«Ich hatte immer wahnsinniges Glück»

Die für ihre Zeit unkonventionelle Serie «Motel» bewegte die Gemüter. Die Hauptdarstellerin wird bis heute oft auf eine einzige Szene reduziert. Sie hat ihren Frieden damit gefunden und blickt auf ein reichhaltiges Schaffen zurück.

Es gibt keinen Rückblick auf die grössten, denkwürdigsten oder populärsten Momente des Schweizer Fernsehens, in dem sie nicht vorkommt: die Szene aus «Motel», in der Jörg Schneider († 2015) im Bett mit Silvia Jost (75) zu sehen ist und die verrutschte Decke den Blick auf Josts nackte Brust freigibt. 1984 ein Skandal! Und nicht der einzige, den die Macher ins Seriengeschehen einbauten.

Noch heute, 36 Jahre später, wird die gebürtige Bernerin, die mit ihrem Mann im Bucheggberg zwischen Solothurn und Bern wohnt, stets darauf angesprochen. Auch die GlücksPost trifft sie wegen – man ahnt es – «Motel». Es wird im SRF-Sommerprogramm wieder ausgestrahlt (siehe Box). Dass dieser eine Augenblick in ihrer lebenslangen, vielfältigen Karriere immer wieder thematisiert wird, ärgert Jost nicht. «Ich finde es einfach langweilig», meint sie lachend. Sie lacht gern. Eine erfüllte, glückliche Frau sitzt uns gegenüber.

Es ist nicht selbstverständlich, dass die Schauspielerin uns vier Stunden widmet. Sie gab und gibt nicht gerne Interviews, mag es nicht, für Fotos zu posieren. Unter anderem deswegen hat Jost nie das grosse Rampenlicht gesucht: «Wenn du bekannt sein willst, musst du ständig medial präsent sein. Aber ich mag diesen ganzen Rummel nicht.»

Viel lieber steht sie auf der Bühne. Nach diversen Gastspielen an in- und ausländischen Theatern gründete sie 2006 mit ihrem Mann, dem deutschen Regisseur, Autor und Schauspieler Andreas Berger (61), eine eigene Produktionsgesellschaft: «Jost und Berger» haben sich im Laufe der Jahre neben dem Theater auf Lesungen spezialisiert. Im Repertoire sind bekannte Stücke wie Gotthelfs «Die schwarze Spinne», aber auch eigene Werke mit und ohne musikalische Begleitung. Wegen der Corona-Krise stehen zurzeit keine Aufführungsdaten fest. Jost hofft sehr, dass sie ihre Arbeit im September wieder wird aufnehmen können (Infos: jostundberger.ch). «Unsere Lesungen nicht mehr präsentieren zu können, ist kein schöner Gedanke!»

Entstanden ist die Produktionsgesellschaft in einer Zeit, in der die Engagements rar waren. Dank der Nische, die es für sich gefunden hat, kann das Paar von seiner Kunst leben. Doch Jost betont: «Man muss bescheiden bleiben. Grosse Sprünge sind nicht möglich, keine extravaganten Ferien, und die Kleider sind meist Secondhand. Aber wir brauchen nicht mehr. Es gibt so ein gutes Lebensgefühl, wenn man nicht ständig auf Konsum konzentriert ist.»

Und auch nicht auf Ruhm. Andere hätten ewig der Chance auf eine grosse Karriere nachgetrauert, die der Bekanntheitsgrad durch «Motel» mit sich brachte. Nicht so Silvia Jost. Sie findet: «Ich habe immer wahnsinnig Glück gehabt. Es ergab sich stets etwas Neues.»

Fehlt ihr, die ursprünglich Tänzerin werden wollte, bei den Lesungen nicht die Bewegung? Wie bestellt steht ein Gestell mit Büchern zum Ausleihen am Wegrand. Jost greift wahllos hinein und legt los, beweist, wie lebendig Vorlesen und Erzählen ist, wenn es jemand kann. Ihre sonst so rauchige Stimme nimmt alle möglichen Tonlagen und Färbungen an. «Ich liebe die Arbeit mit der Sprache. Mein Vater war Buchhändler und konnte unzählige Gedichte auswendig. Das hat mich geprägt.»

Geprägt haben Silvia Jost und Andreas Berger wiederum ihre gemeinsame Tochter Mirjam Berger (30), die ihren Eltern letztes Jahr ihr erstes Enkelkind geschenkt hat. Sie ist ebenfalls Theaterschaffende, arbeitet auf und hinter der Bühne und ist unter anderem Teil des Performancekollektivs Trade Sachs, das mit neuen theatralischen Formen experimentiert.

Josts Tochter hat schon als Baby Theaterluft geatmet, in der Garderobe geschlafen, während die Mutter auf der Bühne stand. Doch in ihrer berühmtesten Rolle sah sie sie nie: Von «Motel» gibt es weder DVDs zu kaufen noch Folgen im Internet zu finden. Nun ist die Chance da, die legendäre Serie zu sehen, von der nicht nur Mirjam Berger lediglich einen einzigen Ausschnitt kennt.

«Motel» ist zurück

Eineinhalb Millionen Zuschauer verfolgten 1984 die 40-teilige Serie um das Geschehen im «Motel» in Egerkingen SO. Nun gibt es ein Wiedersehen mit dem melancholischen Koch Koni (Jörg Schneider), der patenten Gouvernante Erika (Jost) und dem frechen Stift Peperoni (Dani Levy). Ab 4.7., samstags um 14.50 Uhr (jeweils zwei Folgen), SRF 1.