«In der Natur kann ich abschalten»

Spätestens seit der Corona-Krise kennt fast jeder ihr Gesicht – und es ist klar: Die Politik bestimmt ihr Berufsleben. Was aber treibt die SRF-Bundeshaus-Korrespondentin und Mutter zweier Töchter privat um?

Eine ganz neue Kulisse! Für einmal analysiert Nathalie Christen (49) nicht vor dem Bundeshaus das Politgeschehen, sondern erzählt, umgeben von Bergen, Feldern und Wiesen, aus ihrem Leben. «Ich bin ein Mensch mit viel Energie, hier kann ich abschalten, die Natur erdet mich», meint die SRF-Korrespondentin beim Spaziergang am Rande ihres Wohnorts Münsingen BE. «Speziell in den letzten Monaten war ich oft hier joggen oder mit meinem Mann spazieren. Es ist zu einer liebgewonnenen Gewohnheit geworden.»

Die Corona-Zeit: Sie war auch für Nathalie Christen besonders. Um die Ansteckungsgefahr zu verringern, arbeitete die SRF-Bundeshausredaktion in zwei Teams. Das hiess für sie: eine Woche daheim mit etwas mehr Freizeit, die nächste in Bern bei Hochbetrieb. Neben dem Realisieren von Beiträgen standen viele Live-Schaltungen in die «Tagesschau» und «10vor10» auf dem Programm. Diese Infosendungen verzeichneten Traumquoten – was ihre Popularität stark ansteigen liess. «Früher war es eine Ausnahme, wenn ich mal angesprochen wurde. Jetzt kommt es relativ häufig vor», erzählt sie. Die Rückmeldungen seien sehr positiv, und sie freue sich über diese Wertschätzung. Das sei ein Privileg eines so sichtbaren Jobs. Die Kehrseite: Wenn sie versage, könne ein Grossteil der Schweiz dabei zusehen.

Nicht, dass es da grössere Patzer zu verzeichnen gäbe. Christen ist eine alte Häsin im Geschäft. Seit fast 20 Jahren berichtet sie direkt oder indirekt aus Bundesbern – erst für den «SonntagsBlick», dann fürs Radio, schliesslich fürs Fernsehen. Sie war stellvertretende Redaktionsleiterin der «Arena», die sie aushilfshalber auch  einige Male moderierte, und seit 2016 schaut sie als Bundeshaus-Korrespondentin fürs TV hinter die Kulissen unserer Regierung und des Parlaments.

Es mache ihr «mega Freud», ihre Einblicke zu teilen. Neutral zu bleiben, falle ihr dabei überhaupt nicht schwer. «Ich sehe mich als kleines Rädchen in der Demokratie, das den Leuten hilft, sich eine eigene Meinung zu bilden.» Statt mit strenger Miene tut sie das oft mit einem Lächeln im Gesicht. «Politik macht Spass, das würde ich gerne auch vermitteln.» War es für sie nie Thema, selbst in die Politik einzusteigen? «Nein! Ich wüsste auch nicht für welche Partei – vielleicht, weil ich alle so gut kenne, dass ich bei jeder einen Haken sehe», sagt sie schmunzelnd. «Generell finde ich es aber wichtig, dass Frauen in die Politik gehen, denn Parlament und Regierung sollten ein Abbild der Gesellschaft sein.»

Gleichstellung – diese wird auch bei ihr daheim grossgeschrieben: So haben Nathalie Christen und ihr Mann Kaspar Gubler, Historiker an der Uni Bern, schon vor der Geburt ihrer heute 12- und 14-jährigen Töchter vereinbart, dass die Eltern gleichermassen für sie da sind. «Wir arbeiten beide je 60 Prozent, manchmal jemand auch etwas mehr, derjenige stellt dann für ‹seinen› Tag die Betreuung sicher, etwa durch Homeoffice.» Zum einen wollte sie weiterarbeiten, zum anderen wünschten sie und ihr Mann sich für die Kinder, dass ihr Vater in ihrem Leben ebenso präsent ist wie die Mutter. Nathalie Christen: «Mir, aber auch Kaspar, ist es wichtig, unseren Töchtern die Gleichstellung von Mann und Frau zu vermitteln. Etwa beruflich – dass sie wissen, dass ihnen alle Wege offenstehen. Oder sprachlich: dass man Frauen nicht nur mitmeinen, sondern mitbenennen sollte, weil sie sich sonst weniger angesprochen fühlen – wir reden zum Beispiel von ‹Schweizerinnen und Schweizern.›»

Daneben versuchen sie als Eltern, den Kindern «die normalen Grundwerte» mit auf den Weg zu geben: «Ehrlichkeit, Authentizität, Zuverlässigkeit, das Gegenüber respektieren und zuerst das Gute in ihm annehmen. Man kann die Meinung dann immer noch anpassen», sagt Nathalie Christen und fügt mit Blick aufs Grün rundherum an: «Und Respekt vor der Natur natürlich.» Ist Politik für die Mädels ein Thema? «Für die Jüngere noch weniger, für die Ältere schon. Sie wusste beispielsweise vor mir vom ersten Klimastreik in Bern und fragt mich ab und zu Dinge. Fast wie im Beruf versuche ich, ihr neutrale Antworten zu geben, sie nicht mit meiner Haltung zu beeinflussen.»

Kurz vor dem Abschied erzählt Nathalie Christen noch, dass sie selbst etwas älter war als ihre Töchter heute, als sie erstmals politisch aktiv war: Sie empörte sich in einem Leserbrief über Nazi- Schmierereien an einer Kirche. Woraufhin sie prompt in einem anonymen Brief als Judensau beschimpft und mit sexueller Gewalt bedroht wurde. «Das machte mir im ersten Moment schon etwas Eindruck, aber wirklich Angst hatte ich nicht. Ich war völlig überzeugt von meiner Haltung und bekam ja auch mehrheitlich positive Rückmeldungen. Eine sogar vom Kantonsschulrektor persönlich!»