Hilflos bei Vivis Sucht

Offen wie nie! In seiner Biografie gibt Fussball-Legende Köbi Kuhn überraschende Einblicke in sein Leben, das neben Höhenflügen auch bittere Tiefschläge für ihn bereithielt.

Das Werk «Köbi Kuhn – Die Autobiografie» ist grosszügig bebildert. Auf 200 Seiten gibt Köbi Kuhn (75) nicht nur sportliche Anekdoten zum Besten. Er erzählt auch ganz private Geschichten und Ereignisse, zu denen er bisher nie ein Wort verloren hat.

Sexueller Missbrauch

«Als ich ein Frischling war, freundete sich ein älterer Kollege mit mir an. Er lud mich zu sich ein. Als wir allein waren, hat er mich benutzt, um sich selbst zu befriedigen, und gezwungen mitzumachen. Ich stand unter Schock, konnte mich nicht wehren. Danach habe ich mich geschämt und gefürchtet, was wohl passieren würde, wenn meine Eltern oder der Trainer etwas erfahren. Also habe ich nichts gesagt. Jahrzehntelang. Als 2016 Fälle von Missbrauch im Fussball in den Medien geschildert wurden, konnte ich nicht mehr schweigen. Ich erfuhr, dass dieser Mann noch heute in der Jugendarbeit im Club engagiert ist! Bei einem Treffen mit den Verantwortlichen des Vereins habe ich sie mit meiner Geschichte konfrontiert. Zum ersten Mal hatte ich die Courage dazu. Leider stiess ich auf taube Ohren.»

Krebs

«2011 wurde bei mir chronische lymphatische Leukämie (Altersleukämie) festgestellt. Es war ein Schock. Weniger wegen mir – die Ärzte erklärten, dass der Blutkrebs nicht bei allen Patienten ausbreche –, sondern mehr wegen Alice, die gerade so hilfsbedürftig und auf mich angewiesen war! Ich schob die Behandlung vor mir her, doch Anfang 2013 fühlte ich mich immer schlechter, war ständig müde und hatte kaum Energie. Nach einer Untersuchung riet man mir dringend zu einer ersten, sanften Chemotherapie. Ich bin dankbar, dass ich heute mit regelmässiger Kontrolle gut damit leben kann. Eine Auswirkung ist die Anfälligkeit der Lunge. Ich musste dieses Jahr schon zweimal mit Lungenentzündung ins Spital.»

Erste Ehefrau Alice († 73)

«Sie hatte ein Verständnis für den Sport und akzeptierte, dass der Fussball an erster Stelle stand. Alice hielt extrem Ordnung. Sie führte meine Agenda, erledigte die Buchhaltung und kümmerte sich um die Post. Alice dachte mit, was mir den Rücken freihielt und den stressigen Alltag enorm erleichterte. Fünf Tage vor Beginn der Europameisterschaft 2008 änderte sich alles. Ich fand Alice ohnmächtig in unserer Wohnung. Wochenlang lag sie im Koma. Die Diagnose: epileptischer Anfall nach einer Bewusstseinsstörung. Sie hatte Jahrzehnte auf mich gewartet. Es war völlig normal, dass ich nun für sie sorgte. Alice kämpfte, doch sie verlor. An den 25. April 2014 werde ich mich ewig erinnern. Als ich sie mit dem Rollstuhl durch die Tiefgarage schob und sie ins Auto hob, reagierte sie plötzlich nicht mehr. Sie starb in meinen Armen.»

Tochter Viviane († 2018)

«Ich spüre, dass ich diesen Schmerz nie mehr loswerde. Meine Tochter wurde nur 46. Sie hat ihr Leben so geführt, wie sie es wollte. Gegen ihren Willen kam man nicht an. Die ersten Probleme äusserten sich schon in ihren Teenagerjahren. Mit 14 hat meine Tochter das erste Mal gekifft. Dann schnupfte sie Koks und Heroin, eine Zeit hat sie auch gespritzt. Viviane wollte sich nicht an Regeln halten, mochte keine Strukturen. Schule oder Arbeit waren ihr ein Gräuel. Manchmal musste ich sie in der Nacht suchen gehen. Ich fand sie auf dem Platzspitz. In der Wut habe ich ihr die Drogen weggenommen, alles zertrampelt. Sie war mir lange böse. Doch nicht einmal dieser Streit hat sie zur Vernunft gebracht, sondern unser Zusammenleben noch mehr belastet. Von den Drogen kam sie im Lauf der Zeit durch eine Ersatztherapie (einen Mix aus Methadon und anderen Medikamenten) los. Vom -Alkohol nicht … Der hat zu ihrem Tod geführt. Auf der einen Seite stand mein Erfolg im Beruf, auf der anderen die familiären Probleme. Nach aussen wirkte ich glücklich und erfolgreich. Innerlich zerriss es mich fast. Vivis Sucht gegenüber fühlte ich mich hilflos.»

Zweite Frau Jadwiga (62)

«Jadwiga hat mir geholfen, ‹die Vergangenheit› zu sortieren und zu verarbeiten. Als Alice starb, war ich nicht in der Lage, alles auszumisten und mich neu zu finden. Ich bin in ein Loch gefallen. Ich wusste wirklich nicht, wie es weitergehen sollte. Ich hatte nicht die Kraft, das allein anzupacken – und bekam eine wunderbare Hilfe in Form von Jadwiga. Eine neue Liebe gibt dir neue Energie. Wir geniessen die Zeit zusammen und freuen uns über jeden Tag. Da ich in zahlreichen Vereinen und Organisationen aktiv bin, koordiniert Jadwiga meine Verpflichtungen wie früher Alice! Was könnte ich mir mehr wünschen?»