Entspannung in luftiger Höhe

Da kommt ihr der «Meteo»-Job zugute: Die Zugerin hat sich den Traum vom Gleitschirmfliegen erfüllt – und erlebt dabei pure Freiheit und Glück. Brenzlige Situationen hin oder her.

Gut gelaunt kommt Nicole Glaus am Bahnhof in Interlaken BE an. «Es sieht immer noch bestens aus mit dem Wind», informiert die 33-jährige Meteorologin und lächelt vorfreudig. Denn im grossen Rucksack, den sie dabeihat, versteckt sich ihr Gleitschirm – das Sportgerät ihrer Kinderträume sozusagen.

Als Mädchen besuchte die Zugerin gerne ihre Grosseltern in Wilderswil BE. Und jedes Mal haben diese ihre Enkeltochter in ein Café auf der Höhematte mitgenommen, einem bekannten Landeplatz in Interlaken. «Dort beobachtete ich die Gleitschirm-Pilotinnen und -Piloten und dachte mir: ‹Irgendwann will ich das auch machen.› Es hat dann allerdings lange gedauert, bis ich mir den Traum verwirklicht habe», erzählt sie auf der kurzen Autofahrt Richtung Startplatz. «Ich habe es mir lange nicht zugetraut. Der Mensch ist ja nicht gerade fürs Fliegen gemacht. Und ich stellte es mir wahnsinnig schwierig vor.»

Ein Freund schaffte es schliesslich, ihr die Bedenken etwas zu zerstreuen: Gleitschirmfliegen sei wie Velofahren, meinte er, man könne es lernen. Also besuchte Nicole Glaus im November 2020 einen viertägigen Grundkurs, um sich selbst ein Bild zu machen. Und sofort hat es ihr «dä Ärmel innegno». Wie war der erste Flug? «Ich war davor wahnsinnig nervös. Aber wenn du dann abhebst, diese Freiheit spürst und die Welt aus der Vogelperspektive siehst … einfach unbeschreiblich!»

Seit Juni 2021 hat sie das Brevet in der Tasche. Und tatsächlich sei es mit Fluglehrern an der Seite gut erlernbar gewesen. Anspruchsvoll werde es bei weiten Flugstrecken oder bei zweifelhaften Wetterbedingungen. Der «Meteo»-Job habe ihr da geholfen. «Du musst in unserem Sport das Wetter, die Windbegebenheiten und potenzielle Gefahren einschätzen können. Da hatte ich natürlich ein grosses Vorwissen, das sich andere erst aneignen müssen», erzählt sie. Macht dieses Vorwissen sie auch etwas vorsichtiger? «Schwer zu sagen: Einerseits bin ich mir der Unberechenbarkeit des Wetters vielleicht mehr bewusst: Eine Prognose ist eine Prognose und nicht sakrosankt. Anderseits macht es einen manchmal wohl auch mutiger, weil man das Gefühl hat, die Lage gut einschätzen zu können.» Zu brenzligen Situationen sei es nämlich schon gekommen. So habe sie einmal den Bergwind unterschätzt, worauf es sie ziemlich vom Ort weggeblasen habe, an dem sie eigentlich landen wollte. «Da spürt man, wie man dem Wetter ausgesetzt ist, du wirst zum Spielball der Natur.»

Rund einmal pro Woche geht Nicole Glaus, die in Bern lebt, fliegen – wenn es der Dienstplan und das Wetter zulassen. Mal alleine, mal mit Freundinnen oder ihrem Partner. Dieser besitzt das Brevet schon länger, hat die alte Leidenschaft aber erst durch sie wieder neu entdeckt. «Zum Glück! Es ist ein zeitaufwendiges Hobby, da ist es schon toll, wenn man es gemeinsam ausüben kann.» Sei es in den Ferien, wie letztes Jahr, als es mit dem VW-Bus nach Südschweden ging, oder hier in der Schweiz. Ganz normale Wanderungen ohne Gleitschirm auf dem Rücken? Die gibt’s bei den beiden kaum noch. «Er verkürzt ja auch den Rückweg enorm», sagt Nicole Glaus und schmunzelt. «Man sagt: Wenn dich das Gleitschirmfliegen einmal gepackt hat, dann bist du entweder am Fliegen oder du denkst übers Fliegen nach.»

Braucht sie generell Action im Leben? «Ich mag Herausforderungen und wenn etwas los ist – aber Action total muss auch nicht sein. Ich würde Gleitschirmfliegen auch nicht als das bezeichnen. Klar hast du den Adrenalinkick beim Abflug oder wenn es mal turbulenter ist. Aber das Fliegen hat für mich auch etwas sehr Meditatives, Entspannendes. In der Luft brauchst du alle Sinne, bist total bei dir.»

Inzwischen sind wir nach kurzem Fussweg am Startplatz Amisbühl angekommen. Und schnell ist die Meteorologin im «Flugmodus»: Am Handy checkt sie nochmals die Windverhältnisse am Landeplatz und in der Umgebung, legt routiniert den Gleitschirm aus und entwirrt sorgfältig die Leinen, bevor sie das Gurtzeug anzieht. «Bis später», meint sie, zieht den Schirm hoch, und dann ist sie auch schon weg. Zehn Minuten später landet sie auf der Höhematte. Alles gut gegangen? «Ja, es war ruhig und schön, einmal mehr ein tolles Gefühl», sagt Nicole Glaus und schaut nebenbei anderen beim Landen zu. Wie damals, als kleines Mädchen!