«Ich bin zu wenig tolerant»

Gesund, gefragt in ihrem Beruf und glücklich liiert: Die 78-jährige Schauspielerin sprüht nur so vor Lebensfreude. Einzig fürs Zusammenleben mit ihrem Partner fehlt ihr der Mut.

Sie möchte die GlücksPost im Berner Hotel und Restaurant Kursaal treffen, ihrem zweiten Zuhause, wie Heidi Maria Glössner das Hotel nennt. Sie wird von allen Angestellten begrüsst. «Wenn ich mit Freunden essen gehe, dann immer hierher. Das ist eine Oase des Friedens, und man speist besser als in den meisten teuren Restaurants», schwärmt sie.

Gut sieht sie aus, bewegt sich elegant und agil. Dass die gebürtige Deutsche, die im St. Gallischen aufgewachsen ist, im Oktober
79 Jahre alt wird, würde man nie vermuten. «Die Leute fragen mich oft, weshalb ich noch so fit sei, ich müsse sicher viel Sport treiben», erzählt sie und fährt lachend fort: «Ich erwidere dann: Ja, ich fahre Velo – Elektrovelo!» Ihr Sohn Volker (51) hat es ihr geschenkt. Eines der besten Präsente, die sie je erhalten habe. In Bern ist sie stets damit unterwegs.

Volker ist Heidi Maria Glössners einziges Kind. Er stammt aus ihrer Ehe mit einem deutschen Schauspieler. Nach sieben Jahren folgte die Trennung. «Mein Mann bekam das Haus in Norddeutschland, ich unseren Sohn. Das war der Deal.» In der Zeit, als Volker noch klein war, nahm seine Mutter nie mehr als zwei Engagements pro Jahr an. «Ich wollte nichts in seiner Entwicklung verpassen. Dennoch hatte ich – wie jede alleinerziehende Mutter – ständig ein schlechtes Gewissen.»

Besonders, als sie nach der Scheidung nach Bern zog. «Der Direktor des Theaters Luzern, an dem ich 13 Jahre angestellt war, wurde ans Stadttheater Bern be-rufen und fragte mich, ob ich mitkomme.» Volker gefiel der neue Wohnort gar nicht. Er zog nach der Schule zurück nach Luzern, Heidi aber blieb in Bern. Inzwischen wohnt sie seit 35 Jahren hier, in einer traumhaften Eigentumswohnung mit Blick über die Altstadt. «Ich bin so glücklich über diese Bleibe. Die habe ich meinem goldenen Knie zu verdanken.» Sie zeigt auf ihr linkes Bein. Gerade, als ihre Karriere so richtig Fahrt aufnahm, wurde sie auf einem Fussgängerstreifen angefahren. Wegen einer Falschdiagnose hätte sie beinahe nicht mehr gehen können und erhielt einen ansehnlichen Betrag an Schmerzensgeld. Damit kaufte sie unter anderem ihre Wohnung, die heute doppelt so viel Wert ist. «Ich bin so dankbar dafür. So muss ich mir nie Sorgen machen, dass ich mir einmal keine anständige Unterkunft leisten könnte.» Weil sie bis zur Pensionierung stets an Theatern fest engagiert war, musste sie sich nie mit arbeitslosen Phasen herumschlagen, und hat wie jeder An-gestellte eine Pensionskasse.

Eigentlich wollte Heidi Maria Glössner nach der Pensionierung kürzertreten. Doch dann kam 2006 der Film «Die Herbstzeit-losen» ins Kino und machte sie über Nacht schweizweit bekannt. Und bleibt seither sehr gefragt. «Ich musste mich seit 40 Jahren nie bewerben. Ich bin sehr privilegiert und froh, dass es das Schicksal so gut mit mir meint.» Aktuell ist sie im Film «Lost in Paradise», einer schweizerisch–tschechischen Koproduktion, im Kino zu sehen. Darin reist der Hauptprotagonist (Dominique Jann) aus Prag in die Schweiz, um seine Verwandten um Geld für seinen Club zu bitten. Doch die reiche Tante (Glössner) hat ihr Geld dem Tierschutz vermacht. Und der Vater hat andere Probleme. Sie bewundert die junge Regisseurin Fiona Ziegler: «Ich finde es grossartig, welch komplexe Geschichte sie sich ausgedacht und so kompetent realisiert hat. Der Film ist ihre Masterarbeit für die Filmschule in Prag!»

Auch in der Liebe läuft es gut für Heidi Maria Glössner. Nachdem sie 23 Jahre mit einem Italiener († 2013) eine Fernbeziehung geführt hatte, ist sie nun seit fünf Jahren mit dem Berner Architekten Adrian Strauss (76) liiert. Zusammenwohnen mit ihrem Partner möchte sie jedoch nicht. «Ich bin zu wenig tolerant, um die Eigenheiten des anderen jeden Tag zu ertragen. Es ist etwas feige von mir. Für das Zusammenleben braucht es Mut und Nachsicht.» Sie findet es wunderschön, wenn sich zwei Menschen finden, die ein Leben lang eine symbiotische Beziehung führen, doch bei ihr habe sich das nie ergeben. «Etwas Distanz bringt auch Spannung ins Liebesleben. Wir haben seine sehr freie, schöne Freundschaft.»

Ihre einzigen Mitbewohner haben vier Beine: zwei Maine-Coon-Katzen, die sie von einem Ehepaar übernommen hat, das die Tiere nicht mehr behalten konnte. «Sie haben erfahren, dass ich seit eineinhalb Jahren keine Katze mehr gehabt habe, und mich deshalb angefragt.» Dabei habe sie sich damals total frei gefühlt und sei viel gereist – eben weil sie sich um keine Haustiere kümmern musste. Doch als sie Wanda und Chili das erste Mal sah, war es um sie geschehen. «Ich habe Wanda auf den Arm genommen, worauf die Frau schrie, das dürfe man nicht tun mit diesen Katzen, sie würden aggressiv. Aber Wanda beschnupperte mich und drückte dann ihr Köpfchen an mein Gesicht. Da war der Fall klar!»

Gerade, als wir beginnen wollen, Fotos zu machen, kommt der Regen. Es wird nass und kalt. Heidi friert in ihrer dünnen weissen Bluse und dem Samt-Blazer, steht trotzdem tapfer Modell. In einem Anfall von Freude tanzt sie auf dem Steg, der über den Teich
vor dem Hotel führt. Es ist ihr egal, ob die anderen Gäste zuschauen. Das ist wahre Freiheit!