«Im Beruf bin ich diszipliniert – im Leben nicht»

Filmdrehs, Lesungen, Einsätze als Marken­botschafterin: Die deutsche Schauspielerin ist eine fleissige Arbeiterin. Sobald sie aber etwas Zeit für sich hat, ist Regeneration angesagt – und das bitte ohne Sport!

Entspannt betritt Iris Berben (68) die Suite des Hotel Martinez in Cannes, wo wir zum Interview verabredet sind. Sie wirkt entspannt und trotzdem voller Energie. Keine Selbstverständlichkeit bei ihrem hektischen Terminplan. Gerade ist das Filmfestival in Cannes vorüber, wo sie als Markenbotschafterin von L’Oréal im Einsatz war. Zu Hause steckt sie mitten in Dreharbeiten zur Romanverfilmung von «Altes Land», wo sie die eigenwillige Hofbesitzerin Vera spielt.

GlücksPost: Direkt vom Filmdreh in den Glamour des Filmfestivals. Eine ziemliche Umstellung, nicht?
Iris Berben: Ich kann den Schalter umwerfen. Und ich mag diese Schnelligkeit auch, mit der man reagieren muss.

Sie kommen nicht durcheinander?
Nein, denn ich kann diese unterschiedlichen Bereiche genau definieren. Jetzt gehe ich für L’Oréal über den roten Teppich, und das tut mir gut. Ich werde nächstes Jahr 70, und solche Aufgaben sind ein positives Zeichen dafür, wie man Frauen heute sieht. Sie werden nicht mehr aussen vor gelassen oder in weniger sichtbare Rollen gesteckt. Und am nächsten Tag geht es wieder zurück zu den Dreharbeiten.

Wie kommen Sie da zur Ruhe?
Ich teile mir die Zeit genau ein, damit ich mich dann wieder zurückziehen kann. So versuche ich, mich von der äusseren Aufgeregtheit nicht anstecken zu lassen. Ich schaffe das nicht immer, aber man kann es trainieren. Bei öffentlichen Auftritten spiele ich einfach eine Rolle, und dafür brauche ich Disziplin. Danach regeneriere ich mich.

Haben Sie dafür Rituale?
Bis vor einem Dreivierteljahr hatte ich einen Hund, der war 17 Jahre an meiner Seite. Aber es gibt ihn leider nicht mehr. Abgesehen davon, dass ich ihn sehr vermisse, würde ich mir dieses Ritual zurückwünschen, dass ich mit ihm bei Wind und Wetter hinausgehe. Diese Verlässlichkeit war wichtig für mich.

Sie könnten sich einen neuen Hund zulegen.
Nein. Ich bin ein treuer Mensch.

Wie holen Sie sich jetzt die Entspannung im täglichen Leben? Machen Sie Sport?
Kein Yoga, kein Pilates, gar nichts. Ich weiss, das sollte ich vielleicht mal tun, aber bis jetzt habe ich mich gut durchmogeln können.

Warum haben Sie keine Lust darauf?
Ich der Schulzeit war ich richtig aktiv. Und danach war das auf einen Schlag vorbei. Ich habe eine Zeitlang Tennis gespielt, ich gehe gerne Ski laufen. Im Beruf bin ich diszipliniert, aber anscheinend undiszipliniert in meinem Leben. Dabei lebe ich mit einem Mann, der sich durch Sport definiert.

Will Ihr Partner, Stuntman Heiko Kiesow, Sie nicht etwas antreiben?
Der weiss, dass das bei mir verlorene Liebesmüh ist. Ich ziehe mich stattdessen lieber in mein Badezimmer zurück – das ist mein Heiligtum. Die Pflege, die man dem Körper gibt, tut auch deiner Seele und deinem Kopf gut. Ganz wichtig ist das Abschminken. Da kann man auch viel hineininterpretieren: Du nimmst dir alles aus dem Gesicht, bist ganz pur, völlig du selbst. Nur so kann ich dann auch wieder in eine Rolle hineinspringen. Abends, bevor ich ins Bett gehe, lege ich mich in die Wanne. Da steht dann auch häufig ein Glas Rotwein dabei.

Insgesamt führen Sie ein Leben voller Unregelmässigkeit.
Ja, ich surfe auf dem Chaos.

Das geniessen Sie?
Ja, liegt wohl in meinem Wesen. Ich weiss nur nicht: Bin ich so geworden, weil mein Leben so ist? Oder hat dieses Leben mich gefunden, und es passt einfach? Deshalb habe ich wohl auch diesen Beruf gewählt, in dem man nur schwer eine Lebensplanung betreiben kann.

Gibt es sonst noch etwas, was Sie für Ihre Balance brauchen?
Reisen, die mir ganz andere Blicke auf Menschen und Lebensformen ermöglichen. Und ganz besonders brauche ich Portugal, wo ich gross geworden bin. Da habe ich meine Schafe und Hühner, die archaische Natur mit ihren wilden Gärten und den Atlantik. Manchmal bin ich für ein verlängertes Wochenende dort, ansonsten versuche ich, mindestens zweimal im Jahr zwei oder drei Wochen am Stück da zu sein.

Was sind Themen, die Sie akut stark bewegen?
Ich sehe, dass man immer wieder darauf hinweisen muss, wie fragil diese Demokratie ist. Wir sind tatsächlich in einer sehr angespannten Situation. Manchmal habe ich das Gefühl, dass rechte Populisten u. a. deshalb so viel Aufmerksamkeit ernten, weil sie so laut sind. Denen wird nichts entgegengesetzt. Es reicht nicht mehr, zu wissen, wofür du stehst, und dass du in deinem Freundeskreis elitär darüber diskutierst. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir aus der Komfortzone rausmüssen.

Und was bedeutet das konkret?
Das kann man auf vielen Wegen machen. Du musst es in deinen Alltag integrieren, Haltung zeigen, aber eben auch leben. Ich bin da sicher geprägt aus den 68er-Jahren.

Wie ist heute Ihre persönliche Gefühlslage im Vergleich zu damals?
Spannende Frage. Ich nehme mich da selbst an die Kandare: Wie war das früher? Mit 18 Jahren habe ich noch diese Wildheit gehabt: Ich verändere die Welt, wir verändern die Welt! Jetzt bin ich kurz vor meinem 70. Geburtstag und denke mir: Bin ich bequem geworden?

Sind Sie das?
Das war nur eine kurze Phase. Aber wir müssen alle noch aktiver werden, da nehme ich mich nicht aus, obwohl ich seit 40 Jahren Lesungen gegen Rechts, Antisemitismus und Ausgrenzung mache. Ich lasse auf keinen Fall locker.

Sie sprachen gerade von Ihrem 70. Geburtstag. Irgendwie will diese Zahl gar nicht zu Ihnen passen.
Ja, wenn ich sie anschaue, wirkt sie absurd. Wir haben zum Glück ein ganz anderes Frauenbild als vor 30, 40 Jahren. Wir haben andere Möglichkeiten, die wir wahrnehmen sollten, und da, wo wir sie noch nicht zur Genüge haben, sollten wir kämpfen. Ich hänge aber auch nicht der Vorstellung von «Für immer jung» an. Es geht nicht darum, sich wie ein Teenager zu benehmen, wenn man 50 ist, sondern selbstbewusst und selbstbestimmt in der Gesellschaft mitzumischen.

Andererseits sagten Sie in einem Interview: «Die Sanduhr rinnt.»
Das muss man realistisch sehen. Wir wissen, es kann uns jederzeit, immer und überall treffen. Aber ich hoffe doch sehr, dass ich die verbleibende Spanne wach und kraftvoll leben kann. Ich möchte immer wieder Menschen begegnen, die mich mitziehen, die ich weiter mitziehe, mit denen ich
gemeinsam spannende und neue Erfahrungen sammeln kann.

Und wie ist es, wenn Weggefährten Sie verlassen?
Es ist immer ein Schock. Diese traurigen Nachrichten machen einem bewusst, wie wenig man irgendetwas in seinem Leben und dem Leben anderer berechnen kann. Es ist wichtig, das Leben zu leben und nichts aufzuschieben.