Die harte Vergangenheit überwunden

Das Leben der Ex-Skirennfahrerin, die am ersten «Samschtig-Jass» aus der Romandie teilnimmt, war eine Berg- und Talfahrt. Seit sie in Leysin VD eine Heimat gefunden hat, ist sie wieder glücklich.

Sie steht auf Rang 19 der ewigen Bestenliste aller Ski-Rennfahrerinnen – zusammen mit Marie-Theres Nadig (68). Dennoch hörte man in den letzten Jahren kaum etwas von Lise-Marie Morerod. Die 66-Jährige lebt seit vielen Jahren zurückgezogen in Leysin VD. Die GlücksPost besucht sie aus Anlass ihrer Teilnahme beim «Samschtig-Jass» (4. 2., 18.40 Uhr, SRF 1). «Ich freue mich sehr, dass ich da mitmachen kann», sagt sie überschwenglich, wie es ihre Art ist. Sie könne sehr gut jassen. «Bei uns in der Romandie spielen wir es etwas anders.» Dennoch habe sie sich bei den Proben gut geschlagen. Erstmals findet der «Samschtig-Jass» in der Westschweiz statt, in der Unterwasserwelt des «Aquatis» in Lausanne. Neben Lise-Marie Morerod nimmt mit Erika Reymond-Hess (60) eine zweite Schweizer Ski-Legende teil. Sie sitzt aber nicht am Spieltisch, sondern drückt ihrer langjährigen Freundin die Daumen. 

Etwas Glück wird Morerod brauchen. Nach einem schrecklichen, unverschuldeten Autounfall 1978 lag sie drei Wochen im Koma, sechs Monate im Spital. Die Bauerntochter stand damals am Anfang einer verheissungsvollen Karriere: Sie hatte als 17-Jährige bei den Skiweltmeisterschaften in St. Moritz 1974 mit Slalom-Bronze die einzige Medaille für ihre Heimat geholt. 1976 gewann die Waadtländerin als erste Schweizerin den Gesamtweltcup, zudem die Disziplinenwertungen im Slalom und Riesenslalom. In den Jahren vor ihrem Unfall entschied sie 24 Rennen für sich.

Die damaligen Verletzungen am Kopf und der Halswirbelsäule quälen sie bis heute: Sie leidet unter Gedächtnislücken und ist schnell erschöpft. «Jassen macht mich sehr müde», gesteht sie. Doch da es bei den Proben gut lief, ist sie zuversichtlich: «Ich muss einfach weitermachen, selbst wenn ich mich mit der Zeit etwas kraftlos fühle.»

Bereits 2020 stand «Boubou», wie ihre Fans sie nennen, bei den «Sports Awards» wieder einmal im Rampenlicht. Während der Pandemie nutzte man die Gelegenheit und zeichnete die besten Sportlerinnen und Sportler der vergangenen 70 Jahre aus – die Sportpreise feierten
in dem Jahr selbst ihr 70-jähriges Jubiläum. «Ich war sehr stolz, zu den Nominierten zu gehören», sagt Lise-Marie Morerod und lacht herzlich. Sie spricht gerne von ihrer goldenen Zeit als Skifahrerin, die viel zu kurz dauerte: Gerade einmal vier Jahre war sie Teil der internationalen Ski-Elite.

Das Comeback nach dem Unfall wollte nicht gelingen, sie trat 1980 vom Profisport zurück. Doch der Weg in ein normales Leben war hart: Morerod machte Schlagzeilen mit Spielsucht, Scheidung, Schulden. Auch heute ist sie nicht auf Rosen gebettet. Auf die Frage, wie sie wohne und lebe, antwortet sie: «Wie man halt so wohnt und lebt, wenn man kein Geld hat.» Trotzdem sei sie glücklich. Das strahlt sie auch aus. Immer wieder macht sie Sprüche, lacht laut, spricht jeden an, der ihr über den Weg läuft – ob sie die Person nun kennt oder nicht. Natürlich kann man davon ausgehen, dass – abgesehen von den Touristen – alle in Leysin wissen, wer die Frau mit den blauen Strähnen in den grauen Haaren ist. 

«Mein Sohn Pierre wohnt nicht weit weg, er hilft mir viel», erzählt sie. Ihr einziges Kind ist 35 Jahre alt und als Tennislehrer und Architekt tätig. «Er sagt immer wieder ‹Maman, weisst du noch›?» Doch da muss seine Mutter oft passen, weil ihr die Erinnerungen fehlen. Morerod spielt selbst Tennis. Sie schwärmt, wie sie und ihre Freundin Erika Reymond-Hess «mit unseren Buben alles mögliche Sportliche gemacht haben. Nach dem Autounfall war Erika wie eine Schwester für mich.» Es war auch Erikas Mann Jacques Reymond († 69), der ihr zusammen mit «Fragile Suisse» (Organisation für hirngeschädigte Menschen) half, wieder auf die Beine zu kommen.

Letztes Jahr ging Morerod in Pension. Vorher arbeitete sie im Winter als Skilehrerin, im Sommer als Animatorin für die Bewohnerinnen und Bewohner eines Altersheims. Letzteres hat ihr sehr gefallen: «Es ist wie beim Skifahren: Man muss sich Mühe geben mit den alten Menschen, ihnen zuhören, sie motivieren. Sie leben weiter, weil jemand mit ihnen spricht und sie berührt.» Der Skisport interessiert sie weiterhin, sie schaue wenn möglich jedes Rennen und analysiere den Fahrstil der Athleten: «Ich habe zum Beispiel genau gesehen, wie Sofia Goggia in einen Fehler reinfuhr, bevor sie dann bei der Abfahrt in Cortina d’Ampezzo stürzte.»

Das Ski-Ass sinniert abschliessend: «Vielleicht bin ich hier, um zu zeigen, dass man auch nach einem solchen Unfall weitermachen und glücklich sein kann?»