Familiensaga um ein paar Kapitel reicher

Nach zwei Jahren Zwangspause feiert der Zürcher Weihnachtszirkus pünktlich sein 40-jähriges Jubiläum. Gründer Conny Gasser wäre stolz zu sehen, dass dieses Jahr die ganze Familie mit an Bord ist.

Man schaut besser genau, wo man hintritt. Der Boden im Circus Conelli ist drei Tage vor der Premiere am 18. November übersät mit Baumaterialien, Requisiten, noch nicht angebrachter Deko. Was schon steht – oder besser hängt –, ist der legendäre weisse Flügel. Er schwebt über den Köpfen der Leute auf durchsichtigem Zwischenboden im Eingangsbereich und wartet darauf, die Gäste noch bis Ende Jahr auf dem Zürcher Bauschänzli mit Pianomusik zu begrüssen (Infos: www.circus-conelli.ch). Circus-Direktor Roby Gasser (61) begrüsst die GlücksPost, bevor sein älterer Sohn Tyron (31) sich dazugesellt und fragt, ob er uns etwas zu trinken anbieten kann. In der Manege übt Cindy Gasser (62) mit den Conelli Dancers eine Choreographie. Mitten unter den Tänzern: Sohn Jeremy. Der 26-Jährige ist mit seiner Elektrogitarre Teil der Nummer. 

Dieses Jahr gibt es hier viel zu feiern: Das 40-jährige Jubiläum kann nach zwei Jahren Corona-Auszeit und ungewisser Zukunft für Bühnenkünstler tatsächlich rechtzeitig stattfinden. Und: Erstmals ist die ganze Familie im Unternehmen vereint. Nach dem Tod von Gründer Conny Gasser († 2007) übernahmen Sohn Roby Gasser und seine Frau Cindy den Weihnachtszirkus und das dazugehörige Connyland in Lipperswil TG.

Jeremy war stets in irgendeiner Form Teil des Programms: «Ich trete hier auf, seit ich sechs Jahre alt war. Ich bin mit der Leidenschaft für den Zirkus und fürs Auftreten geboren.» Immer wieder habe er sich an verschiedenen Sachen ausprobiert. Als er älter wurde, wollte er aber nicht mehr in der Manege stehen. Lieber dirigierte er das Orchester. Sein Vater habe ihn dann aber wieder in die Manege gelockt mit dem Angebot, Teil der Dancers zu werden. «Wir sagten ihm: ‹Toll wäre, wenn du Gitarre spielen und dazu tanzen könntest, aber das geht wohl noch nicht. Vielleicht nächste Saison.› Damit regten wir natürlich seinen Ehrgeiz an», erzählt Roby Gasser lachend. Derart angestachelt gab Jeremy extra Gas und nahm sogar Tanzstunden.

Dass man manchmal zu seinem Glück gezwungen werden muss, hat Roby am eigenen Leib erfahren: Auch er wollte anfangs nicht in die Manege. «Damals hatten wir noch die Seehunde. Ich sagte: ‹Ich trainiere sie, aber den Auftritt mache ich nicht.›» Eine Dame aus Deutschland sollte kommen für den Part in der Manege. Doch sie war «verhindert» – von Vater Conny natürlich. Roby blieb nichts anderes übrig, als die Nummer selbst durchzuführen.

Für Tyron ist die Arbeit im Zirkus Neuland, wie er sagt. «Ich bin mich noch am Einleben und versuche alles, um die Familie zu entlasten.» Zuvor war er als Event- und Partyorganisator tätig. «Während der Coronazeit kam mein Vater und fragte mich, ob ich nicht ins Familiengeschäft einsteigen wolle.» Tyron ist jetzt zuständig für die Gastronomie und alles Administrative, während sich Jeremy mit Vater Roby um die Show und die Technik kümmert – auch im Connyland sind die Rollen so verteilt. «Er hat das geplant, dass wir Brüder einander ergänzen.» Es sei zwar nie ein Zwang dagewesen, im Conelli mitzumachen. «Aber es ist natürlich Vaters erklärter Plan, dass wir das mal übernehmen.»

Roby will den Generationenübergang für seine Söhne sanfter gestalten, als es bei ihm der Fall war. «Mein Vater Conny hat uns schon auch ins Geschäft einbezogen. Aber als wir dann übernehmen mussten, kamen schon einige unerwartete Sachen auf uns zu. Etwa: Wie lockt man die Gäste an und betreibt das Geschäft so, dass es sich lohnt. Da darf man keine Fehler machen.» Jeremy und Tyron würden bereits jetzt sehr viel übernehmen, er habe aber nicht vor, in Pension zu gehen, meint Roby. «So lange ich laufen kann und der Kopf funktioniert, bleibe ich dabei.»

Dieses Jahr sei es besonders schwierig gewesen, gute Künstlerinnen und Künstler zu finden. «Jede grössere deutsche Stadt hat einen Weihnachtszirkus und auch in der Schweiz sind es über eine Handvoll. Da ist die Konkurrenz um gute Artisten gnadenlos.» Zudem hätten einige während Corona mit ihrer Kunst aufgehört, wohingegen andere in Tränen ausbrachen, als sie den Anruf vom Conelli erhielten mit der Chance, wieder auftreten zu dürfen. «Der Ukrainekrieg macht uns zu schaffen. Einige Artisten kommen aus Russland. Teilweise sind ihre Requisiten heute noch nicht da.» Alles habe fünfmal länger gebraucht.

«Ach, es gibt noch so viel zu tun in den wenigen Tagen», sagt Roby mit einem Blick auf die Herren von der Feuerpolizei, die schon warten, dass unser Interview fertig ist, damit sie mit dem Chef reden können. «Das geht nur, wenn alle an einem Strick ziehen. Man macht einfach eines nach dem anderen.» Er habe ein gutes Gefühl und freue sich, wieder hier auf dem Bauschänzli sein zu dürften. «Schade, dass Conny nicht sehen kann, wie sich sein Werk entwickelt hat. Er wäre sicher stolz, die ganze Familie vereint zu sehen.»

Mehr noch: Bereits die nächste Conelli-Generation wächst heran! Jeremy ist mit einer ehemaligen Conelli-Tänzerin verheiratet. Die beiden haben eine eineinhalbjährige Tochter, die im rosa Tütü durch die Zuschauerränge hüpft und die Atmosphäre aufsaugt.
Tyrons sechs Monate alter Sohn wird dieses Jahr erstmals Zirkusluft schnuppern. Denn das bekannte, rote Zelt steht – und Weihnachten kann kommen.