«Ich hätte fast mein Leben verloren»

Die Welt der TV-Moderatorin wirkt perfekt – und heute ist sie das wohl auch. Doch zuvor ist die dreifache Mutter durch die Hölle gegangen. In einem Buch erzählt sie nun erstmals ausführlich von der Zeit, als eine gefährliche Sekte ihr Dasein bestimmte.

Ein Sonnenschein ist sie, vom Erfolg verwöhnt, wunderschön, stolze Mama von drei gesunden Töchtern, mit ihrer grossen Liebe Tomaso (34) verheiratet: Michelle Hunziker (40) ist vom Schicksal gesegnet und weiss das auch. «Heute bin ich glücklich», freut sie sich. Sie sagt «heute» – denn es war nicht immer so: In ihrem neuen Buch «Una vita apparentemente perfetta» («Ein scheinbar perfektes Leben») und Interviews dazu in «Chi» und «Corriere della Sera» spricht sie offen über ihre persönliche Hölle.

Michelle Hunziker über …

 … ihre Kindheit

Sie habe in acht verschiedenen Kantonen gelebt. Nachdem sie vom Tessin in die Deutschschweiz gezogen war, sei sie oft gehänselt worden, weil sie Italienisch sprach. «Ich wollte nie in die Pause gehen, weil mich die Kinder immer als ‹Spaghettifresser› bezeichneten und oft verprügelten. Ich kann sagen, dass ich Deutsch mittels Ohrfeigen gelernt habe.»

… ihre Eltern

Ihr Papa Rudolf (†) war Alkoholiker, hat deshalb viele Jobs verloren. Oft habe sie still danebensitzen müssen, während er sich mit Freunden betrank. «Bereits als Zehnjährige war mir klar, dass mein Vater den Alkohol mehr liebte als mich. Das war die Wurzel allen Übels. Ich sagte mir immer, wenn es mir gelingt, dass mein Vater mich liebt, dann wird er nicht mehr trinken.» Nach der Scheidung ihrer Eltern hatte ihre Mutter Ineke viel um die Ohren. «Da blieb wenig Zeit für Zärtlichkeit.» Das Verhältnis war distanziert: Michelle konnte sich ihr nicht öffnen, habe aber erwartet, dass die Mama ihren Schmerz spürte. Heute stehen sie sich nach Jahren der Funkstille sehr nahe.

… den Einstieg in die Sekte

Mit 18 lernte Michelle Eros Ramazzotti kennen, 1996 kam Tochter Aurora zur Welt. 2001 bekam der Sänger Stimmprobleme. «Da hatte unser Agent die Idee, Clelia zu rufen.» Die Frau, die sie im Buch so nennt, heisst eigentlich Giulia Berghella und ist eine Sektenführerin. Sie half Eros. «Ich war vom ersten Augenblick an von dieser höchstens 1,60 Meter grossen, eleganten Frau fasziniert», erzählt Michelle. Als die Moderatorin Haarausfall bekam, wandte sie sich an sie. «Sie fragte nach meinen Problemen, und ich erzählte von meinem Vater, dass ich mich schuldig fühle, weil er trinke.» Sie hatte damals keinen Kontakt zu ihrem Papa, Berghella riet ihr – mit Erfolg – einfach zu ihm zu fahren. «Sie hat mich übers Ohr gehauen, indem sie mir die Liebe meines Vaters zurückgab. Das hätte mir jeder Psychologe genauso sagen können, aber ich bin auf sie hereingefallen.»

… das Sektenleben

Michelle sagt, sie habe schwer an der Last ihrer Kindheit getragen, Berghella sei die Erste gewesen, die ihr zuhörte. «Sie reinigte meine Seele vom Schmutz.» Nebst den Sitzungen nahm Michelle an Versammlungen teil, bei denen die Energie der Verstorbenen genutzt wurde. Sogar bei einer Teufelsaustreibung habe sie assistiert. Mit den Sektenführern gründete sie eine Firma, die ihren Namen vermarktete. Die Einnahmen wurden aufgeteilt, Michelle erhielt positive Energie. Berghella habe manische Reinheit und Pflege gepredigt, perfekte Ernährung, sexuelle Abstinenz. Man sollte sich von allen fernhalten, die ihren Geboten nicht folgten.

… die Isolation

Die TV-Frau begann – gemeinsam mit der kleinen Aurora – mehr Zeit mit der Sekte als mit ihrer Familie zu verbringen. Ihr altes Umfeld stiess sie von sich, kündigte zwei TV-Jobs. Sie sei von der Welt isoliert worden. Berghella redete ihre Liebsten schlecht. «Meine Mutter sei nur am Geld interessiert, Eros pervers und benutze mich nur, um sich das Bild eines respektablen Familienvaters aufzubauen, während er die Abende nach seinen Konzerten wer weiss wie verbringe.» Sowohl die Ehe wie auch die Beziehung zur Mama zerbrach. Michelle verlobte sich mit Berghellas Sohn Marco, später «mit einem anderen Sektenmitglied» – dem Mann von Berghella, was sie im Buch allerdings nicht erwähnt.

… ihren Ausstieg

Bis 2006 war Michelle in den Fängen der Sekte, dann schaffte sie den Absprung. Zum einen aus Liebe zu Aurora, die ihre «lachende Mamma» zurückwollte. Und wohl auch, weil Eros ihr das Sorgerecht entziehen wollte. Zum anderen dank eines Schock-Erlebnisses: «Eines Abends fühlte ich mich, als ob ich sterben würde. Ich war atemlos, legte mich auf den Boden, zitterte, ich dachte, meine letzte Stunde habe geschlagen.» Sie glaube jedoch an Engel. Ein solcher Engel sei eine ihrer Mitarbeiterinnen gewesen, die es schaffte, ihr die Augen zu öffnen – dass die Sekte sie umbringen wolle, erpressen, schlechtmachen. Michelle Hunziker sagte sich offen los, knüpfte wieder an alte Freundschaften an, auch die Beziehung zur Mutter heilte. «Es gelang mir, wieder richtig durchzuatmen, mich wie ein Puzzle wieder zusammenzusetzen», sagt sie. «Es fehlte nicht viel, und ich hätte mein Leben verloren.»