«Manche Abstürze hätte es nicht gebraucht»

Auf seinem neuen Album singt der Sänger von seinem Leben, das von Erfolg, Krankheit und Sucht geprägt war. Mittlerweile hat er dem Kokain abgeschworen – dem Alkohol aber nicht.

Genüsslich beisst Nino de Angelo (59) in ein Stück Camembert, das er sich am Frühstücksbuffet im Hotel Mövenpick in Opfikon ZH geholt hat. «Wenn die Sonne scheint, ist es wie Urlaub hier», sagt er und lacht. Doch: Zum Ferien machen ist der Schlagerstar nicht gekommen …

GlücksPost: Sie promoten Ihr neues Album «Von Ewigkeit zu Ewigkeit», das kürzlich erschien.

Nino de Angelo: Genau. Soundmässig ist es etwas härter geworden, mehr Gitarren …

Sie sind der Anti-Schlagerstar!

Klar, ich passe zum Schlager wie die Sonnenbrille zur Kuh oder so (lacht). Das Ganze klingt trotz der harten Töne aber immer noch episch. Die Texte sind nach wie vor tiefgründig und authentisch.

Seine musikalische Karriere startete Domenico Gerhard Gorgoglione, wie Nino de Angelo bürgerlich heisst, bereits als Teenager. Im Jahr 1983 landete er mit dem von Drafi Deutscher ( 60, «Marmor, Stein und Eisen bricht») geschriebenen Song «Jenseits von Eden» einen Hit. 1989 ging de Angelo beim Eurovision Song Contest für Deutschland und dem Song «Flieger» an den Start. Das Lied wurde von Dieter Bohlen (69) geschrieben und produziert, erreichte jedoch nur Platz 14. 

Wenn Sie heute auf Ihre Karriere zurückblicken: Worauf sind Sie am meisten stolz?

Ich war 15, als ich meinen ersten Plattenvertrag bekommen habe, mit 20 hatte ich meinen Nummer-1-Hit mit «Jenseits von Eden». Das war ein unglaublicher Moment in meinem Leben. 

Verliert man ab so viel Ruhm nicht die Bodenhaftung?

Doch. Im Nachhinein gesehen schon. Aber es gibt keinen, dem das nicht passiert ist: Nena, Hubert Kah oder Falco, alle, die ich kenne. Man kann einen Künstler, der so erfolgreich ist, gar nicht bremsen. So ist es halt. Ach, und ich bin stolz auf mein jetziges Comeback nach so vielen Jahren.

37, um genau zu sein. 

Genau. Das war unglaublich, denn ich war der Einzige, der die ganzen Jahre daran geglaubt hat. Mich wollte gar keiner mehr haben. Ich hatte echt Schwierigkeiten, Plattenverträge zu bekommen. Und irgendwann verliert man die Lust. Ich bin froh, dass ich durchgehalten und immer daran geglaubt habe. Jetzt geniesse ich das in vollen Zügen und will da noch richtig etwas draus machen. 

Was sind denn Ihre Wünsche?

Ich hoffe, dass mein Album wieder so erfolgreich wird wie mein letztes, «Gesegnet und verflucht», denn bald startet meine Deutschland-Tournee. Auch ein Auftritt in der Schweiz wäre toll, konkret ist aber noch nichts. Deswegen bin ich ja hier.

Viele Pläne – dafür, dass Sie ja im Dezember 2022 den Rücktritt verkündeten!

(Lacht.) Ich habs mir halt anders überlegt! Ich dachte, dass ich nach dem tollen letzten Erfolg aufhören sollte. Doch Musik zu machen und auf der Bühne zu stehen, ist einfach das Schönste, was es gibt.

Bereitet Ihnen das keine Mühe mit Ihrer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), die 2016
diagnostiziert wurde?

Beim Singen macht es mir gar nicht so viel aus. Zwar muss ich nach jedem Song eine Pause machen, weil ich aus der Puste bin. Doch dann geht’s munter weiter. Seit der Diagnose hat sich die Krankheit Gott sei Dank auch nicht gross verschlechtert. 

Es gäbe ja die Möglichkeit zur Transplantation, die Sie aber abgelehnt haben …

Ja, denn ich möchte mir nicht noch einmal die Brust aufschneiden lassen, wie bei meinen Herz-Bypässen. Diesen Eingriff macht man sowieso erst im vierten COPD-Stadium – und davon bin ich noch weit entfernt. 

Wie geht Ihre Partnerin Simone Lux (46) mit Ihrer Erkrankung um? 

Der Sex ist gut! Es läuft im Bett! Ich liege meistens unten (lacht). Nein klar, für sie ist es natürlich krasser. Die Angehörigen machen sich ja immer mehr Sorgen als die Betroffenen selbst. Aber sie kennt mich ja nach fünf Jahren gut und weiss, wenn es mir wirklich schlecht geht. Und wenn, dann meistens nicht wegen der COPD.

Sondern?

Weil mich gewisse Leute nerven oder ich im Musikbusiness wieder mal beschissen wurde! Das zermürbt mir viel mehr die Seele. Und dafür habe ich Gott sei Dank eine Partnerin, die mich immer wieder aufstellt.

Sie hatten Lymphdrüsenkrebs, Leukämie, Unfälle, eine Stimmbandlähmung, mussten sich einen Tumor entfernen lassen und hatten zuletzt eine Not-OP am Herzen.

(Seufzt.) Das ist schon heftig. COPD hat mich gar nicht mehr schockiert. Ich habe eh schon einen Totalschaden, also ist es mir egal, ob das eine Rücklicht da hinten auch nicht mehr brennt.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein. Natürlich, jeder hat Respekt vor dem Ableben, aber das ist nun mal der Lauf der Dinge. Wenn der Tod kommt, soll er sich bitte beeilen und nicht lange rumfuchteln. Tabula rasa und gut ist (lacht).

Nach seinen grössten Hits folgten schwierige Jahre für den Sänger. Neben gesundheitlichen Problemen rutschte er nicht nur in die Alkoholsucht ab, er war auch 30 Jahre lang kokainsüchtig.

Sie haben mit Ihren Alkohol- und Drogenexzessen für viele Negativschlagzeilen gesorgt  …

Sehr gerne sogar! (Lacht.)

Das zu glauben, fällt schwer.

Doch! Mir war scheissegal, was die Leute von mir dachten. Weil nur ich weiss, was ich durchgemacht habe. Und wie ich all die Schicksalsschläge kompensiere. Und wenn ich vollkommen gesund lebe, werde ich erst richtig krank. Ich bin jemand, der Feuer mit Feuer bekämpft. Was mich nicht umbringt, macht mich härter. 

Bereuen Sie nichts?

Manche Abstürze hätte es nicht gebraucht, klar. Wenn ich mich selber hätte konstruieren können, dann hätte ich diese ganzen Suchtgene weggelassen. Aber so ist es halt. Leid tut es mir vor allem für meine erste Ehe und dass meine Kinder mehr oder weniger ohne den täglich anwesenden Papa aufgewachsen sind. Zum Glück habe ich trotzdem ein super Verhältnis zu ihnen, auch zu ihrer Mutter, meiner Ex-Frau.

Sind Sie heute wirklich clean? Eine Notportion Kokain vergruben Sie ja im Wald, haben Sie mal gesagt.

Ja. Das habe ich aber hinter mir gelassen. Es gibt eh keine guten Drogen mehr, da muss man direkt nach Kolumbien fliegen (lacht).Nein, lasst mich mein Leben doch einfach so leben, wie ich es will.  Solange ich nicht irgendwelche ethische und moralische Grenzen überschreite, ist doch alles okay.

Dem Alkohol haben Sie ein halbes Jahr abgeschworen. Nun greifen Sie wieder zur Flasche. Warum?

Warum auch nicht? Ich geniesse mal einen guten Whiskey, einen guten Gin oder trinke auch mal ein Bier zur Zigarette. Ich bin bald 60, jetzt aufhören? Um Gottes willen. Ich weiss ja nicht, ob ich morgen vom Bus überrollt werde oder wie lange ich überhaupt noch lebe. Vielleicht fünf Jahre? Und die will ich geniessen. Ich habe sogar schon Pläne für meinen Ruhestand. 

Die lauten?

In einem kleinen Landsitz in Italien in der Nähe von San Marino. Da gibt’s schöne alte Steinhäuser und so. Dort lebe ich mit meinen Pferden, Ponys und Hunden. Und einem Esel, den ich Nino nennen werde. Zudem habe ich Olivenbäume und vielleicht ein paar Hühner, um mir und meiner Freundin Simone morgens ein frisches Spiegelei zuzubereiten.

Simone, mit der Sie in Südtirol und im Allgäu leben, unterstützt diese Pläne?

Klar, die ist auch Feuer und Flamme dafür. Alleine würde ich das nicht machen. Das wäre ja langweilig.

Wollen Sie beide noch heiraten?

Ich glaube ja, dass auf meinen Hochzeiten ein Fluch liegt. Ich war schon viermal verheiratet, bin viermal geschieden. Ich habe mir geschworen, dass das nie wieder passiert. Wir sind auch so glücklich. Aber eigentlich würde ich gerne heiraten … Wenn das Landhaus da ist, die Karriere zu Ende ist, ich meinen Esel habe.

Wie stellen Sie sich den grossen Tag vor?

Mit Familie und lieben Freunden, die alle an einer riesigen Tafel sitzen. Mit gutem Essen, Trinken und viel italienischer Musik.

Im Dezember werden Sie 60 Jahre alt. Gibt’s eine Party?

Keine Ahnung, das weiss ich noch nicht. Es wäre toll, wenn meine Kinder dabei wären. Aber wenn auch nur eins fehlt, packe ich meine Simone und wir fliegen irgendwohin. Vielleicht nach Bali oder Kuba. Das fände ich super.