
Oberhalb ihres Geburts- und Wohnorts Elm GL fühlt sich Vreni Schneider am wohlsten.
Vreni Schneider
«Ich war schon oft an Schwingfesten»
Die bekannte Glarner Skifahrerin amtet als ESAF-Botschafterin. Der Schwingsport hat sie schon immer fasziniert, das Fest in Mollis GL will sie deshalb richtig geniessen.
Von Andrea Butorin
Während ihrer Skikarriere in den 80er- und 90er-Jahren gewann Vreni Schneider aus Elm GL zahlreiche Goldmedaillen und Kristallkugeln. Jetzt steht für sie aber das Eidgenössische Schwingfest (ESAF) im Fokus: Sie amtet nicht nur als Botschafterin, sondern ist auch Taufpatin des Siegermunis Zibu.
GlücksPost: Welchen Bezug haben Sie zum Schwingsport?
Vreni Schneider: Schwingen habe ich immer verfolgt. Vor allem auch mein Vater und meine Brüder sind Schwing-Fans, aber wir sind generell eine sportbegeisterte Familie. Im Winter gilt unsere ganze Aufmerksamkeit dem Skirenn- und dem Wintersport allgemein, im Sommer schauen wir Schwingen und alles, was gerade läuft.
Haben Sie auch schon Schwingfeste besucht?
Ja, ich war schon oft an Schwingfesten. Mich fasziniert die Bodenständigkeit, die Leidenschaft und auch das Friedliche. Da gibt es keine Schlägereien, und man kann auf der Tribüne problemlos mit einem Sackmesser eine Salami schneiden.
Was fasziniert Sie am Schwingsport?
Für mich sind Schwingen und Skifahren ähnliche Sportarten: Ich finde, dass jene Sportler, die am meisten Erfolg haben, am bescheidensten bleiben. Beim Schwingen gefällt mir, wie respektvoll die Sportler mit dem Gegner umgehen und dass sie sich nach dem Gang die Hand geben. Jeder will gewinnen, aber jeder nimmt die Entscheidung der Kampfrichter fair und sportlich entgegen. Sogar dann, wenn die Punktezahl umstritten ist. Sie bleiben auch nach einem schlechten Gang fokussiert auf den nächsten. Das finde ich grossartig! Auch beim Skifahren hadert man nach einem schlechten ersten Lauf nur einen Moment und sagt sich dann: «Gut, habe ich noch den zweiten Lauf.» Gerade ich war ja oft froh um diesen! (Lacht.)
Wem haben Sie in Ihrer Jugend besonders die Daumen gedrückt?
Wir waren natürlich Fan der einheimischen Schwinger, vor allem aber auch vom Schwyzer Eugen «Geni» Hasler. Nun sind wir beide ESAF-Botschafter und Paten des Siegermunis Zibu.
Und haben Sie beim diesjährigen Eidgenössischen einen Favoriten?
Nein. Klar, die Einheimischen kenne ich nach wie vor am besten, und die Nordostschweiz ist mit all ihren Trümpfen sehr gut aufgestellt. Doch die Innerschweizer haben mit Joel Wicki den Titelverteidiger, und die Mannschaft der Berner mit ihren Königsanwärtern und den vielen jungen Talenten ist der Wahnsinn! Ein Eidgenössisches ist natürlich ein anderes Kaliber. Da spielen die körperliche und mentale Verfassung über zwei Tage eine wichtige Rolle. Ich hoffe vor allem, dass es ein erfolgreiches und unfallfreies Fest vor wunderbarer Bergkulisse wird.
Ihre beiden Söhne sind Ihnen nachgeeifert: Florian (21) fährt FIS-Rennen, Flavio (19) hat unterdessen aufgehört. Wie hätten Sie reagiert, wenn sie hätten schwingen wollen?
Das wäre selbstverständlich auch gut gewesen, denn jede Sportart ist eine Lebensschule. Es war aber naheliegend, dass wir zusammen Ski gefahren sind, auch durch unsere eigene Skischule.
Was werden Sie als ESAF-Botschafterin während des Schwingfests vor Ort machen?
Ich habe den einen oder anderen Termin, den ich wahrnehmen muss, aber ich kann die zwei Tage auch voll geniessen.
Mit welchem Gefühl haben Sie neben Siegermuni Zibu für Fotos posiert?
Mit einer riesigen Ehrfurcht. Das ist so ein riesiges und schönes Tier! Man fragt sich: Bleibt er ruhig, oder springt er plötzlich auf? Aber es war so eindrücklich zu sehen, wie Züchter Bert Horner ihm bloss beruhigend «He, Zibu» sagen muss und wie das mächtige Tier zuhört und ruhig bleibt.
Vor 30 Jahren haben Sie Ihren Rücktritt vom Spitzensport bekannt gegeben. Wie präsent ist Ihnen dieser Moment noch?
Ui! Natürlich war der 19. April 1995 ein einschneidender Moment. Ich kann mich fast noch an jedes Detail erinnern. Aber inzwischen ist das eine Ewigkeit her, und man muss auch loslassen.
Welches war der prägendste Moment Ihrer Karriere?
Das waren zwei: Erstens der allerletzte Slalom in Bormio (I). Den wollte und musste ich unbedingt nochmals gewinnen, um zum dritten Mal Gesamtweltcup-Siegerin zu werden. Und zweitens das dritte Olympiagold in Lillehammer (Norwegen). Das hatte es in sich, denn ich musste nach dem ersten Lauf natürlich wieder einmal aufholen (lacht). Dass ich das trotz dem Druck der jüngeren Fahrerinnen noch einmal geschafft hatte …
Den Skizirkus verfolgen Sie nach wie vor, korrekt?
Ja, sehr intensiv! Und wenn ich an einem Renn-Tag selber mit Gästen auf der Piste bin, schaue ich am Abend alles nach, und zwar auf allen Sendern. Ich muss hören, was jede Kommentatorin und jeder Kommentator sagt, und auch die Interviews mit den Athleten und Athletinnen im Ziel sind so spannend. Manchmal nicke ich dabei ein, wache auf und spule wieder zurück, bis ich mitten in der Nacht endgültig ins Bett gehe. Das gibt lange Tage und Nächte (lacht).
Sie sind letztes Jahr 60 geworden. Machen Sie sich schon Gedanken über die Zukunft der Skischule?
Manchmal komme ich im Kinderland schon an den Anschlag. In der letzten Wintersaison etwa verspürte ich plötzlich ein Taubheitsgefühl in meinen Händen und Fingern. Ich konnte nicht einmal mehr die Skischuhe zuschnallen, und wie ich die Skis getragen habe, da konnte man nicht hinschauen. Ich werde älter. Ich kam nicht drum herum, den Karpaltunnel und die Sehnenscheidenentzündung zu operieren, und musste dafür einige Skitage absagen. Aber zum Glück hat der Arzt das super hingekriegt. Wenn wir sehen, wie viel Freude die Kinder und deren Eltern an unserer Arbeit haben, motiviert das unser Ski- und Snowboardschul-Team enorm. Darum machen wir alle noch lange weiter.
Und wenn der Tag dereinst kommt und Sie beide Ihre Skischule in andere Hände übergeben, steht dann ihr jüngerer Sohn Flavio bereit? So, wie er das als Knirps einmal in einem Interview gesagt hat …
Nein, die Söhne sagen im Moment, dass sie die Schule nicht übernehmen werden. Wir sind dankbar, dass Flavio uns in den strengsten Ferienwochen jeweils aushilft, aber er, der eben seine Lehre als Landmaschinen-Mechaniker erfolgreich abgeschlossen hat, liebt seine Maschinen viel zu sehr. Florian ist als Rennfahrer in seinem geliebten Sport genug gefordert und ist viel zu gern Forstwart.
Fürs ESAF strömen rund 350 000 Menschen ins Glarnerland. Warum lohnt sich ein Besuch auch abseits der Grossveranstaltung?
Das ist ganz einfach: Um unsere schöne Heimat kennenzulernen und eine schöne Zeit zu geniessen.
Es ist bekannt, dass Sie auf Ihrem Lieblingsbänkli im Chnollä oberhalb von Elm schon viele wichtige Entscheidungen getroffen haben. Inzwischen trägt diese Bank sogar Ihren Namen. Können Sie noch ungestört dorthin gehen?
Ja, das ist und bleibt mein Lieblingsbänkli. Darauf kann ich immer noch ungestört sitzen und meine Heimat geniessen.