«Mein Leben wird immer spannender»

Auch nach seiner Pensionierung beim SRF gibt der «Netz Natur»-Biologe sein Wissen weiter. Das ist ihm wichtig, denn sein Beruf ist mehr als nur eine Leidenschaft für ihn. Zudem hat auch er selbst nie ausgelernt – was er sehr schätzt!

In den Bäumen am Seeufer sitzen Kormorane, neben ihnen machen unzählige Wasservögel eine Pause auf ihrer Reise in den Süden. «Hier ist sozusagen ihre Autobahn-Raststätte – ein Zug­vogelreservat von nationaler Bedeutung», erklärt Andreas Moser (65) beim Treffen im Naturschutzgebiet am Zürcher Greifensee, nahe seinem Wohnort. Dass die SRF-Erfolgssendung «Netz Natur» mit seiner Pensionierung Ende Juni nach 30 Jahren ein­gestellt wurde, ändert nichts an seiner Passion für die Natur.

GlücksPost: Einen Termin mit Ihnen zu finden, war gar nicht so leicht. Das klingt nicht nach Ruhestand.

Andreas Moser: Ich bin zwar als Angestellter bei SRF pensioniert, aber voll berufstätig. Mal arbeite ich von hier aus, oft bin ich auch in meinem Refugium im Tessin.

Wie sieht Ihr Berufsleben denn heute aus?

Vielfältig, was ich wahnsinnig spannend finde. Ich werde für Podiumsdiskussionen angefragt, für Medienbeiträge und Bücher, für Vorträge, Führungen, Workshops. Ein grösseres Projekt ist in Planung, aber noch nicht spruchreif. Meine Plattform AMoNat – für «Andreas Moser Natur» oder Italienisch: «Amo Natura» – soll ein vernetztes Wissenszentrum für Naturfragen werden. So ver­suche ich, einen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben von Mensch und Natur zu leisten.

Ihre Arbeit scheint gewissermassen auch Ihr Lebenssinn zu sein.

Ich habe nicht die Illusion, die Welt zu verändern. Aber diese Gesellschaft hat es mir möglich gemacht zu studieren. Also möchte ich etwas zurückgeben, Ein­blicke verschaffen, die die Leute sonst nicht bekommen würden. So wie ich es auch in den letzten 30 Jahren gemacht habe.

Aber Ihr Ziel ist schon, eine Ver­besserung herbeizuführen?

Ich bin kein Missionar, sondern Berichterstatter. Ich kenne bestimmte Zusammenhänge und gebe dieses Wissen weiter, damit es in Entscheidungsprozesse einfliessen kann. Langfristig muss man sehen: Solide Geld zu verdienen – und das ist das primäre Ziel eines Grossteils der Gesellschaft –, ist nur möglich, wenn die Umgebung, die Natur, in der wir leben, gesund ist. Es funktioniert nicht, wenn die Menschen keinen Halt finden, neurotisch werden. Das ist in der Wirtschaft und in der Politik noch nicht überall angekommen.

Dann bräuchte es mehr Erholungsräume wie dieses Naturschutzgebiet?

Es geht nicht um Naturschutz als Ideologie oder Hemmschuh der Wirtschaft: Es geht darum, den Naturraum zu erhalten, damit wir Menschen darin leben können. Naturschutz ist Menschenschutz. Wir haben ein Problem, wenn beispielsweise durch ein eingeschlepptes Insekt oder einen eingeschleppten Pilz die Wälder sterben oder die Reben. Die Natur kümmert das letztlich nicht: Sie kann zuwarten, bis sich die Menschheit selbst eliminiert hat – woran wir mit Kräften arbeiten. Natur findet mit oder ohne uns immer statt. Selbst wenn die meisten heutigen Arten aussterben und das Leben bei den Bakterien wieder neu anfangen müsste.

Wo liegt das Hauptproblem?

Eine stabile Natur ist ein fragiles System, und die Zusammen­hänge sind so eng vernetzt, dass viele Umstände zum Gesamtbild beitragen. Häufig gibt es verschie­dene Blickwinkel auf dieselbe Problematik – etwa beim Streit um die Wölfe, die Pestizide oder die Artenvielfalt. Die unterschiedlichen Interessen sind, einzeln betrachtet, oft völlig verständlich. Um Lösungen zu finden, sind aber Gespräche und Hintergrundwissen in einem Gesamtbild wichtig. Das zu vermitteln, sehe ich als meine Aufgabe – nicht einseitig Schuldzuweisungen auszusprechen.

«Netz Natur» war dafür eine Plattform. Könnten Sie sich vorstellen, nochmals eine Sendung dieser Art zu präsentieren?

Nicht alleine, aber ich schliesse nicht aus, dass ich an so einem Projekt mitarbeiten würde, wenn mein Know-how – auch hinter der Kamera – gefragt wäre. Selbstverständlich.

Als «Netz Natur» zu Ende ging, haben Sie darauf verwiesen, dass es von SRF ein «klares Bekenntnis zur Weiterführung des Themenkreises Natur und Umwelt gibt». Wie sehen Sie das heute?

Diese Absichtserklärung ist do­kumentiert. Doch leider sehe ich bis jetzt wenig davon, ausser ­einigen alten Tiersendungen oder ­Beiträgen in der Aktualität. Die Natur gehört – wie auch die ­bestens ­vertretene Kultur – zum Konzessions­auftrag der SRG. Da frage ich: Wie kann es sein, dass ein nationaler Sender das beliebte und wichtige Format der Naturdokumenta­tionen ersatzlos aus dem ­Programm kippt?

War eine Verlängerung von «Netz Natur» eine Option?

Tatsächlich war ich mit Nach­folgekonzepten beauftragt, damit das Knowhow unseres Teams weiter ins Programm einfliessen kann. Wir arbeiteten daran. Aber plötzlich war das alles vom Tisch.

Verbittert Sie das?

Nein, es erstaunt mich. Ich denke, es gehört einfach zum Service public, an lebensnahen Beispielen zu zeigen, wie faszinierend und wertvoll die einheimische Natur für uns alle ist und was sie für unsere Wirtschaft und zu unserem Wohlbefinden leistet. Das bleibt für mich ein grosses Thema, mit oder ohne SRF. Es ist ja nicht so, dass es an Herausforderungen mangelt. Beim Klimawandel oder dem Biodiversitätsverlust sind kompetente Information und Vermittlung gefragter denn je. Da gibt es in der Praxis und in der Wissensvermittlung mehr als genug zu tun.

Die Leidenschaft für Ihren Beruf scheint bei Ihnen so gross wie eh und je zu sein.

Die Neugier und der Wissensdurst bleiben, mein Leben wird immer spannender: Du siehst mit den Jahren immer mehr Zusammenhänge, das Bild vervollständigt sich. Und so erkennst du auch, wie viel Wissen immer noch fehlt.

Dann haben Sie mit dem Älterwerden keine Probleme?

Sagen wir es so: Der Reichtum der Erkenntnisse ist so faszinierend, dass er die weniger schönen Seiten bei weitem kompensiert. Denn natürlich ist es nicht angenehm, wenn der Körper älter und der Organismus anfälliger wird. Wenn die Gesundheit angeschlagen ist, kannst du nicht mehr aus dem Vollen schöpfen. Aber solange die geistige Ebene fit bleibt, lässt sich immer noch viel bewirken.

Das tun Sie noch. Trotzdem: Was würden Sie gerne hinterlassen, wenn Sie mal gehen müssen?

Viele Menschen, die sich in bestimmten Bereichen engagieren, möchten zu Lebzeiten einen Sieg davontragen. Ich sehe es eher als Prozess: Selbst wenn immer mehr Natur zerstört wird, ist es wichtig, den Menschen die Konsequenzen für uns alle aufzuzeigen. Es wäre schön, wenn auch über meine Zeit hinaus Kinder auf bunten Blumenwiesen immer noch Schmetterlinge sehen könnten. Vielleicht habe ich dann einen Beitrag dazu geleistet.