«Die Schweiz wird immer meine Heimat bleiben»

Adieu! Ein Jahr nach seinem Erfolg am «ESC» hat der Sänger sein Leben umgekrempelt und ist nach Paris gezogen. Im Herzen bleibt er unserem Land aber treu – und hat Tipps für seinen Nachfolger.

Welch grandioser Moment das war! Fast ein Jahr ist es nun her, seit Gjon ­Muharremaj (23) alias Gjon’s ­Tears mit der Ballade «Tout ­l’Univers» und seiner engels­gleichen Stimme am «Eurovision Song Contest» 2021 in Rotterdam Publikum und Jury verzauberte – und den dritten Platz erreichte. Das beste Schweizer Resultat seit 1993! Doch: Wie hat sich das ­Leben des Sängers mit den albanischen und kosovarischen Wurzeln seither verändert?

GlücksPost: Im Mai jährt sich Ihr «ESC»-Auftritt zum ersten Mal.

Gjon’s Tears: Die Zeit fliegt! Ich habe das Gefühl, als wäre es erst einen Monat her (lacht). Aber mir geht es grossartig, alles läuft super.

Nach Ihrem Erfolg in Rotterdam ­wurde es ruhig um Sie, es gab ­weder ein Album noch eine Tournee.

Die Gründe lagen vor allem in der Corona-Pandemie. Fast alle Festivals und Konzerte wurden abgesagt. Ich konnte nur etwa 10, 15 Shows spielen. Das war enttäuschend. Doch jetzt geht es endlich weiter: Ich habe einen Plattenvertrag bei einem französischen Musiklabel unterschrieben, bin eben nach Paris gezogen – und noch in diesem Jahr erscheint mein neues Album, mit dem ich auch auf Tour gehen will.

Können Sie schon etwas zu den neuen Songs verraten?

Ja! Sie werden sehr vielfältig. Es gibt zum Beispiel eine Art Country-Song, ein anderer ist rockig und geht fast schon in Richtung Metal-Musik. Die Identität meiner Musik liegt aber weiterhin in meiner gefühlvollen Stimme.

Sie sagen, Sie sind nach Paris ­gezogen. Wie gefällt es Ihnen da?

Es ist cool. Ich mag die Schönheit der Stadt. Für mich als Künstler ist Paris mit seinem Musikmarkt der «Europäische Traum».

Klingt, als würden Sie die Schweiz und Ihre Wohngemeinde Broc FR nicht sonderlich vermissen …

Doch, auf jeden Fall! Vor allem die Schokolade und die gute Luftqualität fehlen mir (lacht). Aber auch Freunde und Familie. Doch es ist ja nicht so, dass ich für immer hier bleibe. Die Schweiz wird immer meine Heimat bleiben.

Haben Ihre Liebsten Sie die ersten Tage nach dem Umzug begleitet?

Nein, meine Familie blieb zu Hause. Ein paar Freunde kamen mit. Aber mal ehrlich: Ich bin jetzt 23, und es ist auch mal Zeit, etwas alleine zu wagen. Trotzdem weiss ich, dass mich meine Eltern auch weiterhin unterstützen, mich in den Ferien besuchen kommen.

Jüngst veröffentlichten Sie die Single «Silhouette». Worum geht es?

Der Song ist stellvertretend für alle Menschen, die gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen. Zum Beispiel wegen Krieg. In meinem Fall erzählt er die Geschichte meiner Grossmutter Refkjie und wie sie miterlebte, wie mein Vater den Kosovo verliess, sie aber im Land blieb. Diese Hilflosigkeit muss schlimm für sie gewesen sein.

Umso stolzer ist sie sicher, dass Sie ihre Geschichte erzählen, oder?

Um ehrlich zu sein: Sie hat das Lied nie gehört. Ich will das auch nicht, weil ich keine unangenehmen Erinnerungen in ihr wecken will. Dasselbe macht sie auch bei mir; wenn sie mit mir über diese Zeit spricht, achtet sie immer darauf, dass sie mir keine grausamen Details erzählt. Aber mein Vater war sehr gerührt vom Song!

Berührt haben Sie die Leute auch am «ESC» mit Ihrem Song «Tout l’Univers». Gab es negative Seiten, die der Erfolg mit sich brachte?

Leider ja. Es gab Leute, die nur daran interessiert waren, mit mir Musik zu machen, weil ich mit meinem «ESC»-Song Erfolg feierte. Und die mich in eine bestimmte Stilrichtung drängen wollten. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen.

Wie denn?

Na ja, man wird generell geübter darin, Menschen zu erkennen, die nur aus eigenem Interesse mit einem befreundet sein wollen. Trotzdem bin ich offen gegenüber anderen – nur wenn jemand Fremdes mit mir ein Foto machen will, finde ich das noch komisch. (Lacht.) Ich weiss nicht, ob ich mich je daran gewöhnen werde.

Am 14. Mai findet der 66. «Euro­vision Song Contest» in Turin statt. Haben Sie Tipps für Ihren Nach­folger ­Marius Baer?

Geniess jede Sekunde dieses Abenteuers! So etwas passiert dir nur einmal im Leben. Bereite dich gut vor, gib dein Bestes, aber lass dich auf keinen Fall stressen, denn das wirkt sich nur negativ auf deine Performance aus.

Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal für die Schweiz anzutreten?

Warum nicht! Viel lieber würde ich aber zuerst einen «ESC»-Song für jemanden schreiben und komponieren, das fände ich cool. Doch der «Eurovision Song Contest» war auf jeden Fall der bisherige Höhepunkt meiner Karriere – jetzt will ich dranbleiben.