Freude am Skifahren zurückgeholt

Tapfer und ausdauernd: Wenn das auf jemanden im Schweizer Ski-Team zutrifft, dann auf die Berner Abfahrts- und Super-G-Fahrerin. Nach Rückschlägen steht sie wieder positiv am Start.

Der Jubel in der Schweiz ist gross! Am 14. Januar schafft es Joana Hählen aus Lenk BE im Super-G in St. Anton (A) auf den zweiten Platz! Plötzlich sprechen alle von der Speed-Spezialistin aus Lenk BE. «Es tat so wohl», sagt die 31-Jährige zur GlücksPost. «Ich weiss seit Jahren, dass ich gut fahre und auf dem richtigen Weg bin, aber es reichte nur ein paar wenige Male fürs Podest. Jetzt bin ich sehr glücklich, dass es wieder geklappt hat.»

Warum dieser zweite Platz in St. Anton so wichtig ist für die Skirennfahrerin, erklärt ihre Geschichte: Sie fährt seit der Saison 2013/14 im Weltcup mit. Die Top-Resultate lassen jedoch auf sich warten. Körperliche Probleme (u. a. drei Kreuzbandrisse) bremsen sie aus. Beim letzten Riss, den sie sich 2018 zuzieht, verzichtet sie auf eine chirurgische Rekonstruktion. Trotz anfänglich starker Schmerzen erreicht sie im Januar 2020 erstmals das Podest: Sie wird in Bulgarien Dritte bei der Abfahrt von Bansko. In jenem Weltcup gelingt ihr noch ein weiterer zweiter Platz in der Abfahrt und ein dritter Platz im Super-G. Die ganzen Anstrengungen scheinen sich endlich auszuzahlen. 

Doch im Dezember darauf folgt ein erneuter Rückschlag. Ein Sturz bei der Abfahrt von Vald’Isère hat unerwartete Spätfolgen: «Ein paar Sachen sind dumm gelaufen», erklärt Hählen. «Das war bitter. Ich war enttäuscht und im Frühling drauf ausgebrannt.» Doch sie gibt nicht so schnell auf: «Ich liebe das Skifahren. Das ist es, was mich ausmacht.» Nach der frustrierenden Saison 2020/2021 änderte sie einiges: Sie trainiert jetzt im Sommer auf eigene Faust und Kosten: «Wir sind im Team auch so schon die ganze Zeit unterwegs. Da wollte ich wenigstens im Sommer eine Lösung suchen, mit der ich mehr zu Hause sein kann. Mein neuer Konditionstrainer wohnt in meiner Nähe, mit ihm spielt vieles gut zusammen.» Ebenfalls gut sind extreme Temperaturen für ihr Knie. Ihr Freund Lorenz, Ingenieur und Hobby-Schreiner, baut ihr eine Sauna. «Die hilft mir sehr bei der Regeneration.» Die Kombination mit Eisbädern wirkt sich positiv aus. 

Wegen ihrer Körpergrösse von nur 1,56 Meter verliert Joana beim Start ein paar Hundertstel, weil sie mit den Knien den Sensor zu früh auslöst. Auch hier weiss Lorenz Rat, baut ihr im Garten ihrer Eltern Startrampe und Sensor 1 : 1 nach. Da Hählen aber auch den ganzen Bewegungsablauf ändern muss, kommt es vor, dass sie sich, wenn es ernst wird, im Starthäuschen zu sehr auf das richtige Auslösen konzentriert und sich verkrampft. Zum Ausgleich meditiert sie gerne und macht ab und zu Yoga. 

Die emotionale Unterstützung ihres Umfelds ist der Sportlerin gewiss: Die Eltern Monika und Beat Hählen stehen voll hinter der Leidenschaft Joanas. Sie fuhren ihre drei Töchter im Kinder- und Teenageralter jeweils morgens um sechs Uhr zu  Rennen, kamen anfangs auch finanziell für die Ambitionen ihrer Sprösslinge auf. «Das war ein grosser Aufwand für die Familie», erinnert sich Joana. Beim Skirennfahren geblieben ist sie als Einzige: «Meine Zwillingsschwester Simona wollte mit 17 Jahren noch etwas anderes vom Leben sehen, und meine ältere Schwester Gianna hatte körperlich Mühe, ganz vorne mitzufahren.» Simona ist neben Joanas Partner sicher die stärkste Stütze – sie weiss selbst, was es heisst, alles für den Skirennsport zu geben. Zudem haben die Zwillinge eine sehr enge Bindung, wohnen zusammen und sehen sich oder telefonieren täglich.

Dermassen gut vorbereitet fährt Hählen bereits letzte Saison einwandfrei, schafft es trotz der aktuell starken Konkurrenz in der Schweizer Damenmannschaft in die Auswahl für die Olympischen Spiele und holt sich mit dem sechsten Platz ein Abfahrts-Diplom. «Erlebnisse wie Olympia prägen einen stark», meint Hählen, die sich auf diesen Winter hin mental nochmals gestärkt hat. Mit Erfolg: Nie ist sie besser in eine Saison gestartet, als in die aktuelle. In ihrem Palmarès fehlt jetzt nur noch ein erster Platz. Vielleicht holt sie den an der WM in Frankreich? Ihren ersten Einsatz hat sie im Super-G am 8. Februar, der zweite folgt in der Abfahrt am Samstag, 12. Februar. «Ich konnte mir meine Freude am Skifahren zurückholen und die Leistung auch unter Druck wieder abrufen», sagt sie. Das klingt vielversprechend!