«Ich wurde einst als Verräter   beschimpft»

Er hat den volkstümlichen Schlager im Schweizer Fernsehen salonfähig gemacht und wurde dafür zum Verräter an der Tradition gebrandmarkt. Der Gewinner des «Ehren-Prix-Walo» hat aber noch viel gefährlichere Klippen gemeistert – und ist dem Tod mehrmals von der Schippe gesprungen. Hier zieht er Bilanz eines aussergewöhnlichen Showlebens.

Das Foto ist symbolträchtig. «Wysel, schiess zu, ich fürcht’ mich nicht», heisst es in der Sprechblase. Auf dem Kopf trägt Sepp Trütsch symbolisch eine goldene Birne. Bei Wysel Gyr (1927–1999) handelte es sich um den damaligen Folklore-­Papst, der als Abteilungsleiter erstmals Ländlerkapellen und Jodler ins Schweizer TV brachte. «Wysel war sehr dominant und auch eigenwillig», erinnert sich Trütsch (72). «Der Mann war ein Chrampfer, hätte wohl am liebsten mehr als 365 Tage im Jahr gearbeitet. Ich wusste nicht weniger als er, aber dazu konnte ich selber jodeln.» Die TV-Bosse holten den jungen Trütsch an Gyrs Seite. Sepp Trütsch: «Ich integrierte den volkstümlichen Schlager ins TV. Wysel machte gegen mich mobil mit dem Stichwort: ‹Das ist Verrat an der Volksmusik.› Wir lernten, miteinander zu leben. Jeder bearbeitete sein Spezialgebiet. Später fanden wir uns bei uns zu Hause wieder. Meine Frau Ida bereitete ihm sein Lieblingsdessert zu: Erdbeeren. ­Wysel ass eine ganze Schüssel. Das war in Schwanden im Emmental, wo wir damals wohnten.»

Sepp Trütsch traf in seinem umtriebigen Showleben die Grössten der Branche, aber auch Menschen wie den südafrikanischen Freiheitshelden Nelson Mandela und den Jahrhundert-Geiger Yehudi Menuhin, die ihn tief beeindruckten. Nelson Mandela bewundert Trütsch am meisten. «Der Mann hatte ein Fluidum, eine Ausstrahlung, wie ich sie noch nie von einem Menschen wahrgenommen habe. Mein Kollege Karl Moik und ich waren mit dem damaligen österreichischen Bundeskanzler Schüssel im Präsidentenpalast Kapstadt. Wir liessen von einem örtlichen Konditor eine Original-Sachertorte backen und brachten sie ihm als Geschenk mit. Mandela freute sich sehr. Aus protokollarischen Gründen waren allerdings keine Fotos mit der Ikone erlaubt.»

Die Fotos in der GlücksPost-Ausgabe 51/52 zeigen die Vielseitigkeit des begnadeten Sängers Trütsch. Ob mit seiner Joe-Cocker-Parodie bei «Benissimo», der lebensgefährlichen Schnapsidee, seine Sendung «Fyrabig» auf dem Gipfel des Eigers in Moonboots zu moderieren oder dass dank seiner Schlitz­ohrigkeit die Siegerinnen der ersten «Grand Prix der Volksmusik»-­Sendungen mit Nella Martinetti und Maja Brunner Schweizerinnen waren, sind nur ein paar Beispiele. Apropos «Fyrabig»: Dass Trütsch zum Moderationsjob der beliebten Sendung kam, lag an Vorgänger Hans Peter Treichler. Weil der sich weigerte, mit der GlücksPost zu sprechen (O-Ton: «Das ist unter meinem Niveau»), bekam Trütsch den Zuschlag.

Sepp Trütsch über sein Verhältnis zu seiner Ehefrau Ida: «Wir haben es sehr gut zusammen. Wir spazieren sehr oft in der Umgebung, unternehmen Passfahrten und hatten es ehrlich gesagt nach 52 Jahren nie mehr so gut wie heute. Klar hatten wir ein paarmal Sturm-Perioden, so wie es den meisten Paaren mal passiert. Aber im Gegensatz zu früher unternehmen wir heute alles gemeinsam. Früher ging das gar nicht. Ich hatte stets einen Rattenschwanz von Leuten um mich herum. Sie war Innenministerin, ich Aussenminister.» Die eben dazugekommene Ehefrau bestätigt Sepps Aus­sagen. Möchte aber, wie schon seit Jahren, «auf keinen Fall fotografiert werden und auch nicht als Foto in der Story vorkommen.»

Warum ihn seine Ida noch im Sarg geohrfeigt hätte? «Dies verantwortete ich im wahrsten Sinne des Wortes selber», erzählt Trütsch. «Wir drehten in Grindelwald für die Sendung ‹Fyrabig›. Da hatte ich die Idee, auf dem Gipfel des Eiger zu moderieren. Bernhard Russi, der mit den Skifahrern Walter Tresch und Toni Bürgler mit dabei war, meinte: ‹Wenn du das schaffst, bezahle ich dir den Heli dafür.› Den kannst du gleich jetzt buchen, sagte ich. Gesagt, getan. Von der Mittellegihütte aus flog man mich mit Bergführer auf den Gipfel, setzte mich ab, der Bergführer rammte einen Pickel ins ewige Eis, ich setzte mich, und er band mich am Pickel fest. ­Zuerst kniete ich, dann stand ich auf, als der Helikopter mit dem Kameramann rund um uns flog. Ich moderierte und wurde wieder runtergeflogen.» Die Geschichte endete zu Hause mit einem grossen Krach. «Als Ida auf den Fotos sah, dass ich auf dem Eiger Moonboots trug, schrie sie mich an. ‹Wenn du dort oben gestorben wärst, hätte ich dich noch im Sarg geohrfeigt.›»