«Ich habe meinen eigenen Glauben»

Wenn er auf seine 50-jährige Karriere zurückblickt, zeigt sich der Schauspieler sehr zufrieden. Und seine aktuelle Rolle als Papst ist sogar eine Art Krönung seines Schaffens.

Blick nach oben! «Es gibt viele Momente – wenn ich beispielsweise zurzeit morgens zu den Proben nach Seeb fahre – in denen ich kurz in den Himmel schaue und sage: ‹Danke›», erzählt Walter Andreas Müller (74). WAM, wie ihn alle nennen, betet auch vor dem Einschlafen. «Ich lasse den Tag Revue passieren. Das ist ein Ritual für mich. Dabei denke ich daran, wie gut es mir geht, dass ich gesund sein darf, in einem Land wie der Schweiz leben und einen erfüllenden Beruf ausüben kann.» In solchen Augenblicken führe er ein Zwiegespräch mit einem undefinierten Gegenüber, das er nicht näher beschreiben kann.

Anlass für diese tiefer gehenden Gedanken: WAM feiert heuer sein 50-jähriges Bühnenjubiläum. Und er spielt die Titelrolle in der Komödie «Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde» (siehe unten). Das katholische Kirchenoberhaupt – ein spezieller Part für den reformierten Schauspieler? «Salopp gesagt: Ich habe vom Kind bis zum Bundesrat alles gespielt. Höher als Papst kann ich nicht mehr steigen», scherzt der Zürcher. Er habe viel Glück gehabt in seinem Leben, vieles sei ihm in den Schoss gefallen, selten habe er kämpfen müssen. «Nie gab es existenzielle Ängste. Seit meinem Abschluss der Schauspielschule 1969 ergab eines das andere. Ich wurde stets weitergereicht – vom Theater zum Radio, von da zum Fernsehen und wieder zurück zum Theater. Ich musste selten Däumchen drehen.» Er denkt, dass sein breites Spektrum ihn getragen hat. «Ich habe so ziemlich alles gemacht, was in diesem Beruf möglich ist.»

Dass das bis heute so geblieben ist, mache ihn sehr devot und dankbar. Glaubt er, dass es Schicksal ist? «Ja, es kann durchaus sein. Wahrscheinlich schon, ich denke nicht, dass etwas von ungefähr kommt. Wobei man natürlich auch immer selbst etwas tun und die Chancen, die sich ergeben, nutzen muss.» Er attestiert sich eine gewisse Gottergebenheit. «Es kommt ja sowieso, wie es kommen muss. Das kann man selber nicht steuern.»

Trotz Beten und Gottergebenheit hat WAM ein ambivalentes Verhältnis zur Religion. «Ich gehe selten zu Predigten in die Kirche. Ich habe meinen eigenen Glauben.» So sei er in seiner Naivität der Meinung, dass es nach dem Sterben nicht einfach fertig sein könne. «Ich will glauben, dass die Welt und wir Menschen nicht einfach für nichts existieren. Natürlich kann es sein, dass dann einfach nichts mehr kommt. Aber es wäre schön, wenn es weiterginge und man geliebte Menschen wiedersehen würde. Das alles muss doch einen Sinn haben.»

Für seine Rolle als Kirchenoberhaupt setzte sich WAM mit kirchlichen Ritualen, aber auch dem jüdischen Glauben auseinander. «Ich habe viel gelernt bei den Vorbereitungen.» Der echte Papst Franziskus löst in ihm widersprüchliche Gefühle aus: «Anfangs war ich begeistert! Endlich kommt jemand, der die Kirche renoviert, sie öffnet, dachte ich.» Inzwischen sei er enttäuscht. «Wenn man sieht, was bisher wirklich ging unter seiner Ägide, dann ist das leider wenig bis nichts», meint der vielseitige Künstler, der mit seinem langjährigen Partner im Zürcher Oberland lebt. «Seine religiöse Gesinnung, auch was Homosexualität betrifft, ist sehr antiquiert.»

Gar nicht antiquiert wirkt das Stück des ungarisch-brasilianischen Schriftstellers João Bethencourt. «Es stammt aus dem Jahr 1972. Und dennoch hat seine Botschaft – die Annäherung der Religionen und Frieden auf Erden – heute noch eine enorme Aktualität.»

Entführter Papst

In «Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde» wird WAM als Pontifex bei einem Besuch in Zürich von einem jüdischen Taxifahrer verschleppt. Als Lösegeld fordert dieser 24 Stunden Frieden auf der ganzen Welt. Die eingeschweizerte Version des Bühnenklassikers haben die Kammerspiele Seeb und das Zürcher Theater am Hechtplatz gemeinsam realisiert. Zu sehen vom 22. 11. bis 31. 12. und 4. 3. bis 29. 3. in Seeb, vom 10. 1. bis 23. 2. in Zürich. Infos/Tickets: www.theaterhechtplatz.ch und www.kammerspiele.ch