie geht es Vater Schumacher? Nach einem Skiunfall im Dezember 2013, bei dem er mit dem Kopf auf einen Stein aufschlug und ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitt, wurde Schumi mehrere Monate in ein künstliches Koma versetzt. Kurz nach dem Aufwachen holte ihn seine Frau Corinna (47) nach Hause und pflegt ihn seither auf dem Anwesen in Gland VD, abgeschirmt von der Umwelt.

Zusammen mit der Formel-1-Legende zog sich seine Familie vor allen fremden Blicken zurück. Sie lebt in ihrem eingezäunten, von vielen helfenden Händen geschützten Heim am Genfersee. Das Anwesen ist so eingerichtet, dass alles Nötige da ist: Ärzte und Pfleger wohnen in den Gästehäusern, Corinnas Reitgestüt, in dem auch Gina Maria trainiert, liegt nur zehn Minuten entfernt. So gibt es keinen Einblick in ihr Tun und Lassen, niemand ausserhalb des engsten Kreises weiss, wie sie leben.

Doch jetzt sind die Kinder in einem Alter, in dem sie ihr Leben in die eigenen Hände nehmen. Ein neues Kapitel beginnt. Obwohl sie den Unfall ihres Vaters und den darauffolgenden, totalen Rückzug der Familie erlebten, entschieden sich Mick und Gina Maria für ein Leben im Licht der Öffentlichkeit mit Sportarten, die ein hohes Unfall-Risiko mit sich bringen. Wie lässt sich das erklären? Sibylle Neidhart, Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie FSP, glaubt nicht, dass ihre Entwicklung zu Profisportlern vom Unfall des Vaters beeinflusst wurde. «Kinder nehmen oft die Eltern als Vorbild und treten in deren Fussstapfen. Die Tochter hat die Reitleidenschaft der Mutter übernommen, der Sohn das Rennfieber des Vaters. Die Familie Schumacher hat von Anfang an mit der Gefahr gelebt, die die Arbeit des Vaters mit sich brachte.»

Trotzdem: Bei jedem Auftritt seiner Kinder ist der grosse Schumi Thema. Sie bewältigen das, indem sie keine Frage beantworten. Mick, der mit diversen Mitstreitern seines Vaters aus dessen Zeit in der Formel 1 zusammenarbeitet, hat Spezialklauseln in den Verträgen: Es dürfen keine Fragen zum Befinden des Vaters gestellt werden. Das herrschende Gebot, keine Details nach aussen dringen zu lassen, hält Sibylle Neidhart für sehr sinnvoll. «Es schützt die Privatsphäre und damit die Entwicklung der Kinder. Es ist auf jeden Fall wichtig, dass sie über ihre Situation und ihre Gefühle sprechen, und auch aussenstehende, nicht direkt betroffene Gesprächspartner und -partnerinnen haben. Die Familie Schumacher hat aber genug Ressourcen und Möglichkeiten, den Kindern mit Therapeuten, PR-Leuten und Ärzten die nötige Unterstützung zukommen zu lassen. Sie hatten sicher professionelle Hilfe, wie man sich in der Öffentlichkeit beherrscht, gerade weil beide – gewollt oder ungewollt – im Rampenlicht stehen.»

Das Unglück des Vaters hat seine Liebsten zusammengeschweisst. Sibylle Neidhart: «Den Vater in einem solch schlimmen Zustand zu sehen, ist ganz schrecklich. Sie müssen die Ohnmacht aushalten, nichts tun zu können. Sie wissen nicht, was kommt, können auf keine Tatsachen bauen, sind stets in einem Schwebezustand zwischen Hoffen und Aufgeben. Es ist sehr wichtig, dass die Familienmitglieder sich gegenseitig stützen.» Das tun Corinna und ihre beiden Kinder, die in der Öffentlichkeit stets geeint auftreten und sich zur Seite stehen, etwa indem Mick an den Reining-EM weilt, um seine Schwester mit seiner Anwesenheit zu stärken.

Diese äusserst enge Bindung muss aber nicht nur positiv sein: «Für Teenager kann eine solche Tragödie auch bedeuten, dass ihr Ablösungsprozess vom Elternhaus unterbrochen wird», erläutert die Psychologin. «Die Kinder können das Gefühl haben, sie müssen nun zur Mutter schauen, sie unterstützen, ihr Arbeit abnehmen – und können dadurch in ihrer eigenen Entwicklung gehemmt werden. Sie können auch das Gefühl haben, sie müssten bei der Mutter bleiben, weil sie denken: ‹Wir sind alles, was sie noch hat.›» Dass Mick und Gina Maria ihre Ziele so konsequent verfolgen, ist für Sibylle Neidhart ein gutes Zeichen. «Es zeigt, dass die beiden trotz der tragischen familiären Situation den Willen und die Möglichkeit haben, ihren Weg zu gehen, sich weiterzuentwickeln. Frau Schumacher scheint eine sehr starke Frau zu sein, die ihre Kinder dabei unterstützt und ihnen zum Glück nicht das Gefühl gibt, sie sollen bei ihr bleiben, weil sie allein nicht klarkommt.»

Den grössten Druck sieht die Psychologin von beruflicher Seite auf die Kinder von Michael Schumacher zukommen. Als Profisportler wie der Vater lastet die Erwartung auf ihren Schultern, auch so zu werden wie er: siegreich. Wiederum spricht es für den positiven Umgang der Familie mit ihrem Schicksal, dass die beiden diesem Druck standhalten. Sie gehören zu den besten Jungtalenten in ihren Disziplinen. 

Schumis Zustand

Dr. Mark Mäder, Wachkoma-Spezialist und Präsident von Fragile Suisse, erklärt, wie das Leben eines Patienten mit schwerer Hirnverletzung generell aussehen kann. Ein ehemals komatöser Patient kann in ein Wachkoma «rutschen». Er atmet selber, braucht keine Maschinen. Er hat Schlaf- und Wachphasen, in denen die Augen offen sind, aber ins Leere schauen. Selber essen kann er nicht.

Aktueller Zustand
Aus dem Wachkoma heraus kann sich der Patient sehr gut oder nur teilweise erholen. Oder er bleibt schwer beeinträchtigt, nahe dem Wachkoma. Die Ärzte nennen dies auch MCS (Minimal Conscious State – minimal bewusster Zustand).

Mitteilungsmöglichkeiten
Der MCS-Patient kann beispielsweise mehrmals am Tag für kurze Zeit und für andere wahrnehmbar reagieren. Er kann aber keine üblichen Antworten geben, deshalb weiss man auch wenig darüber, was im Wachkoma oder MCS passiert. Man weiss aber, dass das Hirn aktiv sein kann, wenn man etwa mit dem Patienten redet.

Therapie
Musiktherapie ist ein zentraler Teil der Rehabilitation, auf Musik reagieren wichtige Hirnareale. Ebenfalls wichtig sind Physio- und Ergotherapie. Der Körper muss möglichst oft bewegt werden. Der Patient soll, wie im normalen Leben, stehen, sitzen, liegen. Das braucht es, weil sonst die Gelenke einsteifen und die Muskeln schwinden. Aber es ist auch essenziell für eine ganzheitliche Wahrnehmung des eigenen Körpers. Wenn er nur daliegt, hat er wenig Informationen über sich und seine Umgebung. Es geht immer darum, dem Patienten möglichst viele Impulse zu geben, auf die er reagieren kann.

Gefahren
Die grösste Gefahr ist eine Lungenentzündung, weil der Patient nicht korrekt schlucken und das Geschluckte in die Luftröhre gelangen kann. Die Lungen arbeiten an sich von selber, aber Abwehrmechanismen wie Hustenreflexe fallen teilweise weg. So kann etwas Geschlucktes, das in die Lunge gelangt, eine Lungenentzündung auslösen. Die zweitgrösste Gefahr sind wunde Druckstellen vom Aufliegen, die sich infizieren.

Aussichten
Ein MCS-Patient hat bei guter Pflege eine hohe Lebenserwartung. Nach einem Jahr ist die Chance, ganz aufzuwachen, gering. Der Pflegebedarf ist hoch und die Familie braucht Hilfe und Unterstützung.