
Die 71 Jahre alte Katharina Thalbach ist immer noch beinahe täglich am Arbeiten: Sie dreht Filme, spielt Theater, gibt Lesungen.
Katharina Thalbach
«Ich würde gern so 120 werden»
Die in Ostberlin geborene Schauspielerin hat schon als Kleinkind Bühnenluft geschnuppert. Was die 71-Jährige an ihrem Schweizer Vater bewunderte und was sie sich von der Schweiz gewünscht hätte.
Von Andrea Butorin
Katharina Thalbach schauspielert, seit sie vier Jahre alt ist, und setzt ihre Reibeisenstimme mit Wonne für Hörbücher oder bei Lesungen ein. Etwa am 14. Juni in Baden AG: Da liest sie bei «Schatten über dem Nichts» Märchen und Schauergeschichten, begleitet von den schönen Klängen von The Beauty of Gemina Acoustic feat. Stefania Verità.
GlücksPost: Stimmt es, dass Sie nicht mit mir videotelefonieren wollten, weil Sie im Moment wegen eines Filmdrehs keine Haare auf dem Kopf haben?
Katharina Thalbach: Das ist korrekt. Wir drehen gerade «Agnes und Amir» nach einer wahren Geschichte. Darin spiele ich die 100-jährige Agnes, die neuen Lebensmut bekommt, weil ein junger schwuler Iraner bei ihr einzieht. Eine unwahrscheinlich zärtliche und übrigens wahre Geschichte. Leider ist Agnes letztes Jahr 104-jährig verstorben. Aber dank Amir hatte sie einen wunderbaren Lebensabend. Weil meine Haare so dünn sind, musste ich mir für unter der Perücke eine Glatze machen.
Wie fühlt sich das an?
Ganz ehrlich: Ich liebe es! Alle wollen einen anfassen, weil man sich wie ein Hamster anfühlt.
Wann wird eigentlich Ihr eigenes bewegtes Leben verfilmt?
Ich hoffe nie. Wenn, dann erst nach meinem Tod.
Was ist Ihre stärkste Erinnerung an Ihren Vater, den gebürtigen Schweizer Benno Besson?
Dass er so wunderschöne Inszenierungen gemacht hat. Zum Dahinschmelzen! Er hatte eine Leichtigkeit und einen Charme, aber auch eine grosse Intelligenz und viel Humor. Er war ein Zauberer. Und woran denken Sie bei Ihrer Mutter Sabine Thalbach als Erstes? Sie war eine ganz grosse Komikerin. Das hat mich immer sehr beeindruckt.
Eine wichtige Rolle in Ihrem Leben spielten Bertolt Brecht, dem Sie als Kleinkind begegnet sind, und dessen Werke.
Leider habe ich keine Erinnerungen an ihn – er starb, als ich zwei Jahre alt war. Offenbar habe ich ihm ständig die Mütze vom Kopf gerissen, das war ein ständiges Spiel zwischen ihm und mir, das ich sehr liebte, wie mir meine Mutter erzählte. Später war ich Meisterschülerin bei Helene Weigel (1900–1971), seiner Frau, da haben wir natürlich viel von ihm gespielt. Brecht ist einer der grössten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, das muss man schon sagen.
Nachdem Sie in den 70er-Jahren die DDR verlassen hatten, machten Sie in Westdeutschland Karriere. 1983/84 kamen Sie der Arbeit wegen mit Ihrer Tochter für anderthalb Jahre nach Zürich. Wie war das für Sie?
Wir haben sogar mehrmals in Zürich gelebt. Meine Tochter ist da zur Schule gegangen und spricht immer noch fliessend Schwiizertüütsch. Zürich war herrlich. Auch ohne Pass fühlte ich mich im Herzen als Schweizerin.
Sie sollen es der Schweiz übel genommen haben, dass Sie keinen Schweizer Pass erhalten haben.
Ja, den wollten sie mir nicht geben. Weil ich ein Bastard bin. Dabei hatte mein Vater mich anerkannt. Ich hätte es sehr gern gehabt, wenn mich das Land gewollt hätte.
Sie haben eine der markantesten Stimmen Deutschlands. Mögen Sie sie?
Ich mag sie, was soll ich auch tun? An der Stimme erkennt man mich eher als am Gesicht. Früher war sie höher, aber schon in jungen Jahren hatte mir eine Sprecherzieherin prophezeit, dass ich einmal eine tiefe Stimme bekommen würde. Da ich diverse Männerrollen gespielt habe, wurde sie durch das Training tiefer. Und natürlich habe ich die eine oder andere Zigarette geraucht und den einen oder anderen Wodka getrunken.
Wie gehen Sie mit dem Älterwerden um?
Ich bin dankbar für jeden Tag, den ich habe. Solange ich keine Krankheit habe und solange hier – bitte, bitte – kein Krieg ausbricht, geniesse ich es. Es gibt ja sehr schöne Sachen auf dieser Welt. Blöd ist natürlich, dass es immer weniger werden: Ich würde gern so 120 werden. Was macht Sie glücklich? Arbeit, gutes Essen, Reisen. Ich liebe meine Familie und treffe sie gern. Der Natur zugucken, lachen, schöne Kunst. Auch schlafen ist herrlich!
Sie sollen eine Zockernatur sein.
Ja, aber nicht mehr so dolle wie früher. Jetzt spiele ich nur noch ab und zu mit meinen Freunden Skat. Und ich mache Sudokus, das ist geistiges Yoga für mich.
Was würden Sie gern noch spielen?
Vielleicht Nosferatu? Das würde zu meiner aktuellen «Frisur» passen (lacht). Ein richtig guter Gruselfilm wäre toll.