«Als Kraftort geniesse ich auch Kirchen»

Er gehört zu den profiliertesten Publizisten der Schweiz. Klar, dass sich der leidenschaftliche Journalist nicht nur Gedanken um 
Politik und Menschenrechte macht. Mit GlücksPost-Volontärin und Theologin Michèle Graf spricht er über das wieder aktuelle Thema Religionen.

 

In seinem Büro stehen drei Schreibtische, über die ganze Etage verteilen sich Zeitungen, Notizblöcke und mehrere Tausend Bücher. In Frank A. Meyers (70) Wohnung mit Ost- und Westflügel nahe des Berliner Kurfürstendammes hätte glatt eine ganze Redaktion Platz. Über diese Feststellung lacht der Publizist und Autor. «Ich bin ja selbst eine Redaktion», sagt er. Bekannt wurde er als Bundeshaus-Journalist für die «Schweizer Illustrierte» und als Kolumnist im «SonntagsBlick». Seit 35 Jahren stellen sich Gäste in seiner Talksendung «Vis-à-Vis» seinen kritischen Fragen. Vor sechs Jahren dann der Umzug in die deutsche Hauptstadt, wo er für das politische Magazin «Cicero» schreibt. Die Schweiz vermisse er nicht, meint Meyer. Warum auch? Berlin hat viel weltpolitische Bühne und Kultur zu bieten. Hier fühlt der Bieler sich wohl. Mittendrin in der Polit-Prominenz. Freunde und Bekannte bekocht er gerne persönlich. Bei ihm zu Gast waren schon Prominente wie Gerhard Schröder, Peter Sloterdijk oder Martin Walser. Von diesen intimen Treffen gibt Meyer aber nichts preis. Nur so viel: Die riesige Küche ist 
kein Repräsentationsobjekt. Fast schüchtern steht eine kleine Kaffeemaschine auf der Arbeitsplatte.

 

Sein selbstgewähltes Thema zum Espresso: die Rückkehr der Religion. Meyer beschreibt sein eigenes Verhältnis zur Religion als gespalten. Der Agnostiker verneint weder die Existenz Gottes, noch bejaht er sie. Dennoch befasst Meyer sich fast täglich mit dem Glauben. Gezwungenermassen, denn die Buchhandlungen und Feuilletons sind zurzeit voll von Theologie und Philosophie. Zwei Stunden Zeitungslektüre sind fester Bestandteil von Meyers Morgenritualen. «Die Religion dringt heute wieder allzu stark in den gesellschaftlichen Raum vor. Aber vielleicht ist das Thema zu Recht zurück, weil wir uns so stark mit dem Islam auseinandersetzen müssen», sagt er. Wenn es um Islamkritik geht, kann er sich richtig in Rage reden. Diese Religion ist für ihn die Feindin der offenen Gesellschaft. Ganz in der Tradition der Aufklärung verwurzelt, sieht er seine Kritik als notwendig. Damit ist er oft angeeckt, sogar dafür verklagt worden.

 

Aber: «Ich habe nichts dagegen, dass sich Menschen religiös berührt fühlen. Das gibt es bei mir auch», erklärt Meyer. «Ich bin in einem protestantischen Haushalt mit dem klassischen Nachtgebet aufgewachsen. Das waren schöne, bescheidene Rituale.» Als Jugendlicher ging er regelmässig in Gottesdienste, um nachzudenken. Gut findet er an der Kirche, dass auch sie sich an wichtigen ethischen Diskussionen wie über Abtreibung oder Menschenrechte beteiligt und Stellung bezieht. «Es ist sinnvoll, dass sie sich Gedanken macht», sagt er. Nur politisch behelligt werden möchte er eben nicht. Meyer, der Widerständler. Er beuge vor niemandem das Haupt, meinte er. «Nicht mal vor dem angenommenen lieben Gott.» Schonungslos hinterfragt er alles. Sein Grundprinzip: Versuch und Irrtum. Wenn es in seinen Augen sein muss, verteidigt er seine Meinung – auch wenn er damit alleine dasteht.

 

Dabei spricht er von sich als konservativem Menschen, dem Traditionen viel bedeuten. Auch solche, wie der Sonntag als Ruhetag oder Weihnachten. Die Festtage seien für ihn immer die wichtigsten im Jahr gewesen. Dieses Jahr wird der Weihnachtsbaum in seinem Haus in der Provence stehen. Meyer schwärmt: «Unser ganzer Keller ist voller Weihnachtsschmuck. Besonders liebe ich Engelshaar. Es schimmert zauberhaft im Licht der Kerzen.» Vor seinem Bücherregal fällt eine bunt bemalte Marienstatuette auf. Ein privater Altar? «Lilith, meine Gattin, hat sie bemalt. Daneben steht noch etwas aus Indien. Ist das hinduistisch? Ich kenne mich nicht aus damit. Es ist reine Gestaltung.» Religion als Dekoration? Meyer mag die christliche Bildervielfalt und erinnert sich an seine erste Kinderbibel: «Diese fürchterlich schönen Bilder haben mich tief beeindruckt.» Sein Götti war reformierter Pfarrer und schenkte ihm eine Zwingli-Bibel. Die Kraft der Geschichten darin und das Liebesgebot sprechen Meyer an. Als Kraftorte geniesst er sogar Kirchen, beschreibt sie als Räume, in denen man aus der Zeit hinaustreten kann.

 

Ein wirklich sakraler Ort ist für Meyer aber die Buchhandlung. Jeden Tag sucht er nach Büchern und kann sich nur schwer von ihnen trennen. In den meisten finden sich Randnotizen und Unterstreichungen. «Aber nur mit Bleistift. Ich verunstalte kein Buch mit Tinte.» Ohne Lesetipps geht bei ihm kein Gast nach Hause. In seinem neuen Buch «Es wird eine Rebellion geben» scheut er sich nicht, auch darüber zu spekulieren, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Er hofft auf zehn gute Jahre. Nach dem 80. Geburtstag zähle jeder Monat. Merkwürdige Feststellungen von einem Mann, der kein bisschen müde wirkt. Seine Passion als Ein-Mann-Redaktion wird ihm sicher bis zum letzten Tag erhalten bleiben.