«Mein innerer Kampf hat ein Ende gefunden»

Aufregende Zeiten: Die Bernerin trat eine Reise zu sich selbst an, zudem brachte der Moderationsjob bei «1 gegen 100» einige Veränderungen mit sich. Und dazu kam dann noch der Verlust ihrer Stimme!

«Hier fühle ich mich zu Hause», sagt Angélique Beldner (45) mit Blick aufs Bundeshaus. Sie meint nicht das Gebäude an sich, sondern die ganze Umgebung – der Blick über Bern von der Bundesterrasse aus, die Altstadt, die flanierenden Menschen. «Wenn ich früher von Reisen heimkehrte, führte mich einer meiner ersten Wege immer hierher. Dann bin ich erst richtig daheim angekommen», erzählt die «Tagesschau»- und «1 gegen 100»-­­Moderatorin .

Trotzdem: Auch das Bundeshaus im Besonderen liegt ihr am Herzen, deshalb hat sie es als Treffpunkt für den Bummel durch «ihr» Bern vorgeschlagen. In ihrem Job als News-Journalistin – sei es beim Fernsehen oder früher fürs Radio – hatte sie oft hier zu tun und fand’s «wahnsinnig spannend, dort zu sein, wo die Entscheide gefällt werden». Welche politischen Themen interessieren sie denn privat besonders? Sie überlegt lange. «Schwierig zu sagen, ich bin allgemein extrem politikinteressiert. Vorne mit dabei sind aber sicher Familienthemen.» Klar: Mit ihrem Mann hat sie zwei Söhne, 10 und 13 Jahre alt.

Mit ihrer Familie lebt Angélique Beldner in der Stadt Bern – wie schon fast ihr ganzes Leben lang. Nur ihre ersten vier Jahre verbrachte sie in Frutigen BE. «Selbst als ich in Zürich auf der Schauspielschule war oder in Basel arbeitete, hatte ich immer noch eine Bleibe in Bern. Ich bin nie wirklich von hier losgekommen», sagt sie schmunzelnd. Die Grösse der Stadt sei perfekt. Als Jugendliche habe sie, egal wo es hinging, immer jemanden gekannt. Und heute ist sie mit ihrer Familie perfekt eingebettet. «Wäre ich 20 Jahre jünger», spekuliert sie, «würde ich mit der heutigen Arbeitssituation nach Zürich ziehen. Glaube ich.»

40 Prozent ist sie bei der «Tagesschau» angestellt, dazu kommt «1 gegen 100». Das Quiz wird mehrmals pro Jahr jeweils rund vier Tage am Stück aufgezeichnet. Gerade steht ein neuer Block bevor. «Ich freue mich wahnsinnig, bald wieder loszulegen!», sagt die Moderatorin. «Es wird auch eine Bestätigung, dass alles wieder funktioniert.» Bei den letzten Aufzeichnungen musste Sven Epiney einspringen. Sie selbst war von einem Tag auf den anderen verstummt: Kehlkopfentzündung! Das muss beängstigend gewesen sein? «Seeehr! Gerade in der Zeit, als ich wirklich gar keine Stimme hatte. Da fragst du dich schon: Was, wenn sie nie mehr zurückkommt?» Zum Glück ging der Spuk vorbei. Zwar muss sie noch zur Logopädie, um die Stimm­lippen zu trainieren, es gehe ihr aber wieder bestens.

Anfang 2020 hat die Modera­torin das Quiz von Susanne Kunz  (42) übernommen – und sich seither wunderbar eingelebt. Die Aufzeichnungen seien zwar streng, aber total erfüllend. Zum einen dank dem tollen Team, zum anderen wegen der Kandidatinnen und Kandidaten. «Ich lerne die unterschiedlichsten Leute aus den verschiedenen Ecken der Schweiz kennen, das gibt mir viel.» Sie habe mit dem Sprung ins kalte Wasser die richtige Entscheidung getroffen.

Beim Spaziergang ist live zu erleben, dass viele Zuschauerinnen und Zuschauer das genauso sehen: Hier winkt ihr eine unbekannte Frau aus einem fahrenden Auto heraus zu, dort grüsst jemand beim Vorbeigehen. «Das ist neu für mich und schön», sagt sie, gibt aber zu: «Auf der anderen Seite fühle ich mich manchmal etwas beobachtet, spüre die Blicke – speziell wenn ich mit den Kindern unterwegs bin.» Auch ihre Söhne würden neuerdings mehr auf ihre Mutter angesprochen. Wobei das für sie kein Problem sei. «Sie nehmen das einfach als gegeben hin.»

Negative Kritik habe sie nur sehr wenige bekommen, und mit dieser könne sie umgehen. «Wenn man viele positive Rückmeldungen hat, macht es das leichter. Und dass man nicht allen gefallen kann, ist ja sowieso klar.» Hatte sie am Anfang Angst vor öffentlicher Schelte? «Das nicht. Respekt machte mir eher, dass ich in dieser Sendung automatisch mehr von meiner Persönlichkeit preisgebe als in der ‹Tagesschau›. Was, wenn mich die Leute total blöd und schrecklich finden? Das war eine Sorge, die ich hatte. Ich habe aber schnell gemerkt, dass sich das nicht bewahrheitet hat – im Gegenteil.»

Eine ähnliche Situation erlebte sie Mitte letzten Jahres noch einmal: In einem SRF-«Reporter» gab sie tiefe Einblicke in ihr Leben und ihre Gefühlswelt. Die Bernerin, deren Vater aus Benin stammt, erzählte von offenem und vor allem unterschwelligem Rassismus, der ihr seit ihrer Kindheit immer wieder begegnet. Allein der Schritt, diesen Film zu machen, sei wahnsinnig schwierig gewesen. «Ich konnte mir nicht vorstellen, was ich damit auslöse: Mache ich im schlimmsten Fall meine Karriere kaputt? Wirft man mir auf der Strasse Eier nach? Denken die Leute, jetzt spinnt sie völlig? Am Ende war ich positiv überrascht, wie gut es aufgenommen wurde. Die Mehrheit der Leute hat mich genauso verstanden, wie ich es gehofft habe, das war wahnsinnig schön.»

Das Thema Rassismus ist damit für sie noch lange nicht abgehakt. Im Gegenteil: Es hat erstmals Raum in ihrem Leben bekommen. Vorher war es ihr wichtig, kein Aufhebens darum zu machen. Sie wollte nicht in die Opferrolle, nicht auf ihr Äusseres reduziert werden. «Ich bin immer noch überzeugt, dass das nicht nur falsch war. Aber irgendwann musste ich sagen: Äs isch i Gotts Name halt no äs Thema.» Sie laufe nun bestimmt nicht als Jammeri durch die Welt und mache auf  jegliche Missstände aufmerksam. Aber Angélique Beldner spricht Dinge an, diskutiert darüber. Im letzten Jahr habe sie unzählige Bücher zu Rassismus oder einfach zum Anderssein gelesen, sei ganz ins Thema eingetaucht.

War der Prozess schmerzhaft, diese lange «ausgeklammerte» Seite anzunehmen? «Im Gegenteil: Es war eher eine Erlösung. Dieser andauernde innere Kampf hat ein Ende – das Gefühl zu haben, sein zu müssen wie alle anderen. Das ist gar nicht nötig, ich bin genau so, wie ich bin. Dass es bis zu dieser Erkenntnis über 40 Jahre gebraucht hat, finde ich eher erschreckend. Aber es benötigt halt eine gewisse Reife, vieles passiert unterbewusst.»

Selbsterkenntnisse, neuer Job, Kehlkopfentzündung, dazu die üblichen Corona-Einschränkungen – das letzte Jahr scheint in jeder Hinsicht aufregend für Angélique Beldner gewesen zu sein. «Ja, es darf auch wieder ein bisschen ruhiger werden», sagt sie, bevor sich der Spaziergang durch Bern dem Ende zuneigt. Auch das ist nicht gejammert. Sie schmunzelt. «Doch, ich bin eine glückliche Frau, und so würde ich gerne auch wahrgenommen werden.»