Der traurige Abschied, das schwere Erbe

Mit dem grössten Staatsbegräbnis aller Zeiten wurde der Queen ein letztes Mal ­gedacht – ein schwieriger Gang für ihre Familie. Und es geht herausfordernd weiter: Speziell für König Charles III. und Thronfolger William beginnt nun ein neues Leben. Auch die erhoffte Versöhnung mit Prinz Harry lässt noch auf sich warten.

Eindrücklich und herzergreifend: Über eine Million Menschen erwiesen Königin Elizabeth II. († 96) auf den Strassen Londons die letzte Ehre. Viele weinten um ihre langjährige Monarchin, als deren Sarg in einer Prozession (u. a. Marinesoldaten und weitere Armee-Mitglieder) auf einem Kanonenwagen der Royal Navy von der Westminster Hall in die Westminster Abbey gezogen wurde. Und erneut wurde die Queen auch von ihrer Familie geleitet. Ihre vier Kinder Charles (73), Anne (72), Andrew (62) und Edward (58) gingen in der ersten Reihe hinter Sarg und Marinesoldaten her, dahinter folgten die Enkelsöhne William (40), Harry (38) und Peter Phillips (44). Der mit der Königlichen Standarte bedeckte Sarg war nicht nur mit Staatskrone, Reichsapfel und Zepter geschmückt, sondern auch mit einem Blumenbouquet. Dieses bestand aus Pflanzen aus den Gärten der königlichen Residenzen, die symbolisch für Dinge wie Liebe und Gedenken stehen. Eine Myrte erinnerte an ihre Ehe mit Prinz Philip († 99) – sie wurde aus einer Pflanze geschnitten, die einst aus einem Zweig aus dem Hochzeitsstrauss gezogen worden war. Die Karte im Bouquet war von König Charles III., darauf die Abschiedsworte: «In liebevoller und hingebungsvoller Erinnerung».

In der Westminster Abbey gedachten rund 2000 geladene Gäste der Monarchin – von 200 Staatsvertretern wie Bundesrat Ignazio Cassis, US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Emmanuel Macron bis zu gekrönten Häuptern wie Japans Kaiser Naruhito, Dänemarks Königin Margrethe II. und das schwedische Königspaar Carl XVI. Gustaf und Königin Silvia.

Die Trauer der Familie

Ergreifend war bereits der Einzug des Sarges in die Kirche zu Chorgesang, gefolgt von der Königsfamilie. Inzwischen hatten die Queen-Kinder und Enkel ihre Partnerinnen und Partner an ihrer Seite. So wurde Charles von Camilla (75) begleitet, William von Catherine (40) und ihren älteren Kindern George (9) und Charlotte (7), Harry von Meghan (41).

Ob Anne, Edward, Camilla oder Catherine: Vielen Familienmitgliedern waren der Schmerz und die Anstrengung der vergangenen Tage an den Gesichtern abzulesen, als sie den Predigten und der Ansprache von Premierministerin Liz Truss lauschten, die das Pflichtgefühl, die Menschlichkeit und den Gottesglauben von Königin Elizabeth II. hervorhoben und ehrten. Prinz Charles rang um Fassung, als am Ende die Nationalhymne «God Save the King» gesungen wurde, und wischte sich danach eine Träne aus dem Augenwinkel.

Die letzte Ruhe

Nach der Abdankung wurde der Sarg in einer erneuten Prozession zum Triumphbogen Wellington Arch gezogen und dort in einen Leichenwagen umgebettet – die allerletzte Reise der Monarchin begann. Das Ziel: Schloss Windsor, wo um 17 Uhr in der St.-George’s-Kapelle der Aussegnungs-Gottesdienst gehalten wurde. Neben der royalen Familie waren vor allem frühere und aktuelle Angestellte des Haushaltes der Königin anwesend. Eine letzte private Trauerfeier gab es schliesslich um 20.30 Uhr, bei der König Charles III., seine Geschwister und ihre Familien unter sich Abschied von ihrer Mutter und «Granny» nehmen konnten. In diesem Rahmen wurde die Queen in der Grabkammer unter der Kapelle beigesetzt. So fand Königin Elizabeth II. nach zehn Tagen Trauerzeit schliesslich ihre letzte Ruhe – neben ihrem geliebten Ehemann Prinz Philip, der ihr im April 2021 vorausgegangen war.

Guter Start für König Charles III.

Kaum hatte seine Mutter ihre Augen für immer geschlossen, war es an ihrem ältesten Sohn, das Zepter in die Hand zu nehmen. Der Start ist König Charles III. gelungen. Einerseits mit der Rede, in der er versprach, seinem Volk «mit Loyalität, Respekt und Liebe zu dienen», aber auch seiner Mutter liebevoll dankte. Andererseits mit seinem souveränen und gleichzeitig demütigen, bodenständigen Auftreten. Er suchte die Nähe zu den Trauernden, nahm sich viel Zeit für Gespräche. Dass seine Nerven blank liegen, konnte er trotzdem nicht verbergen – so fluchte er leise, als beim Eintrag in ein Gästebuch ein Füller auslief: «Ich kann dieses blöde Ding nicht ertragen … jedes verdammte Mal.»

Schwere Zeiten in Sicht

Sein Ausbruch zeigte, dass es in ihm brodelt: Denn der König weiss, dass die kommende Zeit nicht leicht wird. Jeder Schritt von ihm und seiner Königin Camilla wird genau beäugt werden. Trotzdem könnte die Monarchie weltweit an Einfluss verlieren. So meint Royal-Experte Andrew Morton im «Stern»: «Dem Tod der Königin werden Debatten folgen. In Australien, in Kanada und in einigen der karibischen Länder wird diskutiert werden, ob Charles Staatsoberhaupt bleiben sollte. Das wurde auf den Treffen der Commonwealth-Länder bereits angesprochen.» Auch in Grossbritannien gibt es lautstarke Kritiker, so die seit über 100 Jahren bestehende antimonarchische Gruppierung Republic. Deren Chef Graham Smith sagt: «Charles mag den Thron erben, aber nicht die Ehrerbietung und den Respekt, die der Queen entgegengebracht wurden.»

Die Aussage ist wahr: Der neue Monarch hat nun zu beweisen, dass er in die Fussstapfen seiner Mutter treten kann – im Wissen, dass er sie wohl nie voll ausfüllen wird. Positive Stimmen kann er etwa als «Grüner König» sammeln. Andrew Morton: «Umweltfragen standen bei ihm immer im Mittelpunkt, besonders die biologische Landwirtschaft. Er könnte damit viel bewegen, in der ganzen Welt.» Seine grösste Stütze und wie ein Ass im Ärmel sind Prinz William, Prinzessin Catherine und ihre drei Kinder – sie geben der Monarchie einen modernen Anstrich und vermögen es besser als er, die Herzen zu erobern.

Auch Druck auf Prinz William

Der Thronfolger ist sich dieser Tatsache sehr bewusst. So sagten Vertraute: «Er weiss, dass die Zukunft der Monarchie am Ende auf seinen Schultern lastet, und das ist ein grosser Druck.» Einer, dem er aber standhält – das beweist William seit Jahren. Und mehr denn je steht er nun an der Seite seines Vaters. «Ich werde das Andenken meiner Grossmutter bewahren, indem ich den König auf jegliche Art und Weise unterstütze, die mir möglich ist», meinte der neue Prinz von Wales und Herzog von Cornwall. Beides Titel, die er von Charles erbte, wie dieser mitteilte und hinzufügte: «William übernimmt auch die Verantwortung für das Herzogtum Cornwall.» Zu diesem gehören Ländereien, Landwirtschafts- und Forstbetriebe, Ferienwohnungen und vieles mehr. Es wurde einst geschaffen, um dem ältesten Sohn des Monarchen finanzielle Unabhängigkeit zu ermöglichen.

Unklar ist, wann die Wohnsituation für Prinz Williams Familie ändert: Gerade erst sind er und Catherine ins Adelaide Cottage gezogen, um den Kids nicht nur ein Leben im Grünen zu ermöglichen, sondern auch, weil sie in dem gemütlichen Haus auf dem Anwesen von Schloss Windsor viel Privatsphäre haben. Charles jedoch soll sich wünschen, dass sie dereinst ins Schloss selbst umziehen. Laut Insidern will das Paar dies aber noch hinauszögern: «Die nächste Dekade werden sie sich sehr stark davon diktieren lassen, was für die Kinder am besten ist.» Und das ist die heimelige Atmosphäre in ihrem Cottage.

Brüderliches Zusammentreffen

Alles andere als wohlig schön ist bekanntlich das Verhältnis zwischen William und seinem Bruder Harry. Vor dem Tod von Königin Elizabeth II. herrschte Eiszeit! William soll sogar geplant haben, kein Wort mit dem in die USA ausgewanderten Harry zu wechseln, bis dessen Biographie erschienen ist: Der ganze Hof zittert ob der Enthüllungen und Anschuldigungen, die sie beinhalten könnte. Die Trauer um ihre Grossmutter hat die Brüder nun gezwungenermassen wieder vereint – räumlich zumindest. Denn ob der derzeitige Frieden anhält, ist mehr als fraglich! Als William und Catherine mit Harry und Meghan gemeinsam die Trauerbekundungen vor Schloss Windsor inspizierten, wirkte es auf den ersten Blick wie eine Versöhnung. Und doch war kaum ein Zusammenhalt zwischen ihnen zu spüren. Weder dort noch bei den Trauerzügen, der herzergreifenden Mahnwache mit den sechs weiteren Enkeln der Queen oder der Beerdigung selbst. Und das, obwohl speziell Harry und William ähnlich schmerzhafte Gefühle geplagt haben müssen. So meinte William zu einem Trauernden, dass es herausfordernd gewesen sei, hinter dem Sarg herzugehen: «Es brachte einige Erinnerungen zurück.» Jene an den Tod ihrer Mutter Diana († 1997), als sie als Buben diesen Gang bewältigen mussten.

Versöhnung fraglich

Die Differenzen zwischen den beiden räumt auch die geteilte Trauer nicht einfach aus der Welt. Dadurch, dass Harry und Meghan sich dafür entschieden haben, das Königshaus zu verlassen und ihre Probleme mit diesem offen anzusprechen, ist das Vertrauen dahin. Die Biographie wird definitiv erscheinen, wenn auch erst Ende Jahr statt demnächst, wie es ursprünglich geplant war. Denn Harry wird noch ein Kapitel hinzufügen – den Tod der Königin. Andrew Morton glaubt nicht, dass das Werk die Monarchie oder Charles Regentschaft gefährden wird. «Aber dessen Beziehung zu seinem Sohn. Harry hat nicht nur seine Grossmutter verloren, sondern auch seine Fürsprecherin und Unterstützerin. Als sie noch lebte, konnte er einfach hineinspazieren. Das ist erst mal vorbei.»

Wobei sich Charles während der Trauerzeit grossmütig zeigte: Harry durfte bei der Mahnwache seine Militäruniform tragen, obwohl er mit dem Abschied vom Königshaus seine Titel niederlegen musste. Für Charles III. ein Zeichen des Respekts gegenüber seiner verstorbenen Mutter, aber auch ein Zugeständnis an seinen Zweitgeborenen. Wobei nächste Diskussionen schon anstehen: Aufgrund der veränderten Thronfolge sollen die Sussex-Royals Anspruch auf königliche Titel und damit einhergehende Sicherheitsstandards für ihre Kinder Archie (3) und Lilibet (1) erheben – was Charles ablehnt.

Bis eine echte Versöhnung stattfindet, und somit der letzte Wunsch der Queen in Erfüllung geht, dürften demnach noch Monate, wenn nicht Jahre ins Land ziehen.