«Ich muss der Beste sein»

Sein Erfolg beruht auf der totalen Hin­gabe seiner Familie. Für die kommende Weltcup-­Saison liegen grosse Hoffnungen auf dem Ski-­Talent aus der Innerschweiz. Wie hält er dem Erwartungsdruck stand?

Ein frecher Skifahrer sei er, wird Marco Odermatt nachgesagt. Nicht, weil das Ski-Talent eine grosse Klappe hat, sondern wegen seines Fahrstils: «Wenn der Trainer Marcos Leistung beurteilt, sagt er, er nehme stets eine freche Linie – im Gegensatz zur Ideallinie oder einer, die mehr auf Sicherheit ausgerichtet ist», erklärt sein Vater Walter (51), der früher selbst FIS-Skirennfahrer war, der GlücksPost bei einem Besuch zu Hause in Buochs NW.

Ohne seinen Papa wäre der 21-Jährige heute nicht in der Schweizer Ski-Nationalmannschaft und Hoffnungsträger für die kommende Saison. Walter war 2004 Mitinitiant der Begabtenförderung Ski Alpin Hergiswil. Eine Institution, die Schule und Training von jungen Athleten im Nidwaldner Skiverband koordiniert. «Das habe ich nicht wegen meinen Kindern getan. Es war damals nicht abzusehen, dass es so kommen wird.» Als er realisierte, wie ernst Marco das Training nahm und freiwillig jedes Wochenende früh aufstand, zog er mit: «Das ist schon ein starker Einschnitt ins Familienleben, wenn man ständig auf der Piste steht. Skifahren ist finanziell und zeitlich aufwendig.»

Als sich Marcos Weg vom Nachwuchsfahrer zum Profisportler abzuzeichnen begann, präparierte Walter in der Skiwerkstatt im Keller des Einfamilienhauses zuweilen über 100 Paar Skis pro Saison für seinen Sohn. «Bei einem solchen Einsatz können die sozialen Kontakte in den Hintergrund geraten.» Da müsse man aufpassen. Besonders jetzt, wo das Skifahren praktisch Marcos ganzes Leben diktiert. «Wir haben immer geschaut, dass er daneben auch mit seinen Kollegen etwas unternimmt. Sonst isoliert man sich irgendwann.» Marco ist sich bewusst: «Ich führe ein anderes Leben als 99 Prozent meiner Mitmenschen. In einem normalen Beruf kann ich einer von hundert sein. In meinem muss ich der Beste sein. Wenn du deine Sache nicht richtig machst, interessiert es keinen. Der Bessere profitiert.» 

Mutter Priska (52) ist froh, dass Tochter Alina (18) nicht so enorm risikofreudig ist wie ihr Bruder. Die 18-Jährige gilt ebenfalls als Talent und ist Mitglied im Nationalen Leitungszentrum Mitte. «Manchmal habe ich Angst, wenn ich diese Pisten sehe. Das ist schon sehr schwierig für mich.» Doch sie musste sich damit zurechtfinden. «Ich bin keine Skifahrerin und wollte das alles ursprünglich nicht. Aber natürlich wächst man hinein.» Sie konnte schlecht Nein sagen, zur grossen Leidenschaft von Ehemann, Sohn und Tochter. «Ich stand in ihrer Kinder- und Jugendzeit rund 15 Jahre lang jedes Wochenende im Winter früh auf und habe Brote für alle geschmiert», erinnert sie sich.

Heute können sich die Eltern etwas zurücklehnen. Marco wohnt zwar noch zu Hause und ist in administrativen Belangen auf ihre Hilfe angewiesen. Doch die grosse Arbeit können sie dem Skiverband überlassen, den Trainern, Managern, Betreuern. Ab und zu bespricht der Vater die Rennen noch mit seinem Sohn. «Doch er mag meinen Rat oft nicht mehr hören, wird eher gereizt bei technischen Themen.» Er nimmt es gelassen, dass Marco seiner Obhut entwachsen ist.

Ebenso – scheinbar – gelassen nimmt Marco den Erwartungsdruck, der auf ihm lastet. Denn er will es ja selbst: der Beste sein. «Von dem Moment an, in dem man gewinnt, will man mehr. Man merkt auch: Es geht mehr, ich kann mehr. Das motiviert.» Er weiss aber natürlich, dass sehr viele Leute auf ihn zählen. Alle, die ihre Energie und ihr Geld in ihn und seine Karriere investieren. Spätestens seit er 2018 an der Junioren-WM fünf Goldmedaillen geholt und damit Sportgeschichte geschrieben hat.

Wir sind gespannt auf das neue Kapitel, das Marco mit dem Start in die Ski Alpin Weltcup-Saison am 27. Oktober in Sölden schreibt. Zu sehen ab 9.50 Uhr auf SRF 2.