«Ich bin jetzt ein freierer Mensch»

Sie bleibt zu Hause, wenn er mit seinem Trio auftritt. Weil die Frau des Ex-«Tagesschau»-Moderators weiss, dass ihre Anwesenheit ihn nervös macht. Dafür freut sie sich, wenn er zurückkommt – mit breitem Lachen im Gesicht!

Wir treffen das Ehepaar Müller am Greifensee in Maur ZH, die Gemeinde, in der sie wohnen. Ruth Müller (66) geht an der Krücke. Das rechte Knie ist einbandagiert. Die gebürtige Nigerianerin hat eine schwierige Zeit hinter sich: Nach einer Knieoperation hatte sie mit Komplikationen zu kämpfen. «Bis vor kurzem verbrachten wir viel Zeit im Spital», erzählt Heinrich Müller (73). Von den Schmerzen sieht man im wunderschönen Gesicht seiner Frau nichts, ihr Strahlen macht der warmen Frühlingssonne Konkurrenz. Sie spricht ruhig und bedächtig – obwohl sie Deutsch kann, fühlt sie sich in der englischen Sprache sicherer. Ihr Mann muss sich immer wieder zurückhalten, damit er nicht das Wort ergreift.

Äusserlich passt der ehemalige «Tagesschau»-Moderator, der 2007 nach seiner Frühpension eine Karriere als Musiker startete, immer besser ins Showbusiness: Die Haare sind länger als gewohnt, ein Dreitagebart umrahmt sein Gesicht. Er sieht verwegener aus. Lederjacke und Jeans lässt er jedoch weg. Das würde man ihm nicht abnehmen.Szenenwechsel: Wir sind an einem Konzert von Heinrich Müller in Sursee LU. Zu seiner Band gehören sein langjähriger, musikalischer Wegbegleiter und Gitarrist Robbie Caruso und der Keyboarder Chris Heule. In dieser Formation planen die drei ihre zukünftigen Gastspiele. Der Frontmann trägt einen schwarzen Anzug, blaues Hemd und rote Turnschuhe.Der Auftritt konnte nur stattfinden, weil viele Gäste wegen der Corona-Krise abgesagt haben und die Zahl der Zuschauer so die damals noch geltende, gesetzlich gültige Grenze von 50 Leuten nicht überschritt. Dieser Auftritt im März wird vorerst der letzte für das Trio gewesen sein. Wie all seine Kollegen, die vor Publikum auftreten, trifft die Pandemie auch den Aargauer und seine beiden Mitmusiker: Für die nächsten Monate wäre die Unplugged-Tour «Man of the News» geplant gewesen. Die besten Stücke seiner Karriere mit minimaler musikalischer Begleitung. Er hofft, ab Anfang September weitermachen zu können (Infos und Tickets: www.heinrichmueller.ch). Seine Laune trübt die erzwungene Pause nicht: «Der Ehrgeiz ist bei mir weniger gross als auch schon. Ich mache Musik jetzt schon so viel länger, als ich je erhofft habe. Ich reisse mich nicht mehr um Auftritte. Einer etwa alle zwei Wochen reicht mir.»

Während der Show geht der Bluesrocker auf Tuchfühlung mit den Zuschauern. Vor jedem Song erzählt er dessen Entstehungsgeschichte. Während seine Kollegen Soli spielen, geht er ins Publikum, wechselt ein paar Worte. Er fordert die Leute zum Mitmachen auf, tanzt, jauchzt und klatscht im Rhythmus. Dass er in Sursee nur für relativ wenige Anwesende singt, lässt ihn nicht davon abbringen, sein Bestes zu geben.

Eines seiner wenigen Schweizerdeutschen Lieder, «Miis Liebeslied» ist seiner Liebsten gewidmet. «Uf em Tschuttiplatz hani sie gseh» – nicht in der Schweiz, sondern in Nigeria, wo die zwei sich vor bald 40 Jahren kennenlernten. «Nie hät öpper mis Herz so grüehrt. I dir inne brönnt e Gluet, du tuesch mir guet. Mir träumed zäme es Läbe lang – bis zum allerletschte Gang», singt er.

Die Angesprochene sitzt nicht im Saal. Das tut sie selten. «Ich kenne Heiris Sachen zur Genüge und habe nicht das Gefühl, dass ich an den Konzerten anwesend sein muss.» Im Gegenteil: «Wenn ich da bin, macht ihn das nervös», verrät sie. «Auch wenn Heiri zu Hause probt, mag er es nicht, wenn ich zuhöre. Ich gehe dann immer in den oberen Stock, und er hat sein Studio im Keller.»

Die Liebesode ist nicht ihr Favorit aus seinem Musikkatalog. «Ganz allgemein bevorzuge ich die Lieder, mit deren Texten ich etwas anfangen kann. Wenn es etwa um junge Mädchen geht, interessiert mich das weniger», gesteht sie. Kein Wunder also, ist ihr liebster Song der über ihre Enkelin Justice (21) aus erster Ehe, die in den USA lebt. Er erschien 2004 auf Müllers erstem Album «Footsteps»: «Seit dieser Song geschrieben wurde, ist so viel passiert im Leben des Mädchens», sinniert Ruth Müller und denkt an den tragischen Tod ihres einzigen Kindes, Justice’ Vater, der im Sommer 2016 verstorben ist. «Sie ist fast ganz alleine. Ihre Eltern sind jung gestorben, ihre Geschwister weit weg. Wir helfen, wo wir können.» Gerade jetzt ist die Unterstützung aus der Schweiz wichtig. Justice sucht ein College, doch die Aufnahmekriterien sind streng, und es gab schon ein paar Absagen. «Sie braucht nun Motivation und Aufmunterung, um den Mut nicht zu verlieren.»

Ruth Müller freut sich besonders auf die Momente, wenn ihr Mann von seinen Auftritten zurückkehrt: «Dann ist er immer total glücklich und entspannt. Wenn er geht, ist er nervös, wenn er wieder da ist, hat er ein breites Lachen im Gesicht.» Generell sei er viel lockerer, seit er vom Fernsehen weg ist. «Ich bin jetzt ein freierer Mensch», ergänzt der Sänger.

Dass ihr Mann nach der Zeit als News-Moderator noch eine neue Karriere als Musiker wagen würde, hat Ruth Müller damals nicht überrascht: «Er hat zu Hause immer gesungen.» Er fügt hinzu: «Ich habe mich ja, noch während ich beim Fernsehen war, darauf vorbereitet. Meine erste CD wurde drei Jahre vor meinem Abschied veröffentlicht.» Seine Frau unterstützte ihn von Anfang an bei seinen Plänen, half ihm mit Ideen für Texte und
natürlich mit ihrem perfekten Englisch. «Nur manchmal sagte sie: ‹Denk an die Nachbarn›, wenn ich zu laut Singübungen machte», sagt Heinrich Müller lachend.

Auch an seinem Erfolg zweifelte die gebürtige Nigerianerin nie: «Er hat eine tolle Stimme und immer viele Konzerte. Ehrlich, es erstaunt mich, dass es nicht noch besser lief. Das sage ich nicht als Ehefrau, sondern weil seine Musik wirklich gut ist. Den Leuten fällt es offenbar schwer, ihn aus seiner Nachrichten-Schublade herauszunehmen und als Sänger und Komponisten zu sehen.» Der ehemalige News-Mann bestätigt: «Ich spüre tatsächlich immer noch die Überraschung der Menschen über meinen Rollenwechsel.»

Abgesehen davon, dass ihr Mann seit seinem Weggang vom Fernsehen Richtung Musikbusiness entspannter ist, habe sich nicht viel verändert, erzählt seine Angetraute. «Am Anfang arbeitete ich ja noch, da war er halt dann an manchen Tagen nicht daheim, wenn ich Feierabend hatte.» Sie ist nun auch pensioniert. Ihre Passion ist es, ihr Heimatland Nigeria zu besuchen, wann immer es geht. «Das ist nicht oft, aber ich möchte meinen 88-jährigen Vater noch so viel wie möglich sehen.» Zudem sind da noch ihre Geschwister und deren Kinder. Und jener Fussballplatz, wo 1972 ein musikbegeisterter Schweizer die Liebe seines Lebens traf.