Ihr Mann erfüllte ihr einen wahren Herzenswunsch

Über 400 Kilometer und eine Landesgrenze trennte die Rennfahrerin von ihrem Vater. Was also, wenn ihm etwas passiert? Diese Sorgen sind passé: Ihr Gatte holte ihn nach Deutschland!

Was für eine wunderbare Überraschung für Christina Surer von ihrem Ehemann Martin Tomczyk! «Mein Vater war vor rund einem Jahr bei uns zum Essen zu Gast», erzählt die ehemalige Rennfahrerin der GlücksPost bei einem Besuch in Rosenheim (D), wo sie seit 2013 lebt. «Da machte mein Mann plötzlich eine Flasche Wein auf und kam mit ganz offiziellem Gesichtsausdruck an den Tisch zurück.» Die 48-Jährige war verwirrt: «Ich dachte mir: Wir sind doch schon verheiratet!»

Der 40-jährige Ex-DTM-Pilot hatte aber ein ganz anderes Anliegen: Martin fragte Bö – wie Christinas Vater Peter Bönzli von allen genannt wird –, ob er nicht zu ihnen nach Deutschland ziehen wolle. «Er hat das vorher nicht mit mir besprochen. Mein Papi war sofort begeistert von dieser Idee, und im nächsten Moment redeten die beiden Männer bereits darüber, wo mein Vater wohnen könnte.» Martin besorgte ihm schliesslich eine Wohnung mitten im Zentrum von Rosenheim, knapp zehn Minuten entfernt.

Das alles passierte während des Lockdowns vor einem Jahr. «Martin wusste, ich würde durchdrehen, wenn mit Bö etwas wäre und ich nicht zu ihm könnte. Ich bin meinem Mann unendlich dankbar für diese Idee und dass er sie auch gleich umgesetzt hat.» Bö wurde in die Ferien geschickt, sein Schwiegersohn sorgte dafür, dass mit dem Umzug alles glatt lief. «Ich durfte nicht dabei sein», erzählt Bö. Martin erledige auch sonst alles für ihn – nicht nur die Züglete: «Er ist ein Freak, der kann alles – von Computer über Schreinern oder Technik. Wenn bei mir etwas nicht funktioniert, steht er gleich da und repariert es. Ich darf nichts selber machen», scherzt Bö, dem die Rundumversorgung sichtlich guttut.

Nun geniessen die Baslerin und ihre Liebsten das neue Zusammensein. «Es kommt so viel zurück von ihr», schwärmt Bö. Er, der 2019 seine schlimme Vergangenheit als Verdingkind publik gemacht hat, ist mit seinen 74 Jahren ein Lebemann und alles andere als ein Kind von Traurigkeit. «An meiner Geburtstags­party Ende März war er einer der letzten, die morgens um sechs Uhr noch feierten», freut sich Christina. Bö mag es, dass er zur Haustür rausgehen und um die Ecke in der Fussgängerzone Rosenheims bei einem Bier die Leute beim Flanieren beobachten kann.

Der ehemalige Unternehmensberater braucht niemanden, der ihn begleitet oder betreut. «Er kennt jetzt schon mehr Leute in Rosenheim als ich», amüsiert sich Christina. «Bö ist ein geselliger Mensch mit viel Humor. Es hat sicher mit seinem Beruf zu tun, da war er immer unter Leuten.» Ihr Vater wirft ein, dass er als Bub schon sehr scheu gewesen sei. «Die haben dich scheu gemacht», betont Christina. «Mein Papi ist das beste Beispiel dafür, dass man es schaffen kann, fröhlich und erfolgreich zu sein, selbst wenn es das Schicksal nicht so gut mit einem meint. Ich kenne niemanden, der so positiv ist – trotz seiner schwierigen Geschichte.»

Die Beziehung zwischen Vater und Tochter ist seit jeher eng. Christina ist Peter Bönzlis einziges Kind. Mit 14 zog sie bei ihrer Mutter und deren zweiter Familie aus zu ihrem Papi. «Er war es, der mich im Rennsport förderte, als er von meinem damaligen Mann Marc Surer gehört hat, dass ich Talent habe.» Bö fuhr früher selbst Motocross. Christina erinnert sich, wie sie stets zusammen an den Maschinen herumschraubten. «Er war schon ein wilder Hund.» Die Leidenschaft für Motoren verbindet Bö auch mit seinem Schwiegersohn: «Wir mögen beide schnelle Autos und gehen zusammen an Rennen.»

Mit 58 liess sich Bö pensionieren, zog an die spanische Costa Brava, wo er sich eine geräumige Villa hatte bauen lassen. Nach 15 Jahren zog es ihn zurück nach Basel und von dort nun nach Rosenheim. «Ich wohne aber nicht hier, damit ich mich zurückziehen kann.» Das Gegenteil sei der Fall. Übermässig viel Wohnraum möchte er nicht mehr: «Die Dachwohnung reicht mir völlig. Manchmal ist weniger mehr.»

Bald ist es schon Zeit, die Kinder von Christina und Martin, Emily (9) und Lio (7), von der Schule abzuholen. Doch dort wartet nur das Mädchen. Ihr kleiner Bruder habe sich an einen Baum angebunden. Wir warten. Chris­tina schickt ihre Tochter los, um Lio zu holen. Als sie unverrichteter Dinge zurückkommt, holt die Mama ihren Junior selbst. Mit einem Freudenschrei springt er seinem Opa um den Hals. Seufzend räumt Christina Lios prall gefüllte Hosentaschen aus, fördert einen faustgrossen Stein, jede Menge kleiner Stöckchen und eine Handvoll Sand zutage. Der Lockenkopf ist ein richtiger Wildfang.

Bei Bö zu Hause ziehen sich die Kinder die von der Mama mitgebrachten Outfits für die Fotos an, schnappen sich beide eine Banane. Christina lacht entsetzt, als Emily sich mit ihren klebrigen Händen durch die langen Haare fährt. Auch Lio hat es geschafft, das neue Tenue zu verdrecken. Mit Wasser und Haartrockner bringt es die Mama wieder in Ordnung. Dann geht’s in die malerische Innenstadt. Am Süssigkeiten-Stand erhält Emily eine Zuckerwatte – die sie sich wieder in die Haare streicht –, und Lio gebrannte Mandeln. Nicht weit entfernt steht ein Riesenrad. Für die Kinder ist es die Attraktion, wenn sie mit Bö unterwegs sind. «Die haben mich schon gern», stellt der Opa glücklich fest.

Seine Liebsten binden ihn stets in ihr Leben ein. Als der Krieg in der Ukraine losbrach, wurde Christina sofort aktiv. Da sie gehört hatte, dass zwar genügend Hilfsgüter in ihrem Heimatort gesammelt wurden, es aber weder genug Lastwagen noch Chauffeure gebe, um die Sachen ins Kriegsgebiet zu bringen, liess sie ihr Kontaktnetz spielen. «Ich habe bemerkt, wie viel ich bewegen kann.» Die Familie zog mit: Bö organisierte drei Trucks mit Fahrern, Martin, der den LKW-Führerschein besitzt, setzte sich selbst hinters Steuer – und ein in Rekordzeit privat zusammengestellter Konvoi von 15 Lastern fuhr Richtung Osten los. Christina kennt Ukrainer, die ihr den direkten Kontakt zu Flüchtlingslagern vermittelten, alles kam am rich­tigen Ort an. Auch Emily und Lio waren Teil der Aktion, halfen beim Beladen der LKWs mit Hilfsgütern. Wenn auch kein alltägliches Beispiel, so zeigt dies doch, was diese Familie ausmacht: Man unterstützt sich, macht Sachen zusammen möglich, hat die gleichen Ziele und Werte. Und man hält nicht zurück mit Liebe und Fürsorge.