«Es ist völlig aus dem Nichts gekommen»

Nach dem Abschied aus der Politik begann für den Alt-Bundesrat ein neues Leben. Doch dieses ist nun auf einmal von einer schwerwiegenden Krankheit bedroht. Eine Zeit, die er nicht allein durchzustehen hat – dank Ehefrau Friedrun Sabine, seinem Ein und Alles.

«Für mich ist das Leben ein Buch, dessen Seiten man immer weiter umblättert, um neue Geschichten zu lesen», sagte Didier Burkhalter (58) in einem Interview nach seinem Rücktritt. Geschichten, die nach seinem Abschied aus dem Bundesrat am 31. Oktober 2017 mit Politik nichts mehr zu tun hatten.

Ein neues Kapitel öffnete sich, in dem er seine Freiheit zurückbekam, die er in der einengenden Funktion als Amtsträger sehr vermisst hatte. Mehr Zeit für seine Frau Friedrun Sabine (51) und seine drei Söhne, mehr Zeit für sich – und endlich Zeit, um sich seiner heimlichen Leidenschaft zu widmen, dem Schreiben. Er begann, sich als Schriftsteller zu betätigen, schrieb den Erzählband «Kinder der Erde» und den Roman «Wo Berg und See sich begegnen».

Doch in seinem Lebensbuch musste Didier Burkhalter im vergangenen Sommer eine Seite aufschlagen, mit der eine unerwartete, schmerzhafte Phase begann: Der Neuenburger erfuhr, dass er an einer schwerwiegenden Krankheit leidet und er sich sofort einem chirurgischen Eingriff unterziehen muss. Angesprochen auf seinen Gesundheitszustand sagte er Anfang November zu «Le Matin»: «Es geht mir besser. Die Operation war notwendig wie auch wirksam. Ich muss aber weiterhin regelmässig zur Kontrolle.»

Was es genau ist, darüber liess sich Didier Burkhalter nichts entlocken. Es ist anzunehmen, dass es sich um ein Krebsleiden handelt, doch auch in seinem ersten ausführlichen Interview in der Zeitschrift «Paris Match – Suisse» will er den Namen nicht aussprechen. «Krank zu sein, ist eine Schule fürs Leben», sagt er. «Man sieht das eigene Dasein und die Zeit aus einem anderen Blickwinkel.» Und ergänzt: «Es ist völlig aus dem Nichts gekommen. Ich stellte an einer Buchmesse noch meinen neuen Roman vor, lag am selben Wochenende bereits auf dem Operationstisch.»

Bei seinem Rücktritt, so erzählt Didier Burkhalter, habe er es noch nicht gewusst. Aber heute könne er sich vorstellen, dass das «Böse» oder das «Übel», wie er es nennt, schon da war. Im Bundesrat zu sein, acht Jahre waren es, sei eine ständige Selbstüberwindung. «Ich habe bis zu 100 Stunden pro Woche gearbeitet, mit den Reisen. Es passierte auch, dass ich Dossiers im Badezimmer las und oft zu irgendwelcher Zeit in der Nacht.» Er habe es abgelehnt, in Bern zu wohnen, habe dafür viel in Neuenburg gearbeitet. «Ich ging um 6 oder 7 Uhr morgens weg, stand aber schon zwei Stunden zuvor auf, um zu arbeiten – wie auch während der Autofahrt mit dem Chauffeur.» Es gäbe sicher einen positiven Stress, der einen bis zum Äussersten antreibt. «Aber es fordert auch viel Energie. Meine Frau hat mir oft gesagt, dass ich zu viel arbeite. Aber ich habe nicht genügend auf sie gehört.» Bis er eines Sonntagmorgens Mitte Juni 2017 aufwachte und die Entscheidung fällte, zurückzutreten. «Ich habe mit niemandem darüber gesprochen, wollte auch sie nicht um Rat fragen, sondern sie schützen, damit sie dieses Gewicht nicht auf ihren Schultern zu tragen hat. Als ich es ihr beim Frühstück sagte, hat sie erst an einen Witz geglaubt.»

Mit Friedrun Sabine an seiner Seite hat er die herausfordernde Zeit als Bundesrat gemeistert, sie gibt ihm Kraft und hilft ihm, alle Prüfungen des Lebens durchzustehen – so wie seine Krankheit. Er bezeichnet seine Ehefrau als «mein ganzes Leben», als «der Grund, warum ich atme». Sie kennen sich seit jungen Jahren – sie war 16, er 23. Drei Jahre später heirateten sie, bekamen drei Söhne. Zusammen sind die beiden eine Einheit, wie Didier Burkhalter weiter ausführt: «Sie ist meine Seelenverwandte.» Und beschreibt dies mit dem Beispiel, als sie das Cover für sein zweites Buch kreierte. «Sie hatte das Manuskript noch nicht gelesen, aber hat genau das gezeichnet, was ich gerade am Schreiben war. Als ob sie meine Gedanken lesen könnte.»

Mittlerweile hat er sein drittes Buch veröffentlicht. Seine gesundheitlichen Probleme hätten ihn zwar etwas ausgebremst, er arbeitet aber bereits am nächsten. «Ich liebe es zu schreiben, habe es schon immer gern getan. Ich lasse es wie einen Fluss aus meinem Herzen fliessen.»