Glück und Tränen in der Heimat

In Deutschland lebt sie, in der Schweiz aber sind ihre Wurzeln: Jeder Besuch bei ihrer Familie bedeutet der Sängerin viel und erfüllt sie mit Dankbarkeit. Weil das Leben sie gelehrt hat, dass Freud und Leid oft nah beieinanderliegen.

Fröhliches Geplauder erfüllt die «Station Jubin» in Avry-sur-Matran bei Fribourg, und Alphornbläser machen auf dem sonnigen Balkon ihre Instrumente bereit. Es gibt ein Willkommensständchen für Géraldine Olivier (51, «Nimm dir wieder einmal Zeit»). Die Schlagersängerin geniesst den Trubel in dem kleinen Restaurant, legt dabei aber nicht die Füsse hoch: Sie packt hinter dem Tresen wacker mit an! «Noch einen Weisswein?», fragt sie einen Gast, serviert und macht sich dann ans Schneiden des
Tatars, der Hausspezialität. «Die Gastronomie liegt mir im Blut», erzählt sie. «Meine Mutter war Kellnerin, mein Vater Konditor/Chocolatier, mein Opa Bäcker und mein Bruder ist Koch.» 

Ihr jüngerer Bruder Olivier (48) führt die «Station Jubin» und hat für seine Schwester seine Alphorn spielenden Freunde Jean-Marie und Albert eingeladen. Géraldine lebt mit ihrer Familie im fernen Norddeutschland, und so ist jedes Zusammentreffen ein Fest. Die Verbindung zwischen den Geschwistern ist eng – was auch Géraldines Künstlername beweist. «Ich wollte Olivier immer bei mir haben», erzählt sie. «Am Anfang meiner Karriere war er auch viereinhalb Jahre lang an meiner Seite als Chauffeur, Begleiter und als Ton-Techniker. Er hat auf mich aufgepasst.»

Als das letzte Tatar serviert ist, fahren die beiden zu ihren Eltern nach Marly, wo die Familie wartet: Mama Irmgard (75), Papa Marcel (75), Oliviers Frau Mirjam (47) mit den Söhnen Julien Gabriel (14) und Loris Pascal (11) und Géraldines Mann Lutz (54). Gemeinsam trinken sie Kaffee und essen den Kürbiskuchen, den Géraldine am Morgen mit ihrem Vater gebacken hat. Gerührt beobachtet die Sängerin ihre Liebsten. «Ich vermisse sie manchmal schon und besuche sie oft», erzählt sie, und plötzlich schiessen ihr Tränen in die Augen. «Meine Eltern werden auch älter. Mama ist fit, Papa aber hat seit einer Grippeimpfung kurz vor Weihnachten Lungenprobleme, ist sehr ruhig geworden. Er scheint um Jahre gealtert», erzählt sie aufgebracht. «Ja, ich habe Angst um sie. Sie sind der Mittelpunkt der Familie, haben uns eine wunderbare Kindheit geschenkt. Aber ich weiss: Das Leben beschert einem viele Narben, und die nächsten werden wohl die des Verlusts meiner Eltern sein.»

«Narben auf dem Herz» – so heisst ihr aktuelles Album, das gerade erschienen ist und sehr persönlich sei. Géraldine Olivier hat schon viele Verletzungen erlebt. Zwei Ereignisse – ein Autounfall als 18-Jährige und ein Bühnensturz 2011 – haben ihren Körper traumatisiert. Sie hat Probleme mit der Wirbelsäule und Fibromyalgie (chronische Schmerzen). «Ich habe aber gelernt, mit den Schmerzen zu leben.»

Die grösste Narbe auf ihrem Herzen sei eine andere. Nach der Trennung von ihrem zweiten Mann – eine unglückliche Ehe – musste sie über zweieinhalb Jahre um ihren Sohn Gregory (heute 18) kämpfen, der erst bei seinem Vater lebte. Das habe sowohl bei ihr als auch bei ihm Spuren hinterlassen. «Er war ein Kind, das wenig gelacht hat, bis heute ist das so», erzählt sie. «Aber es hat uns auch zusammengeschweisst. Wir sagen uns jeden Tag, dass wir uns lieben.» Und als hätte das Schicksal ein Einsehen, schenkte es den beiden später grosses Glück: 2006 trat Lutz Ribatis in ihr Leben, verwitwet und Vater von Jonas-Alexander (18). «Schon nach dem ersten Treffen haben die Buben abgemacht, dass Jonas mir ‹Mami› sagen darf und Gregory zu Lutz ‹Papi›», erinnert sich Géraldine. «Wir haben uns gesucht und gefunden.»

Sie ist unendlich froh darüber. «Auch deshalb sind Narben wichtig: Sie lehren dich viel über das Leben, man wird dankbarer», sagt sie. «Wissen Sie, es klingt makaber, aber wenn der liebe Gott morgen entscheiden würde, dass ich gehen soll, dann könnte ich das mit einem Lächeln tun. Ich habe das Gefühl, dass ich im Leben alles bekommen habe, was einen Menschen dankbar machen kann, alles Glück der Welt.»

Trotzdem möchte sie natürlich noch lange bleiben – singen, lachen, die Familie geniessen. Und auswandern, gesteht Géraldine. «Lutz und ich träumen davon, wenn die Buben aus dem Haus sind, nach Mallorca zu ziehen. Ich liebe diese Insel!» Und was ist mit der Schweiz? Sie schaut vom Garten aus ins Fribourgerland. «Die Schweiz ist meine Heimat – und wird es immer bleiben!»