Ihr berührendes Vermächtnis

Die glamouröse Zeit mit dem Trio Peter, Sue und Marc liegt für die Sängerin weit zurück. Ein langer, erlebnisreicher Weg führte sie zu sich selbst und zu einer tiefen Zufriedenheit.

Sie fährt am Bahnhof St. Gallen mit ihrem blauen Auto vor. Die Rückbank ist ganz für Mishko reserviert, der ruhig auf seiner Decke liegt, nur neugierig den Kopf hebt und schaut, was da passiert. Für Susan «Sue» Schell (72) nimmt der achtjährige Mischlingsrüde, den sie vor zwei Jahren aus einem Tierheim geholt hat, einen grossen Platz im Leben ein. «Er ist tatsächlich ein Corona-Hund. Ich brauchte in dieser Zeit etwas, das mich motiviert, rauszugehen. Ich bin ein bisschen eine Stubenhockerin», gesteht die Sängerin des legendären Schweizer Trios Peter, Sue und Marc mit ihrem liebenswerten Lächeln. «Anfangs lief er immer wieder weg. Mishko war ein bulgarischer Strassenhund, der sich gewohnt war, seiner Wege zu gehen.»

Inzwischen ist der Vierbeiner voll auf sein Frauchen fixiert. Andere Menschen interessieren ihn wenig. Wenn Sue aufsteht, geht er ihr nach. «Ich hatte immer wieder Hunde», erzählt die gebürtige Amerikanerin, die als Achtjährige mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Bern zog. «Auch während der Zeit mit dem Trio war stets mein Hund Betsy dabei.»

Vor dem Aufnahmestudio von Tibor Lörincz parkt Sue, packt Decke und Wasserschälchen für Mishko ein, führt uns an ihre aktuelle Wirkungsstätte. Hier nimmt sie ihre wohl letzte CD auf. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass nochmals so etwas kommt. Aber sag niemals nie», meint sie mit ihrer sanften Stimme und diesem gewinnenden Lächeln. Sue hat immer gerne im Studio gearbeitet. Mit dem neuen Werk will sie abschliessen, was sie vor drei Jahren in Deutschland mit ihrer Kollegin Jutta Wurm begonnen hat: Lieder einsingen, die sie auf ihrem spirituellen Weg in Meditationszentren, Klöstern, Retreats und Seminaren gesammelt hat. Das kann auch ein Gebet sein, das die Frauen vertont haben. «Seit drei Jahren liegen die Lieder in der Schublade. Ich fand, das geht nicht.»

In Tibor Lörincz fand die Wahl-Teufnerin einen guten Partner: «Wenn Sue ins Studio kommt und wir an dieser Musik arbeiten, bin ich tiefenentspannt. Da steckt viel Herzblut drin, auch von mir», sagt er. Sie fordert ihn auf, etwas abzuspielen. Wenn die Musik ertönt, singt sie mit, wiegt sich im Takt, setzt sich ans E-Piano und spielt mit. Immer wieder hält sie inne und hört genauer hin, freut sich über die gelungene Überarbeitung der Lieder.

Die innere Reise war und ist für Susan Schell ein wichtiger Teil ihrer Geschichte: «Nachdem sich das Trio aufgelöst hatte, freute ich mich auf meinen eigenen Weg als Sängerin.» Doch ihre Solokarriere kam nach dem riesigen Erfolg von Peter, Sue und Marc nicht wie gewünscht in Fahrt. Susan fiel in eine Identitätskrise. «Wenn du einen gewissen Status hast, gibt dir das Sicherheit. Du stellst keine Fragen, machst dein Zeug und merkst nicht, wie abhängig du davon bist.» Als ihre Laufbahn als Sängerin plötzlich ins Stocken geriet, musste Sue sich fragen: Was kann ich, wer bin ich, wenn der Erfolg ausbleibt? «Das war hart.»

Sie begann zu meditieren und Yoga zu praktizieren. «Das tat mir gut. In meinem Kopf drehte sich alles, und ich musste dringend Ruhe finden.» Da sei sie einfach «innegumpet» in ein zehntägiges, buddhistisches Schweigeseminar. Das löste in Susan viel aus. Es folgten Reisen und Aufenthalte im Ausland. Sie machte eine Weiterbildung als Klangheilerin und begann, ihre Stimme als Kraft und heilendes Instrument zu verstehen. «Töne und Klänge lösen viel aus in uns, da kommen Energien und manchmal auch Tränen ins Fliessen. Es ist wie eine Reinigung und stärkt auch das Immunsystem», weiss sie.

Bis zur Coronakrise arbeitete Susan viel in Hospizen und Spitälern. Oft sang sie für die Patienten. «Das ist sehr bereichernd, und ich tat es von Herzen. Da kann ich wirklich etwas geben, das einen Unterschied macht.» Sie erzählt von einer Frau, die kurz vor dem Sterben war: «Als ich leise für sie sang, liefen ihr bei geschlossenen Augen die Tränen über die Wangen.» Oder die Begegnung mit einem 50-Jährigen im Wachkoma: «Er hatte ein total verspanntes Gesicht. Ich sang schamanisch, nur nach Gefühl. Plötzlich begann er zu lächeln. Es war wie ein Wunder und hat mir alle Zweifel an der Wirkung dieser Art zu tönen und zu singen genommen!» Sie vermisse diese Aufgabe etwas. Seit Mishko hier ist, fällt es ihr jedoch schwer, wieder einzusteigen. «Ich müsste ihn vier bis fünf Stunden allein lassen, weil er nicht in Spitäler mitkommen darf. Ich weiss nicht, ob ich ihm das zumuten will.»

Susan hat sich die Freiheit erarbeitet, das zu tun, was sie will und worauf sie Lust hat. Viel dazu beigetragen hat, dass sie das in den Jahren mit Peter, Sue und Marc verdiente Geld clever investierte. Davon kann sie leben. «Nicht auf grossem Fuss. Aber ich brauche nur wenig.» Jetzt freut sich Susan auf die Neuinszenierung des Musicals «Io senza te» (siehe Box). «Ich werde mir die Premiere nicht entgehen lassen, das ist immer sehr aufregend.» Als das Stück vor sechs Jahren in Zürich spielte, hat sie es ganze 13 Mal gesehen. «Ich fand es grossartig. Und ich kann das Herzblut dieser Künstler so gut nachvollziehen. Wenn man da drin ist, bedeutet das die ganze Welt!»