Erinnerung an glorreiche Zeiten

Mit eiserner Hand trieb der Herren-Cheftrainer in den 1980er-Jahren den Goldjungen aus Zermatt zu Höchst-leistungen an. Nun blicken die beiden Ski-Legenden zurück auf ihre Erfolge.

Früher haben sie sich oft gezofft, heute lachen sie über die alten Geschichten: Bei einem Treffen schwelgen Pirmin Zurbriggen (57) und sein ehemaliger Trainer Karl Frehsner in ihrer gemeinsamen Vergangenheit – als Freshner noch Chef-Trainer des Schweizer Skiverbands (SSV) war und Zurbriggen sein bestes Pferd im Stall. Anlass für die Zusammenkunft ist das 70-Jahr-Jubiläum der «Swiss Sports Awards» (13. 12., 20.05 Uhr, SRF1): Frehsner ist nominiert als bester Trainer, seit es diese Preisverleihung gibt, Zurbriggen als bester Sportler. Zu Recht: Unter der Führung des heute 81-Jährigen fuhren die Eidgenossen in den 80er-­Jahren den anderen Na­tionen in den Ski-alpin-­Wettkämpfen den Rang ab. Allen voran Zurbriggen, der sechstbeste Ski-alpin-­Fahrer aller Zeiten. Die Schweizer waren so erfolgreich, dass sie im Ausland das Essen vortesten liessen, aus Angst, die Konkurrenz habe ihnen etwas untergemischt.

Die GlücksPost trifft die Ski-­Legenden in ihren Lieblingsgefilden: den Bergen – in Zermatt, wo Zurbriggen zwei Hotels führt. «Als Junger war es nicht einfach, mit Karis Art umzugehen», gesteht er. Zu Pirmins erstem Weltcup-Sieg meinte Frehsner nur: «Und jetzt meinst, bist a Champion?» Mit harter Hand und spitzer Zunge trimmte der Chef-Trainer des Schweizer Skiverbands (SSV) seine Zöglinge, was ihm den Übernamen «der eiserne Karl» einbrachte. Sein unzimperliches Benehmen führte so weit, dass das ganze Team irgendwann protestierte. «Die Burschen taten blöd», winkt er ab. Doch am Ende musste sich das Schweizer Sportgericht mit dem Umgangston des Herren-Ski-Trainers ausein­andersetzen. Die Fahrer erhielten Recht. «Normalerweise liess Karl nicht mit sich reden. Umso mehr hat es mich beeindruckt, dass er seinen Fehler einsah und sich geändert hat», erzählt Zurbriggen.

Der «Eiserne» liess seine Fahrer bis zum Umfallen trainieren. Wortwörtlich: «Jeder musste so lange rennen, bis ihm schwindlig wurde. Ich sagte dann: Lasst ihn liegen, in fünf Minuten steht er wieder auf.» Das tat er im Wissen, dass ein gesunder Körper diese Plackerei erträgt. Und: Er forderte nie etwas, was er nicht selbst auch konnte. Zurbriggen erinnert sich daran, wie es eines Tages hiess: Jetzt 120 Kilometer Velo fahren. «Ich war zuvorderst, kämpfte mit dem Gegenwind. Da radelte Kari plötzlich von hinten an mir vorbei. Ich bin fast verreckt: Er zeigte uns damals, was Velofahren ist!»

Kein Wunder hat der disziplinierte Sportler, der in seinem Alter noch öfter 30 bis 100 Kilometer mit dem Rennrad fährt, nur ein verächtliches «Jetzt hört’s aber auf!» übrig, als er Zurbriggens E-Bike sieht. Es steht vor einem Schopf, in dem der heutige Hotelier seine Skiwerkstatt hat. Da drin stehen auch die Erfolgsskis, mit denen er 1988 an den Olympischen Winterspielen in Calgary Gold in der Abfahrt holte. Er deutet auf die Spitze der Bretter, an denen ein Eisenbügel angebracht ist, damals der letzte Schrei. «Doch der Bügel brach ständig unter der extremen Belastung. Mit einem Mix aus Heftpflaster und Leim flickte unser Techniker die Bruchstelle. Heute würde niemand mehr mit solchen Dingern fahren, ich aber wollte keine anderen Skis, sie haben meine ganze Karriere hindurch gehalten.»

Er zeigt seinem ehemaligen Trainer die viel kürzeren und taillierten Skis, die heute Standard sind. «Mit Skis wie deinen musste man noch fahren können», meint der trocken. «Heut’ musst nix mehr können. Mit der Taillierung schneidet sich der Ski selbst in die richtige Bahn.» Das sagt Frehsner nicht, um die alten Zeiten zu glorifizieren. Er ist nach wie vor an vorderster Front dabei im Ski-Zirkus. «In meinem Alter würden andere sagen: Ihr könnt mich alle mal.» Aber nicht der eiserne Karl: Er kümmert sich für Swiss-Ski um die Entwicklung der Rennanzüge und an den Weltcup-Rennen in Wengen um die Vorfahrer. Er berät immer noch jüngere Fahrer.

«Das ist das Tolle an Kari: Dem ist nix zu viel», erläutert Zurbriggen. «Für uns Athleten hat er alles getan. Er sagte: Ihr seid da, um schnell zu fahren, um alles andere müsst ihr euch nicht kümmern. Und wenn ihr etwas Negatives über euch hört – das geht euch nix an.» Man müsse das Glück haben, dass ein Trainer so etwas überhaupt äussere – im Wissen, was abfällige Kommentare oder Nachrichten anrichten können, dass sie den Athleten von seinem Ziel ablenken. «Kari sah immer, was wichtig ist für die jeweilige Situation.»

Angesprochen auf die Gefahr, die er auf sich nimmt, in seinem Alter während der Corona-Pandemie durchs Land zu tingeln, meint der Steirer, der seit 1986 mit seiner Schweizer Frau Rosemarie in Dietikon ZH wohnt: «Ich halte mich zwar streng an die vom BAG verordneten Regeln. Aber ich lebe sowieso nicht mehr lang, da spielt das keine Rolle.» Man müsse im Leben etwas riskieren, ist seine Devise. Bestes Beispiel dafür ist die legendäre Geschichte seiner Besteigung der Eigernordwand. Etwas unbedarft hatte er sich in jüngeren Jahren an das Abenteuer gewagt und stürzte dabei 40 Meter tief, blieb im Seil hängen. «Ich hatte jahrelang trainiert, mich an einer Hand hochzuziehen, es jedoch nie ganz geschafft.» Nun, als es um Leben und Tod ging, erreichte er den lebensrettenden nächsten Karabinerhaken. Das hat seine Einstellung für immer geprägt: «Wenn du etwas wirklich willst, kannst du nicht nur 100, sondern 120 Prozent geben.»

Etwas Altersmilde ist aber auch bei Frehsner zu bemerken: «Kari hat ein Abfahrtstraining für Junge in Les Diablerets geleitet. Mein Sohn Elia war dabei», erzählt Zurbriggen und grinst dann breit: «Er schwärmte, was Kari für ein lustiger und lieber Siech sei. Ich dachte bei mir nur: Da stimmt etwas nicht.»